Kurz gefragt Jo Schück
Wissen Sie schon, wen Sie im September wählen? „Nein. Durch die Sendung bin ich mit den Wahlprogrammen der Parteien zwar bestens vertraut. Das macht die Wahlentscheidung aber nicht einfacher. Ich bin klassischer Wechselwähler und mache mein Kreuz manchmal auch strategisch.“Kam es für Sie jemals infrage, selbst politisch aktiv zu werden? „Nein.
Ich habe viel Jugendarbeit gemacht, war quasi gesellschaftlich aktiv.
Aber als ich mit 16 die ersten journalistischen Erfahrungen gesammelt habe, war schnell klar: objektiver Beobachter sein und gleichzeitig parteipolitisch aktiv…das geht nicht zusammen.“
Was würden Sie tun, wenn Sie einen Tag lang Kanzler wären? „Ein Tag ist wenig. Schwere Frage. Ich könnte jetzt sagen: „Freibier für alle!“ Aber da ich ja auch viel in Sachen Kultur unterwegs bin, sage ich: Verdoppelung des Kultur-Haushalts, und ein großer Schriftzug über dem Humboldt-Forum: „Der Streit ums Kreuz ist doof.“
Was sagen Sie Wählern, die lieber daheim bleiben wollen, weil ihre „eine Stimme eh nichts ausrichtet? „Bei solchen Aussagen verzweifle ich. Solchen Leuten sage ich erstens: Bei uns sind Wahlen die Chance, mitzuentscheiden. Das unterscheidet uns von Dikaturen. Die Chance muss man nutzen. Zweitens: Wer nicht wählen geht, dient radikalen Parteien. Und drittens macht eine solche Aussage auch mathematisch keinen Sinn. Denn Einzelstimmen addieren sich ja. Wenn keiner mehr wählen geht, können wir den Laden auch dicht machen.“
Bei der Auswahl der drei einheitlich meinungsfreudigen Bürger wurde auf ein breites Spektrum geachtet. Da wäre zum einen die alleinerziehende Geschäftsführerin eines Kulturzentrums, die generell mit einer konservativen politischen Einstellung nichts anfangen kann und eher dem linken Spektrum zuzuordnen ist. Auf der anderen Seite gibt es den enttäuscht abgewandten, jahrzehntelangen Stammwähler, dessen Positionen heutzutage eher der AfD nahestehen würden. Zuletzt wäre da der junge Student, der mit zwei Müttern aufwuchs und dem nicht zuletzt deshalb die Gleichberechtigung von Homosexuellen am Herzen liegt. Daraus ergibt sich eine höchst heterogene Opposition, die der Politiker mit gänzlich unterschiedlichen Argumenten überzeugen muss. Durchaus eine große Herausforderung.
Der gemeinsame Tag startet mit einer lockeren Kennenlernrunde. Die Stimmung ist gelöst, Bürger und Politiker sind direkt per Du. Nach einem ersten Beschnuppern aller Beteiligten geht es direkt in die Vier-Augen-Gespräche, von Moderator Jo Schück unpassenderweise als „Einzeldates“ deklariert. Jetzt werden die Lebenshintergründe der Wähler noch einmal genauer beleuchtet. Hier haben die Wähler die Möglichkeit, nach Themen zu fragen, die sie ganz persönlich umtreiben oder einfach Frust abzuladen. Während ein Bürger scheinbar gar nicht genug von der Flüchtlingsthematik bekommen kann, ist eine Bürgerin davon überzeugt, dass man nur durch Hinterlist in der Parteipolitik aufsteigt. Diese Gesprächsrunde scheint tatsächlich auf Augenhöhe abzulaufen. Beide Personen stellen sich gegenseitig Fragen, der Politiker tastet sich ebenso an sein Gegenüber heran, wie die Bürger.
Auffällig ist die Zurückhaltung von Gastgeber Jo Schück, der speziell in der ersten Hälfte der Sendung nicht oft das Wort ergreift. Dort erweist sich das noch angesichts der durchaus interessanten Diskussionen zwischen Politiker und Bürgern als richtiger Schritt. Schück tritt vor allem bei den Gruppengesprächen in Erscheinung. Er stellt vergleichsweise allgemeine Fragen zur Vergangenheit Ziemiaks, sowie zu dessen aktueller beruflicher Situation, lässt Streitgespräche aber mit Fingerspitzengefühl laufen. Allerdings verpasst er es manchmal, den im krassen Gegensatz zum Beginn der Sendung zuweilen in klassischen Politikersprech verfallenden Ziemiak zu kitzeln. Wenngleich man die Automatismen auf Seiten des Politikers angesichts der vielen auf ihn einprasselnden Fragen nachvollziehen kann, wäre möglicherweise ein aktiverer Moderator gefragt gewesen, der den unkonventionellen Anspruch des Formats mit unbequemeren Fragen untermauert. Dafür versteht es Schück gekonnt, Zwischenfazits zu ziehen und Verbindungen herzustellen.
Für Paul Ziemiak selbst bedeutet die breitgefächerte Opposition, es nie allen drei potentiellen Wählern recht machen zu können – und genau da liegt der Reiz der Sendung. «Volksvertreter» zeigt sehr schön auf, dass eine kompromisslose Politik nicht möglich ist, wenn man ein Land regieren möchte. Es ist immer ein Ringen um das höchstmögliche Maß an Idealismus, ohne den pragmatischen Realismus aus den Augen zu verlieren. Dabei spielt die politische Einstellung keine Rolle. Ab und an gelingt es den Bürgern, den JU-Vorsitzenden aus der Reserve zu locken. Speziell im Einzelgespräch mit dem Studenten über dessen homosexuelle Eltern tritt der ansonsten sehr souverän auftretende Politiker ins Fettnäpfchen und lässt sich zu einer fragwürdigen Wortwahl hinreißen. Hoch anzurechnen ist ihm allerdings der Mut, sich überhaupt diesen Diskursen zu stellen, schließlich weiß er nicht, mit welchen Themen er konfrontiert wird.
Logischerweise wird lediglich aus Sicht der CDU, oder eher aus Sicht Ziemiaks auf die Fragen geantwortet. Zwar stellen die kritischen Bürger ein Gegengewicht dar, dennoch bietet die Sendung auch eine Plattform für den jeweiligen Politiker, ist seine Position im Format doch konkurrenzlos. Er oder sie allein liefert die Antwort auf die Fragen, Alternativen kommen höchstens in Form von losen Vorschlägen durch die Wahlberechtigten. Eine echte Chance sich und seine Partei zu präsentieren, wenngleich unter äußerst schwierigen Bedingungen.
Leider endet die Sendung sehr abrupt mit der Abgabe eines Stimmzettels, auf denen die Wähler angeben können, ob sie umgestimmt wurden oder nicht. Auch die Angabe, dass der Politiker als Person überzeugt habe, aber in der falschen Partei tätig sei, ist möglich. Abschließend werden diese Zettel Herrn Ziemiak mit Namen übergeben. Es wäre deutlich spannender gewesen, wenn die Skeptiker selbst ein kurzes Fazit ziehen und umfassender bewerten würden. Vermutlich ist es der 45-minütigen Sendezeit zu verdanken, dass man sich mit einer „Wahl“ auf das wesentliche beschränkt. Jedoch erscheint das Beschriften der Wahlzettel unter diesen Umständen inkonsequent. So bleibt das Fazit dem Politiker selbst überlassen.
Hier kommt noch ein weiteres: «Volksvertreter» ist genau das, was man von einem politischen Social Factual auf ZDFneo erwartet. Es wurde ein interessanter, frischer Ansatz gewählt, der in seiner Umsetzung jedoch nicht annähernd so radikal und anders ist, wie möglicherweise erhofft. Um sich von klassischen Polit-Talks und –Shows abzugrenzen und den Zuschauern ein umfassenderes Bild des Politikers zu zeichnen, reicht es jedoch allemal.
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