360 Grad

Die Sehnsucht nach Wohlfühlfernsehen

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«Wetten, dass..?» mit Jan Böhmermann, «Tutti Frutti» mit Jörg Draeger: Deutsche Fernsehsender graben Show-Relikte aus den 90er Jahren aus. Dahinter steckt die Sehnsucht nach Wohlfühlfernsehen.

Ein Hauch Nostalgie weht durch die westliche Welt. Bei den Trump-, Petry- und Le-Pen-Wählern ist es die Sehnsucht nach den heimeligen 50er Jahren, in denen der Kalte Krieg die Welt noch in klare Fronten aufgeteilt hat und der Staat die Rufe nach gesellschaftlicher Teilhabe marginalisierter Gruppen noch mit einem starken Nein! abwehren konnte, während progressivere Gruppen – und unter ihnen vor allem junge Erwachsene – gerne etwas wehmütig auf die 90er Boom-Jahre zurückblicken. Als das Internet aufkam, der Russe nicht mehr böse war, alles möglich schien und sich bei RTL unter der Anleitung Hugo Egon Balders allerhand Frauen ihrer ohnehin dürftigen Klamotten entledigten, worum man ein völlig konfuses und lachhaftes Regelwerk strickte, um es Game-Show nennen zu können.

Zumindest letzteres wird wiederkommen, Ende des Jahres bei RTL Nitro, statt mit Hugo Egon Balder allerdings mit Jörg Draeger als Moderator, seines Zeichens selbst ein Relikt aus alten Fernsehzeiten, der vor einigen Jahren auf der untersten Sprosse der Fernsehunterhaltung, dem Gastspiel beim dilettantischen Online-Sender Family.TV angekommen war.

Das «Tutti-Frutti»-Comeback wird nur wenige Wochen nach Jan Böhmermanns halb-ironischer, halb-ernster Exhumierung von «Wetten, dass..?» laufen und reiht sich damit in einen Trend ein, der die Vergangenheit des Show-Segments wiederzubeleben versucht. Ein bisschen augenzwinkernd, natürlich, alles ironisch, alles ein wenig als Persiflage, aber im Kern doch: altes 90er-Jahre-Wohlfühlfernsehen.

Vielleicht, weil diese spektakuläre, aber harmlose Spielart mit ihrer Samstagabend-Lagerfeuerromantik nicht mehr bedient wird. Während die Neuerfindungen der öffentlich-rechtlichen Sender oft antiquiert und unangenehm seelenlos wirken, müssen die jüngeren Neustarts des Privatfernsehens, speziell die von ProSieben mit Joko und Klaas, in den meisten Fällen allerhand Grenzen sprengen, und immer mit einem persiflierenden, sich von sich selbst distanzierenden Duktus kokettieren. Diese Eigenschaft teilen sie mit Jan Böhmermann, der keine Show moderieren kann, ohne aus ihr eine anstrengende Satire zu machen.

Je nachdem, wie sich das nächste EU-Jahr abspielt, kann man dann auch wieder die «100.000 Mark Show» ausgraben. Mit identischem Titel.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Cheops
18.11.2016 19:34 Uhr 1
Jede Reanimation der alten Formate scheitert schon an der Tatsache, dass es heute keinen großen Entertainer vom Format Kulenkampff, Frankenfeld oder Carell mehr gibt. Heute sind das bestenfalls noch Moderatoren, die gar nicht das Format haben und eigentlich nur bemüht unterhaltsam sein wollen!
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