Die Kritiker

Früher war mehr Event bei Ulmen und Tschirner

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Die Kritiker: «Der treue Roy» ist der erste Weimar-«Tatort», der nicht als Sonderprogrammierung gezeigt wird. Ist auch qualitativ ein Unterschied bemerkbar?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Christian Ulmen («Herr Lehmann») als Lessing, Nora Tschirner («Keinohrhasen») als Kira Dorn, Thorsten Merten («Spreewaldkrimi») als Kurt Stich, Fritzi Haberlandt («liegen lernen») als Siegrid Weischlitz, Florian Lukas («Good Bye, Lenin!») als Roy Weischlitz, Thomas Wodianka als Karsten „Flamingo“ Schmöller, Sebastian Hülk («Ghetto») als Frank Voigt, Matthias Matschke («Pastewka») als Johann Ganser und viele mehr


Hinter den Kulissen:
Regie: Gregor Schnitzler, Buch: Murmel Clausen und Andreas Pflüger, Musik: Christopher Bremus, Kamera: Ralf Noack, Schnitt: Kai Schröter, Produzenten: Nanni Erben, Quirin Berg und Max Wiedemann, Produktion: Wiedemann & Berg Television

Zunächst war er als einmalige Eventprogrammierung geplant, sicherlich schon mit dem Gedanken an eine Fortsetzung. Am 2. Weihnachtsfeiertag des Jahres 2013 schaffte es der «Tatort» aus Weimar zum ersten Mal auf die deutschen Fernsehschirme. Wenig mehr als ein Jahr später gab es für die Zuschauer einen zweiten Film der Reihe, am Neujahrstag 2015, also wieder auf einem herausgehobenen Sendeplatz. Nun, Mitte 2016, müssen die Ermittler Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) erstmals an einem ganz normalen Sonntag die Zuschauer überzeugen. Neben der Alleinfinanzierung durch den MDR hat diese Abkehr vom Besonderen auch eine weitere ganz konkrete Auswirkung: Für eine wiederkehrende «Tatort»-Reihe ist das Team damit fest gesetzt. Es geht also in höherer Schlagzahl weiter.

Stellt sich die Frage, ob nach zwei qualitativ starken Filmen zu Beginn nun auch der dritte Film, nun als „normale“ Produktion, mithält. «Der treue Roy», so heißt der neue Fall des Ermittler-Duos Lessing und Dorn, zieht den Zuschauer gleich in die dreckige Welt von Hochöfen und Stahlwerken, von einfachen Verhältnissen und derben Typen. Klar, dass sich dort auch eine Leiche findet. Wobei es sich nach dem Verbrennen bei Temperaturen zwischen 600 und 800 Grad Celsius mehr um Überreste handelt als um eine konkrete Leiche. Der Zuschauer jedenfalls muss befürchten, dass ihm Roy Weischlitz gar nicht so treu bleibt, wie es der Titel des Films doch eigentlich verspricht: Die DNA der gefundenen Leichenteile stimmt nämlich mit der Roy zugeordneten überein. Ist der Titel da eventuell ein Hinweis?

Steckbrief

Frederic Servatius schreibt seit 2013 für Quotenmeter. Dabei ist er zuständig für Rezensionen und Schwerpunktthemen. Wenn er nicht für unser Magazin aktiv ist, arbeitet er im Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder schreibt an seinem Blog. Immer wieder könnt Ihr Frederic auch bei Quotenmeter.FM hören. Bei Twitter ist er als @FredericSrvts zu finden.
Doch auch wenn Roy einen Abschiedsbrief hinterlassen hat, nach Selbstmord sieht es nicht aus. Und so führen die Ermittlungen zu Roys Schwester Siegrid, die sich jedoch schnell in Lügen verstrickt. Damit tun sich die Abgründe der Geschwisterbeziehung auf: Roy fühlte sich verantwortlich dafür, dass sein ehemaliger bester Freund Karsten, der zugleich Siegrids Verlobter war, bei einem Unfall sein Bein verloren hat. Karsten, der fortan zynischerweise nur noch „Flamingo“ genannt wurde, kam damit nicht klar und trennte sich aufgrund psychischer Probleme von Siegrid. In Roys Wohnung finden die Ermittler zudem die Lottoscheine der vergangenen Jahre, auf dessen Rückseite Roy Tagebuch geführt hat. Nur der letzte Schein fehlt – und der Blick auf die Lottozahlen verrät warum: Siegrid und Roys gemeinsame Zahlen sind gefallen, wenn der Schein auftaucht wären das über drei Millionen Euro. Doch darin liegt nicht der einzelne Fallstrick der Produktion. So hatte Roy auch noch etwas mit einer Prostituierten und deren Zuhälter zu tun. Das Schöne: Auch wenn man meist antizipiert, dass die Dinge anders sind als sie scheinen: Wie es nun wirklich ist, weiß man oft dennoch nicht.

Ein süßes Fachwerkhaus für Lessing und Dorn?


Etwas klarer ist das Bild da im Privatverhältnis der Kommissare: Während Lessing ein süßes Fachwerkhaus in Weimar kaufen will und dabei wie immer fleißig Goethe zitiert, hat Dorn eher das Gefühl etwas zu verpassen und möchte eventuell noch einmal in eine andere Stadt, hat aber vor allem wenig Lust auf Stuckdecken und enorme Heizkosten. Dabei spielen sich die Ermittler gewohnt sicher die Bälle zu, beispielsweise, wenn sie im Beisein ihres neuen Kollegen die Lästereien über eben diesen beginnen. Hier ist der Humor auch schön subtil, ohne Holzhammer. Beide haben aber auch wieder ihre Reibungspunkte, vor allem dann als Dorn mit dem Staplerfahrer im Stahlwerk schnackt um Informationen zu bekommen, dieser ihr eine Avance nach der anderen macht – und Lessing das ganze wiederum in der Überwachungskamera mit ansehen muss. Dass der Staplerfahrer jede einzelne Silbe betont, als würde er dafür einen Bonus erhalten, stört die ohnehin zu offensichtliche Szenerie zusätzlich. Gerade aber die Häufung solcher Szenen sorgt beim dritten Fall der Ermittler dafür, dass die Produktion ein Stück weit zu klamaukig wird. Einzeln betrachtet mag es unterhaltsam sein, wenn ein Reporter bei einer TV-Aufnahme genau die gleichen Fragen stellt, die auch Lessing und Dorn haben. Wenn so etwas aber ständig passiert, dann entfernt sich eine Produktion womöglich zu sehr vom Krimi-Dasein.

Doch um das gleich klar zu machen: Natürlich lebt das Format von den schrulligen Charakteren auf der einen Seite und dem amüsant ausgestalteten Verhältnis der Kommissare auf der anderen Seite. Und so sorgt es eben schon für Lacher, wenn Siegrid Weischlitz ganz ernsthaft von ihrem van Gogh spricht, der sich als Puzzle mit fehlenden Teilen herausstellt oder, wenn Lessing kleinteilig von der Kakteensammlung aus seiner Schulzeit berichtet. In solchen Sequenzen gelingt die Gratwanderung zwischen Parodie, Krimi und Komödie besser, vor allem weil der Fall daneben nicht untergeht. Doch insgesamt erschien das Verhältnis der ersten beiden Filme noch ausgewogener. Das ist insbesondere verwunderlich, weil das Autoren-Duo Andreas Pflüger und Murmel Clausen eigentlich Kontinuität verspricht, das Versprechen diesmal jedoch nur teilweise einhält.

Matschke an Bord: Ein guter Cast wird noch besser


Wenig Vorwürfe kann man den Verantwortlichen bei der Besetzung machen: Als wäre die Reihe nicht ohnehin schon hochkarätig besetzt, kommt als Kriminaltechniker Matthias Matschke hinzu, der nicht nur durch «Pastewka» Erfahrungen aus dem komischen Fach mitbringt. Er agiert dabei nicht gerade als Vollsympath und darf sich dem Hass seiner Kollegen sicher sein. Dazu kommt die ebenfalls nicht unbekannte Fritzi Haberlandt, die den weiblichen Part des nicht mehr vereinten Duos Siegrid und Roy aber an vielen Stellen überdreht und damit gelegentlich einen Tick zu viel preisgibt. Mit auffälliger Theater-Mimik zeigt sie doch recht genau, wann immer sie nicht die Wahrheit erzählt.


Wirklich intensiv wird es insgesamt vornehmlich direkt zu Beginn und dann wieder gen Ende. Teilweise sind die Story-Kniffe hier absehbar, oft aber auch überraschend. Die durchaus drastische Gewalt wird (anders als unter anderem bei Schweiger-«Tatorten» oft gesehen) nicht als Mittel zum Zweck eingesetzt sondern bringt die Handlung tatsächlich weiter. Doch wer jetzt warum gegen wen ist und wer was warum macht, wirkt gerade gen Finale zumeist beliebig. Das ist mitunter auch beabsichtigt, soll es doch die konfusen Verästelungen untermalen. Dennoch ist das daraus entstandene Konstrukt ähnlich schwach, wie die verhunzte Tschirner-Superhelden-Hommage gen Ende: „Der Mann aus Stahl hat sein Kryptonit gefunden“.

Aber so böse das alles klingen mag, so schlimm ist der neue Weimar-Fall keineswegs. Denn dramatisch ist die Produktion fraglos genauso wie unterhaltsam. Alleine die Balance gelingt nicht ganz so toll, manch einen Kalauer hätten die Autoren auch weglassen dürfen. Das aber ist zweifelsohne schon eine Klage auf hohem Niveau. Denn auch wenn er schwächer ist als die Vorgänger, so bleibt Weimar jung und hat definitiv mehr als nur eine Daseinsberechtigung im «Tatort»-Universum. In der Besetzung haben die Verantwortlichen sogar noch eine Schippe draufgelegt. Und trotz oder gerade wegen der ganzen Lacher bleibt das Produkt eben doch meist glaubhaft: Die Gags wirken in eine mögliche Realität eingeflochten und stehen nicht neben dem Geschehen; sie finden in der Story ihren Platz. So tun abgehalfterte Denglisch-Jokes à la „But we must before noch wat erledigen“, nicht so weh wie sie es vielleicht bei manch anderem Film tun würden. Und überhaupt: Aus Zuschauersicht darf es beim «Tatort» doch bekanntermaßen ganz gerne heiter bis tödlich zugehen. Glücklicherweise aber auf eine ganz andere Art, als es die Kollegen aus Münster machen.

«Tatort: Der treue Roy» läuft am Sonntag, 24. April um 20.15 Uhr im Ersten.

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