Wenn der Südwestrundfunk (beziehungsweise der damalige rheinland-pfälzische Südwestfunk) entscheidet, einer seiner Filme sei so grässlich, dass man ihn nie wieder zeigen soll, und ihn deshalb mit einem internen Sperrvermerk versieht, weckt das freilich das Interesse eines Kritikers. Noch mehr natürlich, wenn man nach 36 (!) Jahren entscheidet, ihn nun doch wieder der Öffentlichkeit vorzuführen.
So geschehen gestern Abend, als der SWR zu später Stunde die Uralt-«Tatort»-Folge „Der gelbe Unterrock“ zeigte. Erstausstrahlung: Februar 1980. Als die Mauer noch stand, Präsident Carter im Amt war und dieser letzte Fall von Nicole Heesters als Kommissarin Buchmüller direkt nach der Premiere in den Giftschrank wanderte, wo sonst nur unfreiwillig antisemitische oder besonders brutale «Tatorte» landen. Als Begründung führte man neben exzessiven Gewaltphantasien gegen junge Frauen auch die mangelhafte inhaltliche Qualität von Drehbuch und Umsetzung an.
Die Erwartungen waren also enorm: Mein Gott, muss dieser Film abscheulich sein! Wenn eine Sendeanstalt einen Film für unsendbar hält, die ohne mit der Wimper zu zucken jahrelang Klara-Blum-Krimis produzieren lässt und sendet, muss das etwas heißen.
Um es kurz zu machen: Ja, „Der gelbe Unterrock“ ist ein ziemlich mieser Film. Die Handlung macht wenig Sinn, die Führung seiner seltsamen Figuren ist in den besten Momenten psychologisch oberflächlich, in den schlimmsten ein Sammelsurium aus (schon damals) altbackenen Klischees, und Hauptfigur Kommissarin Buchmüller strahlt bei ihren Gesprächen mit Hinterbliebenen und Verdächtigen eine Kaltblütigkeit aus, dass es sogar Matthew McConaughey schaudern dürfte.
Der Film spielt in Mainz zur Fastnachtszeit: Am Morgen des rußigen Freitags wird uns Harry vorgestellt, ein sonderbarer Typ, zu dem uns sofort suggeriert wird, dass er in der Geschlossenen Psychiatrie wesentlich besser aufgehoben wäre als in der unbescholtenen Zivilgesellschaft. Überall in der Bude liegen Schnapsflaschen vom letzten versoffenen Karnevalsabend. Im Lauf des Vormittags macht er sich nach einem seltsamen Telefonat zur Wohnung der Familie Klefisch auf, zu der er sich Zutritt verschafft und dort die junge Apothekerin Marianne gefangen hält und sexuell nötigt, bevor er sie, als er denkt, gleich entdeckt zu werden, mit einem Kissen erstickt. Geschlagene drei (!) Sekunden lang braucht er für den Mord. Sogar ein Typ wie Harry sollte merken, dass da etwas nicht stimmen kann. Vor allem mit dem Drehbuch natürlich.
Dieses ist freilich zu beschäftigt, den durchgeknallten Harry Sätze wie „Deine Brüste sind wie Seide“ sagen zu lassen und ihn ins Pornokino zu schicken, wo er sich an „Liebesgrüße aus der Lederhose“ aufzugeilen versucht (vergeblich, falls Sie es genau wissen wollen). Stellenweise kommt man tatsächlich ins Grübeln, ob Franz Marischka, hätte er die Regie von „Der gelbe Unterrock“ übernommen, wirklich einen viel schlechteren Film gedreht hätte.
Der Vater der toten Marianne gibt nun zuerst deren Boyfriend die Schuld am Ableben seiner Tochter. Der sei ohnehin ein finsterer Geselle, schließlich arbeitet er als Fotograf, und das auch noch ohne Festanstellung. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, gemeinsam mit dem jungen Mann auf Lynchjustizzug zu gehen, um Marianne zu rächen. Gesagt getan: Sie schnappen sich eine Waffe, verkleiden sich als Cowboys und machen Jagd auf Fetisch-Harry. Das bedeutet aber nicht, dass Vater und Boyfriend immer gut miteinander auskommen. Ganz im Gegenteil: Beim gemeinsamen Zusaufen brechen wieder die alten Spannungen durch, in einer grandiosen Dialogpassage: „Heruntergezogen hast du sie! Auf dem Gewissen hast du sie!“ – „Nur, weil ich freiberuflich bin?“ Angesichts des sonstigen Zustandes dieses Drehbuchs ist man sich nicht sicher, ob der Autor (übrigens in Personalunion mit dem Regisseur) das ernst meinte oder als überkandidelte Persiflage auf den schon in den frühen 80ern anachronistischen Spießbürger.
So geht das die ganze Zeit. Über eineinhalb Stunden lang marschiert Nicole Heesters mit einem einzigen Gesichtsausdruck durch den Film, als hätte ein weiterer das Budget gesprengt, während das Buch versucht, aus dieser seltsamen Amalgamierung von zu Figuren gekleisterten psychischen Defiziten so etwas Ähnliches wie ein in sich stimmiges Handlungsgerüst zu konstruieren, was natürlich nicht einmal für eine Minute funktioniert. Prädikat: mit Karacho an die Wand gefahren.
Nur: Warum muss da gleich der Giftschrank herhalten? Sicher: „Der gelbe Unterrock“ ist ein verdammt schlechter Film. Aber es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn bei den mehreren Dutzend «Tatorten» der letzten zwei, drei Jahre nicht auch einer dabei gewesen wäre, der hinsichtlich seiner inhaltlich-künstlerischen Qualität zumindest in die Nähe dieses Elends käme.
Und auch die andere Begründung des Südwestfunks, die eingangs erwähnten exzessiven Gewaltphantasien gegen junge Frauen, halten zumindest einer heutigen Bewertung nicht mehr stand, sondern wirken im Vergleich mit aktuellen «Tatort»-Folgen eher dezent-zurückhaltend, fast schon ein bisschen verschämt. In drei Wochen werden Sie am Sonntagabend im Ersten schließlich sehen, wie ein nackter alter Mann noch mit dem Würgestrick um den Hals in seinem Wohnzimmerchen sitzt – und das wird wesentlich graphischer inszeniert als das bisschen Gehaue und Ersticke im „Gelben Unterrock“.
Aber richtig: Dort richtet sich die Gewalt ja auch gegen eine junge Frau. Ist das jetzt ein Double Standard, der 36 Jahre Giftschrank überlebt hat? Oder haben sich unsere Sehgewohnheiten (und damit wohl auch unsere gesellschaftlichen Konventionen) soweit verändert, dass wir wahlweise schon so abgestumpft oder nicht mehr so weinerlich sind und Gewalt in Filmen nicht mehr nur in verschämten Andeutungen ertragen?
Dann wäre „Der gelbe Unterrock“ tatsächlich noch zu etwas Nütze gewesen: nämlich als Zeitdokument für altbackene Vorstellungen davon, was man im Fernsehen zeigen darf und was nicht.