Die Kino-Kritiker

«The Forest»

von

Natalie Dormer sucht ihre verlorene Zwillingsschwester an einem Ort, an dem man besser keine Zwillingsschwestern suchen sollte. Und das Schlimmste: Den sogenannten Selbstmordwald Aokigahara gibt es wirklich.

Filmfacts: «The Forest»

  • Kinostart: 04. Februar 2016
  • Genre: Horror
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 93 Min.
  • Musik: Bear McCreary
  • Kamera: Mattias Troelstrup
  • Buch: Nick Antosca, Sarah Cornwell, Ben Ketai
  • Regie: Jason Zada
  • Darsteller: Natalie Dormer, Eoin Macken, Stephanie Vogt, Taylor Kinney, Yûho Yamashita
  • OT: The Forest (USA 2016)
Den unheimlichen Selbstmordwald Aokigahara gibt es wirklich. Er liegt am Fuße des Mount Fuji in Japan und erstreckt sich über ein Gebiet von mehr als 35 Quadratkilometern. Übersetzt bedeutet Aokigahara soviel wie „Meer aus Bäumen“, was ziemlich genau beschreibt, was diesem Wald zu seiner traurigen Berühmtheit als Pilgerstätte für Suizidgefährdete verholfen hat. Die eintönige Flora, das schwer zugängliche Gebiet und der dichte, nahezu undurchdringliche Baumwuchs lassen Besucher dieser Region schnell die Orientierung verlieren. Es heißt: Wer den Wald einmal betritt, der findet nicht wieder hinaus. Beflügelt von einem in Japan der Allgemeinheit bekannten Roman, in welchem der Protagonist schon im Jahr 1960 im Aokigahara seinen suizidalen Tod fand, und angeheizt von urbanen Legenden darum, dass die Seelen der Toten in diesem finsteren Ort keine Ruhe finden, machte sich der Wald alsbald selbst zu einem Mythos. Seit Anfang der Siebzigerjahre wird der Aoigahara mehrmals pro Jahr von Polizei und Feuerwehr nach Leichen durchsucht. Sogar Schilder mit Hinweisen auf die ortsansässige Telefonseelsorge wurden aufgestellt. Trotzdem steigt die Zahl der Toten, die Jahr für Jahr aus dem Aokigahara gefischt werden, stetig an. 2008 überschritten die Beamten erstmals die morbide Marke der Dreistelligkeit.

All dieser Tragik zum Trotz bietet sich ein solcher Ort förmlich an, um im Rahmen eines Films – egal welches Genres – genauer fokussiert zu werden. Doch «The Forest», jene Horrorproduktion um die es hier gehen soll, ist nicht das erste Filmprojekt, das sich mit dieser japanischen Spukstätte auseinandersetzt. Im Mai des vergangenen Jahres stellte Gus Van Sant sein Mystery-Drama «Sea of Trees» in Cannes vor. In diesem begibt sich «True Detective»-Star Matthew McConaughey in den Selbstmordwald, um seinem Leben hier ein Ende zu setzen. Dieses Unterfangen endete schließlich in einer philosophischen Sinnsuche – und der Film offenbar im Giftschrank von Verleih und Geldgebern. Bei den Kritikern fiel «Sea of Trees» gnadenlos durch. Hierzulande steht seit der Fertigstellung seit einem knappen Jahr nach wie vor kein Starttermin fest. «The Forest» bekommt immerhin sofort eine Chance. Der Dreh- und Angelpunkt ist zwar in beiden Filmen derselbe; immerhin stiehlt der Wald selbst sowohl in «Sea of Trees», als auch in «The Forest» sämtlichen Darstellern die Show. Doch anders als in Matthew McConaugheys Versuch, durch Schwadronieren Belang zu erzielen, entschied sich «The Forest»-Regisseur Jason Zada dafür, sich nicht auf den alleinigen Unterhaltungswert ebenjenes Waldes zu konzentrieren. Besonders in der zweiten Hälfte spielt er gezielt mit den Erwartungen des Publikums und reichert die Kulisse, ohne Zweifel seine größte Trumpfkarte, mit hintersinnigen Thrillerelementen an. Schade ist nur, dass sich der Film zu Beginn ordentlich unter Wert verkauft.

Als die junge Amerikanerin Sara (Natalie Dormer) erfährt, dass ihre Zwillingsschwester Jess unter mysteriösen Umständen im japanischen Selbstmordwald Aokigahara verschwunden ist, spürt sie instinktiv, dass ihre Schwester sich nicht umgebracht hat, sondern noch lebt. Ohne zu zögern fliegt Sara nach Japan und macht sich auf die Suche. Sie ignoriert alle Warnungen der Einheimischen, die Waldwege nicht zu verlassen, und durchstreift zusammen mit dem Journalisten Aiden (Taylor Kinney) das finstere Dickicht. Immerhin finden sie bald Jess’ Zelt – von der Vermissten jedoch fehlt weiterhin jede Spur. Stattdessen beginnt der Wald, sich von seiner grauenvollsten Seite zu zeigen und die Chancen darauf, den Weg hinaus zu finden, schwinden von Sekunde zu Sekunde.

«The Forest» ist in erster Linie ein Horrorfilm der alten Schule. Regisseur Jason Zada, für den dieses Projekt sein Debüt im Spielfilmsektor markiert, lässt mit Querverweisen auf «The Ring», «Evil Dead» und «Drag Me To Hell», die er als Vorbilder für sein Verständnis für einen guten Horrorfilm nennt, keinen Zweifel aufkommen, dass es ihm hier nicht um das bloße Abhaken klassischer Grusel-Elemente geht, sondern in erster Linie um das Erzählen einer interessanten, im Endeffekt sogar doppelbödigen Geschichte geht. Bis man als Zuschauer zu dieser Erkenntnis gelangt, dauert es allerdings eine ganze Weile. Zunächst ist der Regisseur nämlich ärgerlich lang damit beschäftigt, einen Jump-Scare nach dem nächsten zu inszenieren. Liebhaber des grobmotorischen Horrorkinos werden sich vermutlich gar nicht so sehr daran stören. Und natürlich gehört zu einem allumfassenden Gruselerlebnis auch ein simples Aufschrecken aufgrund eines überraschenden Geräuschs oder des plötzlichen Auftauchens einer Kreatur. Da die Drehbuchautoren Nick Antosca («Hannibal»), Ben Ketai («Chosen») und Sarah Cornwell diese vorzugsweise in Traumsequenzen und Wahnvorstellungen platzieren, stellt sich dieser Schwerpunkt dem Storytelling nicht zu sehr in den Weg. Trotzdem stört es den konstanten Aufbau der sich sukzessive als immer beklemmender erweisenden Atmosphäre.

Besagte Atmosphäre baut sich erwartungsgemäß ab dann so richtig auf, wenn Sara endlich den Schritt in Richtung Aokigahara wagt. Bis es soweit ist, vergeht allerdings viel Zeit. Mit dem Ziel, Sara als interessanten Charakter zu etablieren, bringt der Film viel Zeit dafür auf, ihr Eintreffen in Japan und ihre erste Begegnung mit Aiden zu zeigen. Trotz Jump-Scare-Übersättigung und einer allgemein recht behäbigen Erzählweise geben diese Szenen Aufschluss über die Protagonistin. Nathalie Dormer («Die Tribute von Panem, Mockingjay») changiert fein zwischen Entschlossenheit, Naivität und stetig steigendem Wahnsinn und macht Sara dadurch zu einem nahbaren Charakter. Gleichzeitig geben sie einen Einblick in die Unberechenbarkeit von «The Forest»: Eine Szene, in welcher Sara vom Tod ihrer Eltern erzählt, zeigen Bilder eines Mordfalls, während Saras Voice-Over einen Autounfall beschreibt. Der Zuschauer wird sogleich in eine beunruhigende Position gedrängt und muss sich nicht nur die Frage stellen, welche Version dieser Erzählung die richtige ist, sondern auch, wie sehr sie der (vermeintlichen?) Protagonistin trauen kann. Dasselbe gilt auch für Aiden. «Chicago Fire»-Star Taylor Kinney stattet seine Figur mit einer ordentlichen Portion Charisma aus, behält sich eine gewisse Form der Undurchsichtigkeit jedoch bis zum Ende vor. Dies wird sich im weiteren Verlauf des Films noch als besonders wichtig erweisen, denn mit der Zeit offenbart sich, dass man nicht (nur) die Geister des Waldes, sondern auch sein Gegenüber, vor allem aber sich selbst fürchten sollte.

Verlagert sich die Handlung von «The Forest» erst einmal auf den Wald, steigt die Spannungskurve stetig. Das Entsetzen um die realistischen Umstände in diesem Dickicht mit seinen an Bäumen hängenden Leichen, seinen Orientierungsfäden, die sich Suizidkandidaten von Baum zu Baum spannen, um im Ernstfall doch noch den Weg hinaus zu finden, und der beklemmenden Vegetation machen die Kulisse zum Star des Films. Wenngleich die Verantwortlichen nicht an Originalschauplätzen drehen durften, unternimmt Kameramann Mattias Troelstrup («Frankie Go Boom») alles, um dem Zuschauer zu vermitteln, mit was für einem Monstrum von Wald es die Darsteller hier zu tun haben. Später integriert das Skript übernatürliche Elemente in die Handlung, bei denen sich jedoch stets die Frage stellt, ob diese im Hier und Jetzt verankert sind, oder lediglich der Fantasie von Sara entspringen. Der Twist, mit welchem das Geschehen auf der Zielgeraden schließlich aufgelöst wird, erinnert in seiner fiesen Unberechenbarkeit gar an die Anfangswerke von M. Night Shyamalan, dürfte aber auch gerade aus diesem Grund streitbar sein. So lässt sich «The Forest» eines aber schon mal nicht vorwerfen: Vorhersehbarkeit. Und genau darauf kommt es ja heutzutage an, im guten alten Horrorgenre.

Fazit: Zu Beginn setzt Regisseur Jason Zada zu sehr auf billig erhaschte Schockeffekte, doch wenn sich der Filmemacher in der zweiten Hälfte erstmal auf die psychische Wirkungskraft seiner Geschichte verlässt, wird aus «The Forest» ein kreativ-beklemmendes Stück Gruselkino, das den Zuschauer mit einer knackigen Schlusspointe aus dem Kinosaal entlässt.

«The Forest» ist ab dem 4. Februar bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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