Cast & Crew
Vor der Kamera:Leonard Lansink, Oliver Korittke, Ina Paule Klink, Rita Russek, Roland Jankowsky, Vittorio Alfiere, Stefan Kurt, Katharina Müller-Elmau, Marc Hosemann, Tilo Nest u.m.
Hinter der Kamera:
Buch: Arne Nolting & Jan Martin Scharf; Schnitt: Monika Abspacher; Kamera: Philipp Timme; Kostüme: Bea Gossmann; Musik: Matthias Weber; Regie: Martin Enlen; Szenenbild: Frank Prümmer; Redaktion: Martin R. Neumann & Kunkel-Freund.S (Assistentin)
Im Finanzamt Münster liegt ein verdächtiger und herrenloser Rucksack im Gang, der darüber hinaus seltsame Geräusche von sich gibt. Steuerprüfer Ekkehardt Talkötter (Oliver Korritke) befürchtet das Schlimmste und ruft das SEK, das allerdings nur einen tanzenden Plüschaffen im Rucksack vorfindet. Trotz des Missverständnisses wird Putzkraft Hasim Hemidi (Neil Malik Abdullah) überwältigt. Zum Entsetzen von Talkötter stellt sich heraus, dass Hemidi und seine Familie Asylanten sind und in Deutschland Schutz vor dem Krieg in ihrem Heimatland suchen. Der Familienvater, der illegal beschäftigt wurde, verliert danach jedoch seinen Job, weshalb sich Talkötter aus schlechtem Gewissen den Asylanträgen seiner Familie annimmt. Scheinbar unabhängig davon ermittelt Georg Wilsberg (Leonard Lansink) in einem Fall um den getöteten Homöopathen Christopher Seekatz (Folker Banik), der ihn kurz zuvor noch mit der Beschattung seiner Frau (Katharina Müller-Elmau) beauftragte, weil er vermutete, dass diese einer Affäre nachging. Die Spur führt sowohl Wilsberg als auch die Polizei-Kommissare Springer (Rita Russek) und Overbeck (Roland Jankowsky) in die zwielichtige Welt der Pharma-Konzerne, denen sich Seekatz kurz vor seinem Tod entgegenstellte.
Tatsächlich findet sich in «Wilsberg: Bittere Pillen» eine Ausgabe der Krimi-Reihe, die aus der Reihe tanzt. Über 80 Minuten lang gehen in der Episode nämlich zwei Filme auf einmal vonstatten, mit Geschichten die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite handelt «Wilsberg: Bittere Pillen» von einem grausamen Mord an einem Naturheilkundler und von dem Kampf des kleinen Mannes gegen die vermeintlich mafiösen Strukturen der Pharma-Lobby. Im Rahmen dieses Handlungsstrangs gelingt es Nolting und Scharf vorzüglich die Balance zwischen Krimi und Komödie zu halten. Köstliche Dialoge entlarven die gängigen Geisteshaltungen zu Themen wie Homöopathie und natürlichen Heilmitteln, während die Zuschauer in die bunte Welt von Naturheilkundeverfahren, Bachblüten und Globuli eingeführt werden. Amüsant ist obendrein, dass ausgerechnet der harte Kommissar Overbeck zu den heißen Verfechtern von Naturheilpraktiken zählt und sich insbesondere mit Kollegin Springer verbale Scharmützel liefert, die den Fall „ohne Astralrecherche und Schwingungsgedöns“ lösen will.
Geschickt werden die Befremdlichkeiten der Homöopathie gegenüber den oft kühlen und rationalen Ermittler herausgearbeitet, nahezu jedes populäre Argument für und wider der Naturheilkunde oder Pharma-Industrie wird in bissige Dialoge eingepflegt. Auch zugunsten des Humors bedient sich der Krimi jedoch einem großen Berg an Klischees. Während Homöopath Seekatz am Anfang des Falls betont leger und in sich ruhend auftritt und mythische bis okkulte Klänge Szenen, die von seinem Fachgebiet handeln, untermalen, lernt man den Pharma-Vertreter Dr. Stegner (Stefan Kurt) als aalglatten und arroganten Anzugträger im sterilen Büro kennen.
Stegner stellt anfangs selbst passend fest, hier könne der Eindruck stehen: „Böser Pharmakonzern killt netten Naturheil-Onkel“. Tatsächlich schlägt der Fall vom Tonus in genau diese Kerbe, ohne hiermit die Auflösung des Falles vorwegzunehmen. Hier hat man eine gute Chance mit den Erwartungen der Zuschauer zu spielen verstreichen lassen. So macht «Wilsberg: Bittere Pillen» dem Zuschauer schon früh klar, dass es in der Pharma-Industrie nicht um soziale Verantwortung geht oder darum, die Welt zu einem besserem Ort zu machen, sondern um Politik und Interessen, letztendlich um Geld. Passend bemerkt eine Figur am Ende des Falls: "Wenn Homöopathen Scharlatane sind und die von der Pharma-Industrie gewissenlose Abzocker, was mache ich denn dann wenn ich krank bin?" Nach Ansicht des Falls eine berechtigte Frage, allerdings sind die Darstellungen auch gnadenlos überspitzt.
- © ZDF/ Michael Boehme
Asylbewerber Hemidi (Neil Malik Abdullah) ist zusammengebrochen. Seine Frau (Neda Rahmanian) kniet vor ihr und Ekki (Oliver Korittke) stützt ihn von hinten. Rundherum stehen weitere Menschen und schauen besorgt.
Auch der andere Handlungsstrang verfolgt eine klare Agenda und wirkt insbesondere im Licht der Flüchtlingswelle und dem Terror in Europa sehr aktuell. Nur aufgrund eines herumliegenden Rucksacks bricht im Finanzamt die Terrorpanik aus und eine südländische Putzkraft wird intuitiv als skrupelloser Drahtzieher eines Bombenanschlags vermutet. Tatsächlich findet sich in ihm aber ein Kriegsflüchtling aus dem Nahen Osten wieder. Seine Figur wird im Laufe des Falles des Öfteren verwendet, um mit gängigen Klischees über die Zuwanderer aufzuräumen. Hasim Hemidi gehört nämlich nicht einer Terrorzelle an, sondern ist liebender Familienvater, der versucht mit einem Putzjob seine Großfamilie zu ernähren – und das obwohl er ein Studium der Philosophie abschloss und obendrein studierter Germanist ist, daher sogar deutsche in ihrer Grammatik korrigiert.
Ganz zur Verwunderung des sorgsamen Steuerprüfers Talkötter, der den Hemidis bei jedem Unrecht zur Seite springt - ob es nun um die mangelhaften sanitären Anlagen in der Flüchtlingsunterbringung geht oder um die dortigen Aufseher, die die Anwohner drangsalieren und ein Best-Of der PEGIDA-Parolen herunterbeten. Nicht nur im Falle dieser „besorgten Deutschen“, sondern beispielsweise auch in Form von „Ekkis“ Chef Grabowski (Vittorio Alfieri) versucht man gängige Geisteshaltungen innerhalb der deutschen Bevölkerung abzubilden. Während die bulligen Asylheim-Aufseher dem Flüchtlingsstrom geradezu feindselig gegenüberstehen, findet sich in Grabowski eher der Typ des kalten Bürokraten wieder, den das Leid der Vertriebenen zwar nicht unberührt lässt, der aber aus Bequemlichkeit auch nicht auf die Idee kommen würde, sich für diese einzusetzen. Der Krimi läuft jedoch zu einer Zeit, in der das Thema bereits überstrapaziert wirkt, weshalb das Vorhalten des Spiegels nicht ganz so augenöffnend wirkt, wie ursprünglich vielleicht angedacht.
Die beiden scheinbar unzusammenhängenden Geschichten führen am Ende natürlich doch noch zusammen, resultieren aber in einer Wendung, die etwas über das Ziel hinausschießt und die Wirkung der pointierten Gesellschaftskritik in den Minuten zuvor dämpft. Mit den zwei zunächst unabhängigen Geschichten zeigen Nolting und Scharf jedoch gleichzeitig auf, wie viel Zeit innerhalb von 90 Minuten tatsächlich bleibt, um eine packende Geschichte aufzubauen. Vielen öffentlich-rechtlichen Krimis gelingt dies nicht einmal mit nur einem Thema. Schauspielerisch funktioniert das gesamte Ensemble. Hier ist niemandem ein Vorwurf zu machen, gleichwohl auch niemand auf positive Art und Weise heraussticht, genauso wie Regisseur Martin Enlen, der die Ausgabe routiniert inszenierte. Letzten Endes überzeugt «Wilsberg: Bittere Pillen» als plotbezogene Gratwanderung, trägt aber hier und da zu dick auf und untergräbt sich damit in seiner Relevanz etwas.
Das ZDF strahlt «Wilsberg: Bittere Pillen» am 28. November um 20.15 Uhr aus.