Filmfacts «Das brandneue Testament»
- Regie: Jaco Van Dormael
- Drehbuch: Jaco Van Dormael und Thomas Gunzig
- Darsteller: Pili Groyne, Benoît Poelvoorde, Yolande Moreau, Catherine Deneuve, François Damiens, Laura Verlinden
- Kamera: Christophe Beaucarne
- Schnitt: Hervé de Luze
- Musik: An Pierlé
- Ausstattung: Sylvie Olivé
- Laufzeit: 115 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Das Gottes- und Weltbild, das Regisseur und Ko-Autor Jaco Van Dormael zu Beginn seiner tragikomischen Religions- und Gesellschaftssatire «Das brandneue Testament» zeichnet, ist bitter. Abgeschmackt. Desolat. Es fällt kaum Licht in das Heim Gottes, die Einrichtung erdrückt in einem Fäkalbraun-Kotzgrün-Trübgrau-Mix jeglichen Hoffnungsschimmer und das Arbeitszimmer des Schöpfers ist mit seinen überdimensionalen Aktenschränken wahrlich kein Hort der Inspiration. Die These, dass Gott der Liebe und Fürsorge unfähig ist, könnten Van Dormael und Ausstatterin Sylvie Olivé auf bildästhetischer Ebene kaum forscher übermitteln.
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Kriege werden abgeblasen, da sie eh zu Nichts führen würden. Millionen von Menschen krempeln ihr Leben um – entweder, weil sie mit ihren vielen, vielen verbliebenen Jahren noch etwas anfangen wollen, statt in der Ödnis zu verenden. Oder weil sie ihre wenigen, wenigen noch ausstehenden Tage voll auskosten möchten. Und genau sechs dieser Zeitgenossen wählt Ea aus, um 'Das brandneue Testament' zu verfassen. Da die aufgeweckte, aufmerksame Gottestochter nichts davon hält, sich selbst in den Mittelpunkt zu drängen, sollen die Apostel darin ihre jeweilige Lebensgeschichte erzählen. Als Querschnitt dessen, was die Menschheit ausmacht. Was sie bedrückt. Bewegt. Verändert.
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Van Dormael und sein Schreibpartner Thomas Gunzig reihen Szenen assoziativ aneinander, ordnen den roten Faden wellenförmigen Gefühlsschwankungen unter, statt einem makellosen, vorbildlichen dramaturgischen Dreieck. Und sie lassen das von ihnen erschaffene «brandneue Testament» vorübergehend mit dem brandneuen Testament nach Eas Aposteln verschmelzen. Was bedeutet, dass sechs charakterstarke (liebevoll überzeichnete) Individuen als Exempel für die gesamte Menschheit dienen. Mit sehr spezifischen Einzelschicksalen, deren mal intellektuellen, mal emotionalen Konnotationen allgemeingültig sind.
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Zumindest für diejenigen, die Belgiens Kandidat für den Auslands-Oscar 2016 auf dem richtigen Fuß erwischt. Denn Van Dormael mutet seinem Publikum eine sehr exzentrische, selbstsicher dargebotene Erzählung zu, die mit ihrer Art durchaus experimentierfreudige Sehgewohnheiten erfordert. Wenn Eas Odyssee zwischenzeitlich unterbrochen wird, um zu zeigen, wie ihr Vater planlos sowie entnervt unter seinen Schöpfungen wandert, weckt der begnadet selbstherrlich aufspielende Benoît Poelvoorde Schadenfreude. Diese wird von der stringenten Grässlichkeit, mit der Van Dormael den Bodensatz menschlichen (oder göttlichen) Verhaltens aufzeigt, aber auch gern im Keim erstickt. Und die lyrische Ausdrucksstärke der sechs neuen Evangelien paart er mit grundehrlicher, kindlicher Blauäugigkeit. Für diese Verschränkung an Tonarten müssen Kinogänger erst geschaffen sein – und willens, die mitunter sehr durchschaubaren Computereffekte zu verzeihen, die «Das brandneue Testament» mit sich bringt.
Fazit: «Das brandneue Testament» ergötzt sich zwischendurch sehr gern an platten Pointen, ist in seiner Gesamtheit aber profund. In seiner Darstellung blasphemisch, in seiner Botschaft aber ehrfürchtig. In seiner Charakterisierung mit groben Pinselstrichen erstellt, und trotzdem sensibel erzählt. Doch vor allem ist diese bissige Glaubensfarce einmalig!
«Das brandneue Testament» ist ab dem 3. Dezember 2015 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.