Filmfacts: «Die Taschendiebin»
- Kinostart: 5. Januar
- Genre: Drama/Erotik
- FSK: 16
- Laufzeit: 144 Min.
- Kamera: Chung-hoon Chung
- Musik: Yeong-wook Jo
- Buch: Seo-kyeong Jeong, Chan-wook Park
- Regie: Chan-wook Park
- Darsteller: Tae-ri Kim, Min-hee Kim, Jung-woo Ha, Jin-woong Jo, Hae-suk Kim, So-ri Moon
- OT: The Handmaiden (KOR 2016)
Der ganz große Coup!?
Korea in den 1930er Jahren. Die schöne, aber unnahbare Lady Hideko (Min-hee Kim) lebt mit ihrem dominanten Onkel Kouzuki (Jin-woong Jo) und ihrem ererbten Vermögen in einem abgelegenen Anwesen, dessen Herzstück eine hingebungsvoll gepflegte und bewachte Bibliothek ist. Kouzuki sammelt und verkauft Bücher voll schonungsloser Erotik, die Hideko zahlungskräftigen Herren vorlesen muss, um so den Preis der Bücher in die Höhe zu treiben. Eines Tages kommt ein neues Dienstmädchen, die junge und naive Sookee (Tae-ri Kim), ins Haus von Lady Hideko. Doch das Mädchen hat ein Geheimnis: Sookee ist eine Taschendiebin und Betrügerin, engagiert, um Hideko dem gerissenen Grafen Fujiwara (Jung-woo Ha) in die Hände zu spielen, der sie nach der Hochzeit um ihr Vermögen bringen will. Doch zwischen den beiden jungen Frauen entwickelt sich etwas Unerwartetes: ein ganz eigenes Begehren, eine ungeahnte Zuneigung, die die Karten der Macht neu verteilt.
«Die Taschendiebin» ist nicht bloß einer der besten Filme Chan-wook Parks, er ist zugleich auch der, bei dem die Handschrift des Regisseurs am deutlichsten zur Geltung kommt. Sowohl inhaltlich – es geht einmal mehr um Begehren, Rache, Schuld und Unschuld – als auch visuell ist das im restlichen Teil der Welt als «The Handmaiden» vermarktete Thrillerdrama vom Erzählstil und Ästhetikempfinden des 53-jährigen Filmemachers geprägt. Der hier wieder einmal auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnende Regieveteran verfrachtet die im Original im England des 19. Jahrhunderts spielende Geschichte ins Südkorea im Jahr 1930, lässt die Vorlage jedoch immer wieder hervor lugen. Etwa dann, wenn das spektakuläre Anwesen der Lady Hideko zu gleichen Teilen im englischen, als auch im koreanischen Stil erbaut wurde.
Überhaupt vermischen sich in «Die Taschendiebin» Bilder aus sämtlichen von Chan-wook Parks vorherigen Filmen zu einem großen Ganzen, wodurch sein neuestes Werk auch für Zuschauer jenseits des Produktionslandes überraschend zugänglich erscheint. Trotz seiner satten Lauflänge von knapp zweieinhalb Stunden und einer bisweilen recht behäbigen Erzählweise, sorgen inszenatorische Tricks und Kniffe, die Park mitunter direkt aus der Buchvorlage übernimmt, für den Eindruck eines sukzessive immer enger verwobenen Verwirrspieles, das sich die Art der Filmaufteilung und Erzählweise zugunsten des Überraschungseffektes zu eigen macht.
Park erzählt seine Geschichte in drei Teilen. Im ersten etabliert er das Szenario: Im Kern ein Heist-Movie, geht es in «Die Taschendiebin» um ein gewitztes Gaunerpaar, das eine wohlhabende Lady in einer langwierigen Prozedur um ihr Hab und Gut bringen will, die Rechnung dabei allerdings ohne ihr Moralempfinden gemacht hat. Das zweite Kapitel, eingeleitet von einer 180-Grad-Kehrtwende, erzählt das Geschehen erneut, ergänzt sie aus der Sicht ebenjener Lady Hideko jedoch um wichtige Details und offenbart, dass es vielmehr um die Abhängigkeit der schon seit jungen Jahren abseits der Gesellschaft lebenden Lady geht und darum, sich aus den Fängen ihres dominanten Onkels zu befreien. Kurz vor dem Übergang von Kapitel zwei zu Kapitel drei wird jedoch auch diese Betrachtung noch einmal über den Haufen geworfen, eh im finalen Akt alles zusammen läuft, sich Charaktere in einem ganz neuen Licht präsentieren und auch der Erzählschwerpunkt erneut verlagert wird.
Ein erotisches Heist-Movie
Dabei ist «Die Taschendiebin» weitaus zurückhaltender als man es aus ähnlich gelagerten Genrefilmen kennt; trotz einiger Turn-Arounds und Plottwists bleibt die Geschichte von Anfang an bodenständig und wirkt auch während der Pespektivwechsel nie um Effekthascherei bedacht. Stattdessen verhilft dieses sich erst nach und nach zusammen setzende Puzzlespiel zu anhaltendem Suspense; in «Die Taschendiebin» erscheint einfach irgendwann alles möglich.
Nun könnte man sich als Regisseur und Drehbuchautor hervorragend darauf ausruhen, sein Publikum allein mit der Erzählweise in dauerhafter Anspannung zu wissen. Chan-wook Park hingegen präsentiert seinen Zuschauern indes nicht nur atemberaubende Settings, geprägt von einer Schönheit, die von minimalistisch bis opulent reicht. Es ist vor allem seine Betrachtung des lesbischen Pärchens, dessen Zusammenfinden er hier so zaghaft, glaubwürdig, dabei jedoch nicht minder erotisch einfängt. Dass die von Min-hee Kim («Right Now, Wrong Then») hier zu Beginn noch so unnahbar verkörperte Lady Hineko der zwischen naiv und leidenschaftlich changierenden, von Tae-ri Kim («Little Forest») gespielten Sookee verfällt, bleibt zu jedem Zeitpunkt glaubwürdig – und entlädt sich in einigen ästhetisch gefilmten Sexszenen, deren explizite Darstellung an „Blau ist eine warme Farbe“ erinnert. Sex als alles umspannendes Leitthema in «Die Taschendiebin» zu nennen, wäre zwar ein wenig zu hoch gegriffen, doch das erotische Knistern ist in dieser auch inhaltlich auf die körperliche Liebe ausgerichteten Romanadaption durchgehend sicht- und spürbar. An «Oldboy» erinnernde Gewaltspitzen haben zu guter Letzt eine ähnlich intensive Wirkung. Weitaus stärker dazu bei, trägt allerdings die diabolische Präsenz Jin-woong Jos («Der Admiral») – wir können uns nicht erinnern, wann wir das letzte Mal eine derart widerwärtige Figur im Kino gesehen haben.
Fazit
Chan-wook Parks «Die Taschendiebin» ist ein komplex-verschachtelt erzähltes, hochspannendes und ebenso erotisches Verwirrspiel um Liebe, Begehren und das Entkommen aus gesellschaftlichen Zwängen. Trotz einiger Längen ist das betörend schön gefilmte Drama schon jetzt ein Highlight des Kinojahres 2017.
«Die Taschendiebin» ist ab dem 5. Januar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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