Schwerpunkt

Ein Blick zurück und einer nach vorn: Die aktuelle «Tatort»-Lage

von   |  9 Kommentare

Vor Beginn der neuen «Tatort»-Saison ziehen wir ein Zwischenfazit und schauen auf kommende Höhepunkte: Wenn Hochburgen ins Schwanken geraten und ehemals uninteressante Standorte mit Ideen punkten ...

Die jüngste «Tatort»-Vergangenheit


Die Renaissance des «Tatorts» war auch in der vergangenen Fernsehsaison ungebrochen. Woche für Woche fährt das Format (oder das kaum von ihm zu unterscheidende DDR-Fernsehen-Relikt «Polizeiruf 110») exzellente Reichweiten ein und gilt als eines der letzten Lagerfeuer der hiesigen Fernsehlandschaft. Kurz: Die Deutschen stehen drauf.

Das sagt jedoch nicht nur etwas über den anhaltenden Erfolg der Reihe aus, sondern auch über ihre Zuschauer, über ihre Präferenzen, vielleicht auch über ihre Weltsicht: nicht selten etwas biedere Krimis mit Ermittlern, die oft ein bisschen von gestern sind. Mordfälle, herumgeschrieben um soziale Brandthemen, die dann lieber populistisch als diskursiv verhandelt werden. Und eine Welt, deren Ordnung am Schluss ausnahmslos wiederhergestellt wird, nachdem der Schuldige ermittelt und seiner gerechten Strafe zugeführt worden ist.

Es gibt Brüche in diesem etwas klischeehaften Leitbild: Den Meta-Krimi aus Wiesbaden zwischen den Jahren zum Beispiel, oder die herausragenden Einzelstücke aus Köln und Konstanz – ausgerechnet zwei «Tatort»-Metropolen, die in der Vergangenheit nicht durch spannende Plots, einnehmende Figuren oder innovative Erzählweisen aufgefallen sind, sondern durch deren Gegenteil: Behäbigkeit, das formstarre Abspulen ideenarmer Handlungsversatzstücke, schemenhafte Dialoge, auserzählte Charaktere. Die vergangene Saison hat gezeigt: Auch mit uralten Rollen lassen sich noch spannende Geschichten erzählen, wenn man denn den richtigen Zugang zu ihnen findet. Dass «Kartenhaus» und «Rebecca», so die Titel der beiden Ausnahme-Folgen, mit die besten Einschaltquoten am ARD-Sonntagabend eingefahren haben, zeigt, dass auch der vermeintlich Gewohntes bevorzugende Zuschauer auf diesem Sendeplatz solche neuen Ansätze zu schätzen – und zu honorieren – weiß.

Einstige Eckpfeiler der Innovation innerhalb der «Tatort»-Marke haben dagegen weiter abgebaut: Die einst mit erstaunlicher narrativer Dichte und psychologischer Komplexität erzählte Dortmund-Reihe ist zu einem Sammelsurium des Beliebigen geworden, zum Durchschnitt des Durchschnitts, weit unter den ehemaligen Ansprüchen. Und die Wiener Kollegen Eisner und Fellner, die einmal mit erstaunlicher Schonungslosigkeit Themen wie organisierten Kindesmissbrauch und gefährliche Seilschaften im Land der Berge angegangen sind, begnügen sich nun mit diffusen Allerweltsstoffen um Intrigen in Casting-Shows und fahrig heruntergeschriebenen Episodenhauptrollen mit nicht näher klassifizierbaren küchenpsychologisch erzählten kognitiven Fehlfunktionen.

Es klingt ein bisschen wie verkehrte Welt: Aber wenn die ehemaligen «Tatort»-Spitzenmetropolen Dortmund und Wien von den ehemaligen Krimi-Entwicklungsstädten Köln und Konstanz lernen würden, wäre viel gewonnen.

vorherige Seite « » nächste Seite

Kurz-URL: qmde.de/87558
Finde ich...
super
schade
82 %
18 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelFilmcheck: «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten»nächster ArtikelBoop Boop!
Es gibt 9 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
19.08.2016 12:54 Uhr 1
Dortmund ist behäbig geworden?? Das können aber auch nur Kritiker schreiben....der ist immer noch mit der Beste!
Anonymous
19.08.2016 13:21 Uhr 2
Die "Das kann nur ein Kritiker schreiben"-Masche bei jeder Meinungsverschiedenheit zu bringen, wird aber langsam alt ...



Widersprechen kannst du natürlich, aber schieb es nicht auf den Berufsstand, erst recht, wenn die Meinung eben nicht exklusiv bei Kritikern zu finden ist.



In der von Usern bestimmten Rangliste aller "Tatort"-Folgen bei "Tatort-Fundus" liegt die Episode "Hundstage" aus Dortmund auf Rang 505. Zum Vergleich: Der Vorläufer "Kollaps" auf Rang 388, dessen Vorgänger "Schwerelos" auf 634. So weit, so nah beienander. Aber zuvor? "Hydra" auf Rang 45, "Auf ewig Dein" auf Platz 56. Ein klares Hoch, das die Reihe da hatte. Davor wiederum: "Eine andere Welt" auf Rang 451, "Mein Revier" auf Platz 482 und "Alter Ego" auf Platz 588.



In den Augen dieser User gab es also einen klaren Aufwärtstrend, der nun wieder rückgängig gemacht wird. Dem muss man keineswegs zustimmen! Aber was soll man da antworten, wenn man dem nicht zustimmt? "Das können ja nur Zuschauer schreiben" wohl kaum ...
Sentinel2003
19.08.2016 13:25 Uhr 3




Sorry sid, dann überlege ich mir demnächst was besseres, ok??



Ich fand Hundstage und Kollaps sehr gut!! Du kannst das Sehverhalten aller Zuschauer aber nicht grundsätzlich von Umfragen abhängig machen!



Siehe die imdb, was wir schon mal hatten: da liegen Filme in der Top 10 oder Top 100, die fast nur Männer in den End Zwanzigern abgestimmt haben!
Anonymous
19.08.2016 13:48 Uhr 4


Klar, ich wollte auch nicht suggerieren, "Tatort-Fundus" sei nun repräsentativ. Muss es auch nicht sein. Aber die Masche "Ich teile die Meinung nicht, also ist sie falsch weil " ist halt auch was wackelig, da beliebig. Manche Zuschauer finden, das Team in Dortmund hat nachgelassen, und manche von denen sind Kritiker und andere nicht ...



Entschuldigung ist aber angenommen. :wink:
P-Joker
19.08.2016 14:47 Uhr 5
Einen Fehler beherbergt dieser Bericht allerdings.



Kurz vor Schluss heißt es: "Der Krimi aus Wiesbaden wurde allein auf einem Treatment basierend gefilmt, also ohne konkretes Skript."



Es handelt sich richtigerweise aber nicht um den in Wiesbaden, sondern den in Ludwigshafen mit "Lena Odenthal".
Anonymous
19.08.2016 16:56 Uhr 6
Korrekt. Danke für das scharfe Auge.
Sentinel2003
19.08.2016 19:04 Uhr 7
Allerdings muß ich sid aber auch RRecht geben in Sachen Köln! Ich habe den zum Anfang sowas von gerne gesehen!! Mittlerweile sehe ich den garnicht mehr, da viel zu langweilig! Ausserdem hat mich auch massiv gestört, statt eine weitere weibliche Assistentin haben Sie nun einen männlichen, warum nur??
BungaBunga
19.08.2016 20:26 Uhr 8
Ich finde man sollte sich selbst natürlich keine zu großen Grenzen beim entwickeln der Tatorte setzen allerdings sollte man schon etwas den Markenkern und das Genre und somit auch etwas die potenziellen Erwartungen der Zuschauer berücksichtigen. Die von den Kritikern gefeierten Murot Tatorte mögen für sich gesehen ja tiegfgründige und anspruchsvolle Filme sein, sie passen aber aus meiner Sicht nicht in diese Reihe. Und auch die Tendenz sich zwanghaft massiv abheben zu müssen, ist nicht ganz unbedenklich. Von zu gewagten Experimenten sollte man im Rahmen einer etablierten Reihe doch absehen, auch wenn natürlich eine kontinuierliche Evaluierung stets angebracht ist. Aber ein Tatort ohne Skript, ich weiß nicht ob es sowas braucht, als eigenständiges Filmprojekt im Ersten hingegen kann man das ja durchaus probieren. Was die Kritiken bezüglich Dortmund und Wien angeht, da kann man nur zustimmen, die Fälle haben ihr inhaltliches und komplexes Niveau nicht ganz halten können. Jetzt muss man aber auch sagen, dass es bei einem so kontinuierlichen Format auch schwierig ist durchgängig Geschichten mit einer solchen inhaltlichen Konstitution zu erzählen, zum einen wird das Niveau von der Erzählweise und der Struktur einer Geschichte geprägt aber natürlich ist es auch vom Fall selbst abhängig. Da ist dann natürlich auch darauf zu schauen, dass man eine Abwechslung bietet. Die Wiener Tatorte finde ich aber weiterhin dennoch stark oftmals aufgrund der sozial und gesellschaftskritischen Themen aber auch aufgrund des sehr gut angelegten Ermittlerpaares, dass man mittlerweile ja auch mit etwas Humor ausgestattet hat Beim Kölner Tatort hatte ich zuletzt oft den Eindruck, dass man dort überhaupt kein qualitatives Normniveau mehr hat, da schwankt die QUalität der Folgen wirklich enorm, von sehr spannend und visuell eindrucksvoll zu absurd und inhaltlich unbefriedigend. Insgesamt hat man aber schon für eine Diversifikation bei der Reihe gesorgt, indem den einzelnen Ablegern schon ein eigenes Profil und eine eigenständige Ausrichtung verliehen hat. Beim etwas düsteren oftmals psychologisch bestimmten Kiel über den teils mit Action überfrachteten aus Hamburg hier LKA Version gemeint, über den stark humorigen aus Münster, den vielfältigen aus Stuttgart, den ebenfalls vielfältigen aus Bremen über den speziellen aus Wiesbaden bis zum lustig und symphatisch eigenartigen aus Weimar.
Sentinel2003
19.08.2016 22:43 Uhr 9
Man muss auch erstmal sehen, was mit dem Dortmunder nach dem Abgang des Ermittlers passieren wird! Ich hoffe mal, das der Abgang keinen bleibenden Eindruck hinterlassen wird....jedenfalls werde ich zumindest diese Figur nicht vermissen....

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner Veit-Luca Roth

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung