Die Kino-Kritiker

«The Big Short»

von

Steve Carell, Ryan Gosling, Christian Bale und Brad Pitt sehen die Weltwirtschaftskrise kommen. Und kaum jemand hört ihnen zu!

Filmfacts «The Big Short»

  • Regie: Adam McKay
  • Produktion: Dede Gardner, Jeremy Kleiner, Arnon Milchan, Brad Pitt
  • Drehbuch: Adam McKay, Charles Randolph; basierend auf dem Buch von Michael Lewis
  • Darsteller: Christian Bale, Steve Carell, Ryan Gosling, Brad Pitt, John Magaro, Finn Wittrock, Marisa Tomei, Melissa Leo
  • Musik: Nicholas Britell
  • Kamera: Barry Ackroyd
  • Schnitt: Hank Corwin
  • Laufzeit: 130 Minuten
  • FSK: ab 6 Jahren
Ein riesiger Jenga-Turm. Humorvolle Promi-Gastauftritte. Viele, schnelle Schnitte in hyperaktivster Musikvideomanier. Pfiffige Erzählerkommentare. Fertig ist er, der Nachhilfekurs in Sachen Weltwirtschaftskrise: Die außerordentliche, satirische Wirtschaftstragikomödie «The Big Short» bedient sich exakt dieser Elemente, um in 130 äußerst kurzweiligen Minuten die frustrierende, aber auch absurde Geschichte hinter dem Börsen-Zusammenbruch von 2007 zusammenzufassen. Die wahren Eckdaten werden von Regisseur und Drehbuch-Koautor Adam McKay obendrein durch ein großes (teils fiktives) Figurenrepertoire, eine exzentrische Kameraführung und mehreren Links-Rechts-Kombinationen aus Selbstironie und tragisch-verbittertem Galgenhumor ausgeschmückt. Unterm Strich ergibt diese einzigartige Zusammenstellung an Gangarten einen erschöpfenden Blick in die marode Seele der Wirtschaftswelt sowie ein denkwürdiges Stück Hollywood-Kino der anderen Art.

Diese nachdenklich-zynische Farce nimmt damit ihren Anfang, dass Hedgefond-Manager Michael Burry (Christian Bale) zu einer Erkenntnis erlangt, die ihm kaum jemand abkaufen will: Der frühere Neurologe, der unter Asperger-Syndrom leidet, errechnet, dass im zweiten Quartal 2007 der US-Börsenmarkt zusammenbrechen wird. Denn nur der Exzentriker, der ein Glasauge hat und sich im Büro trotz Super-Spar-Haarschnitt wie ein Rockstar aufführt, bedenkt die Konsequenzen dessen, dass das Anleihengeschäft großer Investmentbanken auf faulen Krediten fußt. Nachdem sich das System jahrelang durch Taschenspielertricks in eine Hochphase steigern konnte, muss der Kollaps folgen – worauf Burry vorausschauend wettet.

Während ihn die Wirtschaftswelt nahezu geschlossen verlacht, kommt der moralisch flexible Investmentbanker Jared Vennett (Ryan Gosling) Burrys Handeln auf die Schliche – und wittert das große Geld: Er sucht Geschäftspartner, mit denen er Gewinn aus der apokalyptischen Prognose schlagen kann. Eher zufällig gerät er an Hedgefond-Manager Mark Baum (Steve Carell), der nicht zuletzt aufgrund privater Schicksalsschläge zu einem harschen Kritiker des Bankenwesens wurde. Nun will er mit seinen Vertrauten das System dazu bringen, in die Grube zu stolpern, die es sich gegraben hat. Und dann wären da noch die aufstrebenden Junginvestoren Charlie Geller (John Magaro) und Jamie Shipley (Finn Wittrock), die dank einer Prise Glück vom ganzen Treiben Wind bekommen und mit Hilfe des Ex-Bankers Ben Rickert (Brad Pitt) ebenfalls auf das Platzen der Finanzblase setzen …

Klingt kompliziert? Ist es eingangs auch! Wären da nicht die schelmisch-jovialen Kommentare des direkt in die Kamera sprechenden Jareds, liefe «The Big Short» in den ersten Minuten Gefahr, in reinstes Chaos auszuarten. Die Einführungen der diversen Figurengruppen werden von McKay und Koautor Charles Randolph bunt durcheinandergewürfelt, darüber hinaus hat Barry Ackroyds vor allem im ersten Akt stark auf Nahaufnahmen und Handwackler setzende Kameraarbeit eine desorientierende Wirkung. Und das Wall-Street-Vokabular? Das verwenden die Figuren wie selbstverständlich, weshalb die ersten Filmminuten für all jene ohne fortgeschrittene Wirtschaftskenntnisse einem heftigen Rätsel gleichen dürften.

Dann aber offenbart sich mit einem Mal die wahre Natur dieser 28-Millionen-Dollar-Produktion: «The Big Short» zieht nach dem gezielten Tohuwabohu die Notbremse und macht Platz für eine eingeschobene, ulkige Erläuterung einiger wichtiger Wall-Street-Begriffe. Dargeboten wird diese Mini-Schulstunde durch einen sexy-galanten Cameo, wobei die Wortwahl des Skripts dem Publikum förmlich entgegenschreit: „Jepp, die Vokabeln so zu erläutern, mag zwar ganz und gar nicht von flüssigem Storytelling zeugen, aber wir können immer noch Spaß damit haben, nicht wahr?“ Und selbst wenn sich Ackroyds Kameraführung erst später normalisiert, so ist die erste von mehreren Wirtschaftsfachwörter-Schilderungen ein echter Befreiungsschlag für diesen Film:

Ab diesem Moment liegt McKays Mentalität, die diese Sachbuchadaption durchzieht, klar auf der Hand. Und die trägt diesen Film fast im Alleingang in den Olymp der cineastischen Wirtschaftsgeschichten: Mit kessem Selbstbewusstsein schildert «The Big Short», welche Farce sich bis Anfang 2007 an der Wall Street abspielte. Damit ähnelt sie in gewissen Aspekten Martin Scorseses «The Wolf of Wall Street», bloß dass sich diese Tragikomödie nicht dem Exzess der Finanzhaie widmet, sondern der Skurrilität des Wall-Street-Geschäftsalltags. Allerspätestens wenn Goslings braun gebrannter Charmebolzen (der die Erzählerpflichten zwischenzeitlich an andere Figuren abgibt) mit einem Holzklotzturm die Fragilität des US-Hypothekensystems vorführt, wird überdeutlich, wie naheliegend der Zusammensturz der Weltwirtschaft eigentlich war. Hätten nur mehr Menschen das System rechtzeitig hinterfragt und die Schall-und-Rauch-Taktik der Wall Street durchschaut. Da McKay die bittere Wahrheit so pointiert schildert, ist «The Big Short» ein kluger, verdichtet inszenierter Film, bei dem einem das Lachen wiederholt im Halse stecken bleibt. All zu niederschmetternd ist das Ganze wohlgemerkt nicht: Gosling, Carell und Bale gelingt es den tragischen Hintergründen zum Trotz, mit ihrem perfekten komödiantischen Timing einige lupenreine Gags abzuliefern, ganz ohne anschließenden „Schlechtes Gewissen“-Effekt.

Abgesehen von Steve Carells Rolle, die mit moralischem Kompass ausgestattet ist und zudem das größte emotionale Päckchen zu tragen hat, sind die Figuren in «The Big Short» zwar recht grob skizziert, doch die zügige Erzählweise weiß davon gekonnt abzulenken. Da zudem Christian Bale seinem Schlagzeug spielenden Exzentriker trotz skripttechnischer Leerstellen eine vielschichtige Ausstrahlung verleiht, ist diese Tragikomödie auf Figurenseite stabil genug aufgestellt, um ihre eigentlichen Schwerpunkte zu stützen: Die originelle, an verrückte Kinospäße wie «Crank» erinnernde Verpackung. Und deren Inhalt: Die genau beobachtende Schilderung des unvermeidlichen Untergangs der Weltwirtschaft.

Weil McKay aufgrund vereinzelter, leiser Töne eine mehrdimensionale Sentimentalität an den Tag legt, fällt es nicht schwer, es den zentralen Figuren zu gönnen, dass ihre Vorhersagen eintreffen. Gleichwohl bleibt stets bewusst: Mit ihrem Triumph über die verlogenen Wirtschaftsspekulanten werden Millionen von Existenzen zerstört. Dieses moralische Dilemma kehrt der Regisseur nie unter den Teppich, was aber nicht heißt, dass er sich gen Schluss plötzlich pointierte Musikeinsätze und rasante Montagesequenzen verkneift. Und das zurecht: Wie sonst sollte man die bittere, lachhafte Story der Wirtschaftskrise aus der Sicht jener erzählen, die alles haben kommen sehen, als in Form einer verqueren, dramatisch-verrückten Tragikomödie?

Fazit: «The Big Short» braucht etwas, um in Gang zu kommen, und nicht alle Figuren in diesem satirischen Wirtschaftsdrama bleiben lang in Erinnerung. Trotzdem ist Adam McKay mit dieser geistreichen, bitteren Farce großes Kino gelungen: Der wilde «Wolf of Wall Street» trifft die Dramatik von «Der große Crash – Margin Call», den Idealismus eines Michael Moore und den frenetischen Stil der durchgeknallten Actionfilm-Posse «Crank»!

«The Big Short» ist ab dem 14. Januar 2016 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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