Die Kritiker

«Tatort: Totenstille»

von

Devid Striesow muss einen Todesfall klären und dafür lernen, mit Gehörlosen umzugehen: Ein «Tatort» mit Lehrauftrag und unstetem Tonfall.

Cast und Crew

  • Regie: Zoltan Spirandelli
  • Darsteller: Devid Striesow, Elisabeth Brück, Sandra Maren Schneider, Benjamin Piwko, Lena Stolze, Franz Hartwig, Hartmut Volle, Sandra Steinbach
  • Drehbuch: Peter Probst und Julia Probst
  • Kamera: Simon Schmejkal
  • Schnitt: Magdolna Rokob
Der Münsteraner «Tatort» hat bekanntlich nicht nur Millionen von Fans, sondern auch diverse harsche Kritiker. Doch es gibt ein Patentrezept, um vorzuführen, wie handwerklich gelungen die Fälle aus der Studenten- und Fahrradstadt eigentlich sind: Ein Blick nach Saarbrücken genügt. Auch dort wird gescherzt und überzeichnet, und mit Devid Striesow steht ein charismatischer Schauspieler im Mittelpunkt, der über Kinoformat verfügt. Aber während in Münster der Kriminalulk über die Jahre perfektioniert wurde, holpern und stolpern die Kollegen in Saarbrücken noch durch Anfangsschwierigkeiten. Der neuste Fall, mit dem Titel „Totenstille“ versehen, hat weiterhin einige tonale Probleme, allerdings muss man ihm zugutehalten: Er traut sich, aus dem Rahmen zu fallen.

Ermittelt wird in der Community der Gehörlosen: Der gehörlose Ben Lehner (Benjamin Piwko) liest an den Lippen eines Mannes ab, dass dieser des Ehebruchs schuldig ist und bei der von Amphetaminen angestachelten Nummer seine Affäre gestorben ist. Nun fleht er am Telefon einen Freund um Hilfe an – da Lehner Geld benötigt, erpresst er den Ehebrecher. Doch kaum hat Lehner das „Schweigegeld“ erhalten, wird seine Freundin tot aufgefunden ...

Um Authentizität zu wahren, hat das «Tatort»-Team sämtliche gehörlose Rollen, denen Striesows kauziger Kommissar Stellbrink während der Ermittlungen begegnet, mit Menschen besetzt, die tatsächlich gehörlos sind. Darüber hinaus erhielt Peter Probst, der Hauptverantwortliche für das Skript, Unterstützung durch die gehörlose Twittererin Julia Probst (nicht verwandt und nicht verschwägert), die unter anderem für ihr Lippenlesen bei Fußballspielen digitalen Ruhm erlangt hat. Konsequenterweise bleiben solche Peinlichkeiten aus, die es bei anderen «Tatort»-Teams gelegentlich zu beobachten gibt, wenn sensible Themen behandelt werden – man denke an den arg missverständlichen «Tatort: Türkischer Honig» aus Leipzig zum Thema Mord unter Deutschtürken (mehr dazu).

Wenn Figuren veraltete Denkweisen aufleben lassen, werden sie sofort gemaßregelt – etwa, wenn Stellbrink den Terminus „taubstumm“ benutzt, und ihn die neue Kommissaranwärterin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider) anfährt: „Taubstumm sagt man nicht. Das ist genauso diskriminierend wie Zigeuner oder Neger.“ Daraufhin wird das Wort zu den Akten gelegt. Etwas begriffsstutziger ist Stellbrink im Umgang mit Gehörlosen, wenn sein Geduldsfaden zu reißen droht: Bei Befragungen wird der Kommissar zunächst lauter und ungehaltener, wenn er nicht die Antworten bekommt, die ihm belieben – dass ihn sein Umfeld wiederholt daran erinnern muss, dass dies zu nichts führt, hat vielleicht einen pädagogischen Effekt für den Zuschauer (nach dem Motto: „Wenn wir es fünf Mal sagen, kapiert das Publikum es vielleicht!“), ist aber auch anstrengend und stellt die Figur dümmer dar, als sie sonst gezeichnet wird.

Generell wird in diesem Neunzigminüter die Belehrungsfunktion größer geschrieben als der eigentliche Handlungsstrang. Eingestreutes Fachwissen, wie der Umstand, dass es verschiedene Grade des Taubseins gibt, dass die Gebärdensprache erst seit 2002 offiziell anerkannt wird und noch immer umstritten ist und dass Gehörlose basslastige Musik spüren und so genießen können, ist zwar spannend, wird aber stellenweise mit dem Brecheisen in den Storyverlauf gehebelt. Und dass Stellbrink letztlich mittels Ohrenstöpseln und Schalldämpfern vor dem Straßenlärm flieht, um sich in Gehörlose hineinzuversetzen, und daran großen Gefallen findet, wird von Regisseur Zoltan Spirandelli so verkitscht inszeniert, dass es sich der Grenze zur Persiflage nähert. Auch abseits des Umgangs mit dem Thema Gehörlosigkeit will der «Tatort» nicht immer zielsicher zwischen „ulkig“ und „lächerlich“ trennen: Der die Handlung ins Rollen bringende Ehebruch wird etwa zwischen eine Dialogszene geschnitten, und die Übergänge zwischen abgedrehtem Sex und trockenen Gesprächen könnten auch aus einer mageren US-Komödie stammen.

Deutlich denkwürdiger sind jene Sequenzen, in denen die Gehörlosen unter sich sind – der wortlose, dennoch hochemotionale Streit eines Liebespaares beispielsweise zeigt, wie stark ein «Tatort» zu diesem Thema sein könnte. Diese Szene funktioniert ohne spürbaren pädagogischen Beiklang und dafür mit einer Figurenkonstellation, die wie geschmiert läuft. Wenn sich Stellenbrink dagegen durch sein Kollegium bewegt, hapert es: Seine Figur ist ein Einzelgänger, wenngleich keiner der mürrisch-depressiven Sorte wie etwa seine ZDF-Kollegin «Helen Dorn». Aber selbst ein humoriger Einzelgänger wird uninteressant, wenn er sich bemüht freundlich, jedoch bestimmt aus den zahlreichen Szenen zu manövrieren versucht, in denen er mit Anderen interagieren muss. Einen einsamen Wolf wie Stellbrink dürften die «Tatort»-Macher gern vom ihm umgebenden Figurenrepertoire befreien und ohne Zwangskontakte auf Verbrecherjagd schicken – und dann hätte der Saarbrückener «Tatort» auch ein Alleinstellungsmerkmal. Er wäre nicht weiter „Münster light“, sondern „«Helen Dorn» oder «Operation Zucker» in humorig“. Das klingt doch nach was!

«Tatort: Totenstille» ist am 24. Januar 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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