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Jurorin Angelina Kirsch bezüglich ihrer persönlichen Vorbereitung auf die Sendung.
Gesucht wird über die zunächst recht überschaubar anmutende Zahl von fünf Episoden ein neues Model, das explizit nicht den vermeintlichen Normen der Industrie entspricht: Schon kurvig sollte die neue Vorzeige-Dame sein, dabei aber bitte "nicht aussehen wie ein Wackelpeter", wie Jury-Mitglied und Modelagent Ted Linow klarstellt. Ihm zur Seite steht neben Tänzerin Motsi Mabuse und das Curvy-Supermodel Angelina Kirsch auch Paradiesvogel Harald Glööckler - was sich im Zuge der Talentfindung noch als cleverer Schachzug herausstellen soll, divergieren die Ansichten der beiden Herren doch mitunter ziemlich stark und sorgen für reizvolle Diskussionen. Einen Skeptiker kann sich die Dame auf dem Laufsteg aber zumindest in der Casting-Runde leisten, denn auch mit "nur" drei von vier Fürsprechern ist der Einzug in die nächste Runde möglich.
«GNTM» in lieb und nett? - Innovationen bleiben noch aus
Eben jenem ersten Casting, aus dem letztlich 21 junge Frauen erfolgreich hinausgehen, widmet die gut zweistündige Premiere dann auch beinahe drei Viertel der Sendezeit, bis dann im letzten Viertel weiter ausgesiebt wird: In einem Gruppen-Fotoshooting mit einem (schlanken) Mann kann sich letztlich nur die Top Ten durchsetzen, auf die dann in den kommenden vier Wochen der Fokus liegen wird. Man kann nur hoffen, dass sich die Macher hierfür ein paar Dinge mehr ausgedacht haben, die es so in der Form noch nicht bereits in etlichen anderen Castings zu sehen gab - denn daran mangelte es am Mittwoch vor allem: Einfallsreichtum und Innovation.
Während nämlich insbesondere die Juroren bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf verwiesen, wie andersartig doch die Herangehensweise hier sei, bekommt der Zuschauer letztlich ein Konzept geboten, das er eben doch schon zur Genüge kennen dürfte: Mädchen gehen über den Laufsteg, hören sich das Jury-Urteil an und kommen eine Runde weiter oder nicht. Danach wird in Form eines Foto-Shootings weiter ausgesiebt, für die kommende Woche ist das bei «Germany's Next Topmodel» für seine hysterischen Kreischanfälle berühmt-berüchtigte Umstyling angekündigt und einen Ausblick auf einen wirklich interessant klingenden Programmpunkt, bei dem man sich nicht in etwa ausmalen kann, wie er grob ablaufen dürfte, bleibt man uns bisher noch schuldig. Nun muss man gewiss nicht das Rad ständig neu erfinden und ein methodisches Feuerwerk nach dem anderen zünden, aber ein wenig enttäuscht es eben schon, wenn man an so vielen Stellen das Gefühl vermittelt bekommt, man bekomme hier ein netteres «GNTM» zu Gesicht.
Wer soll das eigentlich sehen?
Wobei "nett" hier keineswegs nur negativ konnotiert zu verstehen ist: Strukturell hat «Curvy Supermodel» zwar kaum was zu bieten, ist dafür aber in einer anderen Beziehung eine echte Wohltat für jeden Menschen, der seine abendliche Unterhaltung nicht mit einer quiekenden Despotin auf dem Königsthron verbringen möchte, die über sich gegenseitig kalkuliert angiftende dürre Zicken urteilt. Der Umgangston ist hier nämlich schon ein deutlich anderer - im Sinne von konstruktiver, wertschätzender und innerhalb der Jury auch weitaus gleichberechtigter. So mit gegenseitigem Respekt und Anstand, so richtig linksgrünversifft eben, fast komplett ohne Gepolter und der Stereotypisierung, die sich ProSieben mit seiner Model-Show berechtigterweise immer wieder vorwerfen lassen muss. Aber - das ist die andere, bittere Seite der Medaille - die besagte Model-Show eben auch sehr erfolgreich gemacht hat, während andere Genre-Vertreter mit einer weniger fragwürdigen Ausrichtung schon längst wieder in den Untiefen des TV-Nirwanas verschwunden sind.
Und genau hier schließt sich die vielleicht wichtigste Frage an: Gibt es genug Menschen, die sich solch eine Sendung ansehen wollen? Auf RTL II, das vor einem guten Jahr mit einer ähnlich angenehm aufgemachten, aber wenig innovativen und letztlich auch etwas drögen «Popstars»-Neuauflage völlig in die Nesseln gesetzt hatte? Denn im Gegensatz zu den «Löwen», zu «Sing meinen Song» oder «The Voice», die als leuchtende Gegenbeispiele dafür gelten können, dass man seinem Publikum zwingend aufdringliches Geschrei und Drama anbieten muss, hat die neue Model-Suche eben nicht diese konzeptionelle Eigenständigkeit vorzuweisen, keinen dramaturgisch spannenden Kniff wie die "Blind Auditions", keine nie da gewesene Lagerfeuer-Atmosphäre mit nationalen Top-Musikern und auch kein im Fernsehen vernachlässigtes Thema wie die Unternehmens- und Gründerkultur.
Fazit
Unterm Strich muss «Curvy Supermodel» darauf hoffen, dass die Suche nach einem fülligeren Model so viele Klappergestell-Gelangweilte vor die Fernseher lockt, dass trotz des bedauerlicherweise vorherrschenden konzeptionellen Konservatismus genug Menschen an dem televisionären Findungsprozess interessiert sind, um die Sendung zum Erfolg zu machen. Man verlässt sich sehr stark darauf, dass "curvy" als Marke und Botschaft eines modernen, weniger nach plumpen Oberflächlichkeiten und überzeichneten Idealmaßen gierenden Frauenbildes den Zeitgeist auf den Punkt trifft und hat Protagonisten und Fernsehmacher arbeiten lassen, die diese Philosophie augenscheinlich auch wirklich leben. Auch wenn man natürlich die Frage aufwerfen kann, ob die Oberflächlichkeit denn nicht erst dann besiegt ist, wenn fülligere und dünnere Damen in ein und derselben Show auftreten können, ohne dass hier die Körpermaße zum Faktor werden, geht die Grundintention in jedem Fall in eine angenehmere Richtung als beim Platzhirsch des Model-Castings. Nur ob das reicht, um das RTL-II-Publikum mitzureißen? Fraglich. Vielleicht hätte man sich auch an anderer Stelle etwas mutiger zeigen sollen, gegen vermeintliche ungeschriebene Gesetze zu verstoßen.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
06.10.2016 09:51 Uhr 1
07.10.2016 13:40 Uhr 2
Worauf beziehst du dich denn bei "kein Geschrei"? Was die Publikumsreaktionen angeht, würde ich dir zustimmen, dass sie (vor allem in den Blind Auditions) mitunter da ähnlich übertrieben und dauer-euphorisiert daherkommen, was aber den Umgang der Kandidaten miteinander und den Sachlichkeitsgrad der Jury-Urteile bezüglich der Performances angeht, ist "The Voice" da doch ein deutliches Stück sachlicher und weniger auf Krawall gebürstet.
10.10.2016 16:33 Uhr 3