Die Kritiker

«Bergfried»

von

Warum nicht? «Bergfried» ist ein österreichische Vergangenheitsbewältigungswestern mit «Toni Erdmann»-Hauptdarsteller Peter Simonischek.

Cast & Crew

  • Regie und Drehbuch: Jo Baier
  • Darsteller: Fabrizio Bucci, Katharina Haudum, Peter Simonischek, Gisela Schneeberger, Kieran Lux, Eva Herzig, Gerhard Liebmann, Harald Posch, Werner Prinz, Brigitte Karner, Benedikt Blaskovic
  • Kamera: Martin Gschlacht
  • Schnitt: Claus Wehlisch
  • Musik: Sebastian Fitz
  • Produktionsfirma: Zieglerfilm München, epo-film
Peter Simonischek tauscht die krummen Zähne und das unangepasste «Toni Erdmann»-Auftreten gegen eine friedfertige Almöhi-Fassade und eine dahinter verborgene, dunkle Vergangenheit: In Jo Baiers Drama «Bergfried» spielt der Theaterveteran einen liebevollen Opa, wie er aus dem Bilderbuch sein könnte. Weißgrauer Rauschebart, leicht zottelige Mähne, Karohemd, Hosenträger, warmes Lächeln im Gesicht. Doch das vor Gebirgskulisse spielende Familienidyll hat Risse aufzuweisen: Der alte Stockinger mag zwar seinen Enkel wonnig behandeln, seine Tochter Erna (Katharina Haudum) hingegen überhäuft er mit kritischen Anmerkungen. Ihre Flucht in die weite Welt ist misslungen, ihr ewiger Traum von einem glanzvollen Leben außerhalb des Dorfes wird wohl stets ein Traum bleiben – und dass sie nicht weiß, wer der Vater ihres Kindes ist, passt auch nicht so ganz in Stockingers Weltbild.

Dennoch: Die Friedfertigkeit obsiegt. Bis ein Italiener auftaucht. Der rund 40 Jahre alte Salvatore (Fabrizio Bucci) beobachtet die Anwohner, schießt still und unkommentiert Fotos und stellt merkwürdig-spezifische Fragen. Die Männer im Dorf beäugen den gutaussehenden Südländer argwöhnisch, die Frauen begrüßen den Beau hingegen mit offenen Armen. Vor allem Erna findet an ihm Gefallen. Doch Salvatore kam aus einem bestimmten Grund in dieses Dorf: Er will einen Kriegsverbrecher auffliegen lassen, der ein ganzes toskanisches Dorf ausgelöscht hat – und Salvatore hat vor allem den gemütlichen Stockinger in Verdacht …

«Stauffenberg»-Macher Jo Baier schildert diese Geschichte auf drei Zeitebenen: Viele Jahre nach der 1983 spielenden Kerngeschichte finden Nachkommen die Niederschrift dessen, was sich im österreichischen Dorf nach Salvatores Auftauchen abgespielt hat. Innerhalb dieser Hauptgeschichte erzählt Salvatore nach, was er während des Zweiten Weltkrieges im Alter von vier Jahren mitansehen musste. Baier verlagert so den Schwerpunkt dieses Filmstoffes weg von einer spannungsgesteuerten Rachegeschichte zu einem Jahrzehnte überdauernden Drama, das verdeutlicht, welch lange Wellen Akte der Gewalt schlagen.

Der entsprechend diffizile Einstieg in die feingliedrige Geschichte ist Baier nicht rundum gelungen, es braucht seine Zeit, bis sich die emotionale Fallhöhe entfaltet und Peter Simonischek das Facettenreichtum seiner Figur offenlegen darf. Sobald die erzählerische Struktur aber steht, kann der «Toni Erdmann»-Mime brillieren: Er unterfüttert seine Figur stärker als in solchen Erzählungen üblich, spielt nicht einfach einen Mann mit zwei unterschiedlichen Identitäten. Stockingers Wesen fluktuiert, ihm ist der ruchlose Kriegsverbrecher ebenso zuzutrauen wie das Bild eines traumatisierten Schuldigen, dessen Gewissen an ihm nagt – und auch die Unschuld vom Lande vermag er rüberzubringen.

Ebenso punktet Fabrizio Bucci, der als interessierter Tourist, gepeinigter Überlebender und von Rachedurst zerfressener Vigilante glaubwürdig ist – und der dem Film etwas von einem altmodischen Western verleiht: Der Fremde, der ins Dorf kommt, um für Vergeltung zu sorgen. Auch optisch markiert Baier mit großer Brennweite und atmosphärischen Landschaftsaufnahmen seine Geschichte als eine Art Alpen-Western in den 80ern. Das Drehbuch ist derweil redseliger – und wird gen Schluss gar zu geschwätzig, wenn die stark aufspielenden Darsteller der Kerngeschichte jegliche Emotion im aufgewühlten Stimmungsgewitter ihrer Rollen nicht nur mimisch und gestisch zu vermitteln haben, sondern auch keifend in Dialogen vorzutragen haben. Da ist der dramatische, ruhige Schluss fast schon ein rührender Augenblick der Besinnung.

«Bergfried» ist am 21. September 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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