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Wenn die Studiotüren früher oder gar nicht aufgehen

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Wenn in Brasilien in den kommenden Wochen die Paralympics gefeiert werden, ist das die prominenteste Plattform für Menschen mit Behinderung im TV. Und sonst? Vier Eindrücke aus dem deutschen Fernsehen.

Ich erkenne nichtbehinderte Schauspieler, die behinderte Menschen spielen, so gut wie immer. Die sitzen auch immer in viel zu großen Rollstühlen, können kaum damit umgehen und man wartet förmlich jede Sekunde darauf, dass sie aufspringen und den Rollstuhl eine Bordsteinkante hochheben, weil sie sonst nicht drüber kämen.
Journalistin Christiane Link
Inklusion - ein Lebensthema für Christiane Link. Seit ihrer Kindheit ist die Journalistin mit dem Thema konfrontiert, lebte in Mainz, Hamburg, London. Jetzt schreibt die Journalistin für die Online-Ausgabe der Zeit einen Blog über Inklusion und verarbeitet ihre Eindrücke und Erfahrungen als Rollstuhlfahrerin. "Ich erkenne nichtbehinderte Schauspieler, die behinderte Menschen spielen, so gut wie immer", schreibt Link. "Die sitzen auch immer in viel zu großen Rollstühlen, können kaum damit umgehen und man wartet förmlich jede Sekunde darauf, dass sie aufspringen und den Rollstuhl eine Bordsteinkante hochheben, weil sie sonst nicht drüber kämen."

Link regt sich seit vielen Jahren darüber auf, dass es als normal gilt, dass Rollen von behinderten Personen in Filmen an nicht behinderte Schauspieler vergeben werden - und nicht nur das: "Nur behinderte Menschen müssen ständig zuschauen, wie ihnen nichtbehinderte Schauspieler nicht nur ihre Rollen wegnehmen, sondern auch wie sie teilweise völlig unrealistisch dargestellt werden." Doch ihre Aufregung verhallt in den Weiten des Netzes und erreicht die Castingfirmen nicht, die Schauspieler für Filme heraussuchen: "Ich glaube, weil sie den Wert nicht erkennen, den jemand einem Film bringen kann, der wirklich selber die Behinderung hat. Sie haben Angst, niemanden beim Casting zu finden, der die Rolle spielen kann, ohne es überhaupt zu versuchen. Oder sie befürchten, dass das Filmen länger dauert oder es organisatorische Probleme gibt."

Dennoch: Menschen mit Behinderung schaffen es auch prominent vor die Kamera: In mehreren Formaten bieten die Öffentlich-Rechtlichen einen Einblick in die Lebenswelt von behinderten Menschen – moderiert von Behinderten. Im ZDF zeigt zum Beispiel das Format «Menschen - Das Magazin» die Lebenswelten mit Behinderung und ist gleichzeitig eine Werbeplattform für die Lotterie Aktion Mensch. Und im MDR moderieren das Magazin «selbstbestimmt» gleich zwei Menschen mit völlig unterschiedlichen Behinderungen: Jennifer Sonntag ist blind, ihr Kollege Martin Fromme hat nur einen Arm.

"Im TV-Bereich war eine Behinderung bis vor ein paar Jahren ein absolutes Hindernis", erzählt Fromme zu Beginn seiner Moderationstätigkeit dem Online-Magazin myhandicap.de. "Angst, Angst, Angst. Ein Karrieresprungbrett wird eine Behinderung wohl niemals sein. Sollte sie auch nicht. Eine faire Beurteilung der Qualität würde reichen." Nun präsentiert er das Magazin rund um Teilhabe behinderter Menschen schon fünf Jahre und fährt nebenbei eine Karriere als Comedian. Fromme nennt sich selbstironisch "Deutschlands lustigster Spaßti" - und das konnte er sogar in der ProSieben Sendung «Stromberg» bei einem Gastauftritt beweise.

Die Behinderung als ein Hindernis im TV? Der Jurist Carl-Wilhelm Rößler, der im Juni im «Morgenmagazin» der ARD interviewt wurde, kann davon erzählen: "Bei meinem Interview gab es das Problem, dass ich mit dem Rollstuhl auf ein erhöhtes Plateau hätte gehoben werden sollen, was jedoch aufgrund des hohen Eigengewichts meines Rollstuhls nicht möglich war. So musste innerhalb von vier Minuten erst einmal umgebaut werden." Ausgerechnet in diesem Interview sprach sich Rößler dafür aus, dass Menschen mit Behinderung größere Teilhabe am Leben haben - wie nicht behinderte Menschen auch. Der Umbau klappte trotz der knappen Zeit - und hat gleich auch die Redaktion zum Nachdenken gebracht: "Am Ende des Interviews sagte der Aufnahmeleiter, man hätte auch im Hinblick auf Barrierefreiheit heute einiges gelernt."

Matteo Marburger sitzt dagegen öfters auf der anderen Seite der Kamera. Er besucht seit vielen Jahren Fernsehsendungen als Zuschauer. Seine Aufzählung seiner besuchten Formate hört gar nicht mehr auf: «Die 100.000 Mark Show», dreimal «Wer wird Millionär», «Die perfekte Minute», und jüngst «500 - Die Quizarena». Dazu war er bei mehreren «TV total»-Eventshows, im «Fernsehgarten des ZDF und auch bei «2014 - Das Quiz». Mit Rollstuhl und mit Freunden, die ihn auf seinen Reisen in deutsche Fernsehstudios begleiten. Marburger ist an einen Rollstuhl gebunden, braucht einen Assistenten - und weiß genau, welche Einschränkungen mit seinem Rollstuhl verbunden sind: Bei «Wer wird Millionär?» kann er nicht mitspielen, wenn Zuschauer die 500 Euro gewinnen können, weil er neben dem Warm-Upper in einem Bereich sitzt, der nicht von den Kameras erfasst wird. Außerdem gibt es im Studio nur einen Rollstuhlplatz, dabei würde sich Marburger wünschen, auch mal mit seinen befreundeten Rollstuhlfahrern die Sendung zu besuchen.

Und bei «Schlag den Raab» und «Schlag den Star» ist er gar nicht erst reingekommen, weil das Studio nicht einmal einen einzigen Rollstuhlplatz hat. Marburger hätte sich auf einen normalen Platz umsetzen müssen: "Meine Eltern hätten mir geholfen, dass ich mich umsetzen könnte", erzählt Marburger. "Aber die Sitze sehen so unbequem aus, da habe ich mich dagegen entschieden." Brainpool bestätigt das sogar ganz offen. Ein Sprecher erläutert: "Es gibt leider keinen Platz, der barrierefrei zu erreichen ist, da alle Zuschauertribünen nur über eine hohe Stufe oder von hinten über Treppen zu besteigen sind. Aus Sicherheitsgründen müssen die Zuschauer auf den für sie vorgesehenen Tribünen sitzen."

Aber Marburger sieht das nach so vielen Fernsehaufzeichnungen gelassen, denn Probleme hatte er sonst nie - im Gegenteil: Manchmal wird er als Rollstuhlfahrer als Erster ins Studio begleitet und bekommt so den Einlass der Zuschauer hautnah mit. Und lobt ausdrücklich das Studiopersonal: "Es gab immer eine Möglichkeit."

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