Die Kino-Kritiker

«8 Sekunden - Ein Augenblick Unendlichkeit»

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Til Schweiger hat die Zeichen der Zeit erkannt und produziert gemeinsam mit seiner Produktionsfirma Barefoot Films einen Film für die türkische Bevölkerung - ein Filmsegment, das seit Jahren boomt, ohne dass die breite Masse es mitbekommt.

Filmfacts: «8 Sekunden - Ein Augenblick Unendlichkeit»

  • Kinostart: 29. Oktober 2015
  • Genre: Drama/Mystery/Romanze
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 120 Min.
  • Musik: Gustavo Farias
  • Buch: Esra Inal, Nuran Evren Sit
  • Regie: Ömer Faruk Sorak
  • Schauspieler: Esra Inal, Ceylin Adiyaman, Gulay Baltaci, Fahri Yardim, Mehmet Kurtulus, Axel Stein, Ralph Herforth, Yilmaz Erdogan, Leonie Benesch
  • OT: 8 Seconds (TUR/DE 2015)
Til Schweiger hat die Zeichen der Zeit erkannt. Deutschlands erfolgreichster Filmemacher hat als Regisseur so ziemlich alles erreicht (allein sein letzter Film «Honig im Kopf» positionierte sich einmal mehr an der Spitze der Kino-Jahrescharts), er bringt 2016 den «Tatort» in die Lichtspielhäuser und dringt mit seinem neuesten Projekt «8 Sekunden» in ein Segment vor, das Hochkonjunktur hat, ganz ohne dass es die breite Masse mitbekommt. Filme für die türkische Bevölkerung boomen: «Mucize – Wunder» (225.000 Besucher), «Recep Ivedik 4» (542.000 Besucher) oder «Eyyvah Eyvah 3» (139.000 Besucher) sind Filmtitel, die kaum einem Kinogänger hierzulande ein Begriff sind. Die Tickets verkaufen sich dennoch wie geschnitten Brot. An dieser Stelle kommt nun Til Schweiger ins Spiel. Der hat bei der zweistündigen Drama-Produktion «8 Sekunden – Ein Augenblick Unendlichkeit» zwar nicht Regie geführt, dafür seine Kenntnisse als Produzent zur Verfügung gestellt.

Seine Produktionsfirma Barefoot Films gehört zu den Haupt-Geldgebern für die Regiearbeit des türkischen Filmemachers Ömer Faruk Sorak («Yahsi Bati – Die osmanischen Cowboys»), sodass es wenig verwundert, dass die Geschichte um eine widerständige, junge Türkin nicht in der Türkei sondern in Berlin angesiedelt ist. Überhaupt unterscheidet sich «8 Sekunden» visuell in keinem Moment von den gängigen Schweigerhöfer-Produktionen der Marke «Kokowääh» oder «Vaterfreuden» – da genügt schon ein Blick auf die beliebten Hauptstadt-Panoramen, die immer wieder zwecks Szenenwechsel eingeblendet werden. Inhaltlich entfernt man sich dafür stark von den Sehgewohnheiten typisch deutscher Wohlfühlkomödien, was sowohl positive, als auch negative Seiten hat. Einerseits reißt «8 Sekunden» in seinen zwei Stunden so viele unterschiedliche Themen und Schauplätze an, dass man sich gern dieser unvorhersehbaren Ausgangslage hingibt und gespannt ist, wo Hauptfigur Esra am Ende dieser Odyssee landen wird. Auf der anderen Seite ist das Skript damit vor allem eines: viel zu voll und gleichermaßen nur leidlich tiefgründig.

Esra (Esra Inal) lebt in zwei Welten. In ihrem Alltagsleben ist sie eine junge deutsch-türkische Frau mit viel Temperament. Esra liebt ihre Familie, aber fühlt sich in ihren Beziehungen eingeengt und lehnt sich gegen die Regeln auf. Sie hat das Gefühl, dass ihr etwas fehlt, dass es mehr geben muss als das, was sie bisher kannte - eine Liebe, die grenzenlos ist. In ihrer zweiten Welt, in die sie eintaucht, wenn sie schläft, versucht sie die Identität eines rätselhaften Mannes zu entschlüsseln, der sie in ihren Träumen besucht. Ist er bei ihr, fühlt sie sich geborgen. Langsam dringt sie in eine ganz neue Welt vor... Aber je mehr sie versucht, ihre Träume zu verstehen, desto mehr beeinflussen sie ihr Leben. Während sie im wirklichen Leben immer mehr Widerständen begegnet, kommt sie im Traum ihrem Geheimnis immer näher. Aber was wäre, wenn ihre Träume und die Realität nie voneinander getrennt waren, und das Geheimnis in Wirklichkeit allen offen steht?

Um dem Leser einen Eindruck davon zu verschaffen, womit sich die Hauptfigur Esra in «8 Sekunden» herumschlagen muss, geben wir an dieser Stelle einen groben Überblick über die Ereignisse: Der Film beginnt als Geschichte über häusliche Gewalt und Selbstbestimmung junger Frauen, wird daraufhin zu einer Liebesgeschichte, die in ein Psychodrama (einschließlich Aufenthalt in der Psychiatrie) mündet, im Kern allerdings gleichermaßen von einem Krimiplot durchzogen wird und obendrein von einer Mystery-Klammer umspannt wird, bei der zudem nie ganz klar wird, wie stark diese in der Realität verwurzelt ist. Dies hat natürlich den Vorteil, dass während des gesamten Films überdurchschnittlich viel auf der Leinwand passiert. So etwas wie Langeweile, geschweige denn Leerlauf kann in «8 Sekunden» gar nicht vorkommen.

Dafür folgen die Storywendungen und schicksalhaften Ereignisse Schlag auf Schlag. Gefordert ist dafür die Hauptdarstellerin. Esra Inal, die nicht nur ihr Schauspieldebüt gibt, sondern auch das Drehbuch schrieb, ist als Protagonistin gefordert, den verschiedenen Facetten des Skripts Ausdruck zu verleihen. Leider belässt sie es dabei, sich bei ihrer Performance auf das Aufbegehren ihrer Figur zu konzentrieren. Macht dies in der ersten halben Stunde noch Sinn, geht Inal die zerbrechliche Seite ihres Charakters vollends ab, sodass es dem Zuschauer schwer fällt, die junge Frau nicht bloß als schroffe Widerständlerin wahrzunehmen. Eine Sympathieträgerin ist die Figur der Esra nicht, was allerdings auch dem Skript geschuldet ist. Dieses widerspricht sich in den einzelnen Episoden mehrfach und raubt ihm dadurch an Glaubwürdigkeit. Kritisiert Esra zu Anfang noch vehement, dass die Außenwelt sie stets in eine bestimmte Rolle pressen wolle, so ist sie sich später selbst nicht zu schade, an ihren Freunden und insbesondere an ihren Partnern herumzunörgeln und sie, ganz so, wie ihr es selbst widerfährt, dazu zu bringen, ihr Leben für sie zu ändern. Das ist nicht nur inhaltlich schwach geschrieben, sondern verleiht der Hauptfigur zusätzlich unsympathische, da nicht etwa wankelmütige sondern vollkommen willkürliche Züge.

Abseits der Hauptdarstellerin Esra Inal ist es vermutlich vor allem der Beteiligung von Barefoot Films zu verdanken, dass in weiteren Hauptrollen Schauspieler zu sehen sind, die hierzulande einen nicht geringen Bekanntheitsgrad besitzen. Dazu gehört allen voran Fahri Yardim («Irre sind männlich») in der Rolle von Esras Freund Mo. Mo ist nicht nur aus vom Charakterprofil wesentlich feiner gezeichnet als Esra, er besitzt darüber hinaus jene Sympathie, die seiner Schauspielkollegin fehlt. Mo bei seinen Eskapaden zuzusehen, macht schlichtweg Spaß und es ist nicht ausschließlich Yardims umfangreicheren Kenntnissen als Akteur geschuldet, dass er sämtliche seiner Kollegin mit Charme und Herzblut an die Wand spielt. Der Mime lässt sich von den großen Gesten seiner Ensemble-Mitspieler nicht überspielen und legt eine kecke Präsenz an den Tag, an der sich das Publikum nicht sattsehen kann. Ohne die Figur des Mo wäre „8 Sekunden“ tatsächlich rasch verloren, denn obwohl auch Darsteller wie Mehmet Kurtulus («Big Game»), Ralph Herforth («Unter anderen Umständen») und Yilmaz Erdogan («Das Versprechen eines Lebens») solide Performances abliefern, gehen ihre Figuren nie über ihre Grenzen. Sie spielen solide und erfüllen ihren Zweck. Aber der Star in «8 Sekunden» ist und bleibt Fahri Yardim.

«8 Sekunden – Ein Augenblick Unendlichkeit» beginnt mit der Erklärung, dass ein Menschenleben von der Sonne aus betrachtet nicht länger wäre als ebenjene acht Sekunden und dass wir uns diesen Umstand zunutze machen sollten, um unser Leben bewusster und intensiver zu führen. Das ist per se keine schlechte Aussage und ist vermutlich eine der beliebtesten Floskeln in Glücksratgebern, pseudo-tiefsinnigen Selbstfindungsdramen und natürlich auf Abreißkalendern. Ein Leben intensiver führen: Das propagiert «8 Sekunden» nicht bloß innerhalb des Prologs, sondern tatsächlich über seine komplette Laufzeit. Über den Mehrwert ebenjener Abreißkalender kommt der Filmstoff aufgrund seiner penetranten Szenerien und einer steten Überdramatisierung leider nie hinaus. Man erkennt die löbliche Intention des Filmemachers und ausgerechnet die eingeschobenen Mystery-Elemente zum Thema Träumen unterstreichen, dass sich Regisseur Ömer Faruk Sorak nicht mit simplen Allgemeinplätzen zufriedengeben möchte.

Er würde gern mehr erzählen und der Thematik möglichst vielfältige Sichtweisen abgewinnen. Das offenbaren allein schon die vielen unterschiedlichen Plotfetzen. Doch der anstrengende Voice-Over von Hauptfigur Esra und eine viel zu melodramatische Auflösung rauben dem Gesamtkonzept den Reiz. «8 Sekunden – Ein Augenblick Unendlichkeit» hat schöne Momente und überzeugt in vielen Szenen als hoffnungsvolles Großstadtmärchen. Doch der Reiz erschöpft sich bei der Masse an Ansätzen und verläuft sich in Handtaschenpsychologie.

Fazit: Vor allem an den Kinokassen wird es spannend zu beobachten sein, wie sich «8 Sekunden – Ein Augenblick Unendlichkeit» schlägt. Türkische Melodramatik kollidiert mit schweiger’schem Optimismus – eine explosive Mischung mit positiven und negativen Seiten.

«8 Sekunden – Ein Augenblick Unendlichkeit» ist ab dem 29. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.

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