360 Grad

«Okja»: Netflix sucht das Superschwein

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Mit einem koreanisch-amerikanischen, nicht nur visuell beeindruckenden Spielfilm ist dem Streaming-Anbieter ein Coup gelungen.

Tilda Swinton hat ein besonderes Talent: Böse Konzernchefinnen spielen. Das wissen wir von einer ihrer Paraderollen, als CEO des Saatgut-und Pestizidherstellers U-North, der im brillanten Film «Michael Clayton» im Mittleren Westen der USA ganze Landstriche vergiftete.

In Netflix‘ gestern veröffentlichtem Spielfilm «Okja» spielt sie die Vorstandsvorsitzende der Mirando Corporation, die in ähnlichen Gefilden wildert: Vermeintlich ganz ohne Gentechnik hat der Konzern zwei Dutzend Superschweine gezüchtet, die nun an ökologisch hochwertig arbeitende Bauern in der ganzen Welt verteilt werden. Dort sollen sie ein Jahrzehnt verweilen, bevor sie zurück nach New York City transportiert werden, wo Mirando das Superschwein der Superschweine küren will.

Das nach Korea verschickte titelgebende Schwein Okja wächst im Hinterland der Halbinsel mit dem Mädchen Mija (Anh Seo-hyun) auf. Als nach zehn Jahren die Zeit des Abschieds gekommen ist, reißt sie sich von ihrem gutmütigen, aber schicksalsergebenen Großvater los, um Okja vor der Überfahrt nach Amerika und der anschließenden Endstation im Schlachthof zu bewahren. Bei den folgenden Befreiungsversuchen springen ihr wohlwollende Ökoterroristen bei, die freilich eigene Motive verfolgen: In Wirklichkeit seien die Superschweine von Mirando freilich keine natürlichen Züchtungen, wie der Konzern gebetsmühlenartig beteuert hatte, sondern mit allen Mitteln der Gentechnik produziertes Mutantenfleisch, was aus Gründen des Marketings, so gut es eben geht, verschleiert wird. Mithilfe von Okja will man diesen Missstand aufdecken.

In jedem Fall ist Netflix und Regisseur Bong Joon-ho ein bildgewaltiger Film gelungen, der trotz all der visuellen und narrativen Kuriositäten eine einnehmende Heldenreise erzählt. Dass diese von Anfang an transkulturell angelegt ist, entspricht der Kernkompetenz des Streaming-Anbieters. Ohne Angst vor Untertiteln und lokalspezifischen Gegebenheiten erzählt Netflix der Welt eine koreanisch-amerikanische Geschichte, die in Europa als genauso berührend aufgefasst werden kann wie in Asien.

Nicht minder beeindruckend: «Okja» erlaubt sich eine Haltung in der gerade in Europa mit frenetischem Eifer geführten Genfood-Debatte. Doch Haltung wird hier nicht mit irrationalem Alarmismus gleichgesetzt; sie darf sich stattdessen stimmig und frei aus den Empfindungen und Gedankenwelten der Figuren entfalten.

Gleichzeitig zeigt der Film keine Angst vor der Weirdness, die seine Handlung und die anvisierte Bearbeitung seiner Themen unweigerlich mit sich bringen. Doch diese Weirdness ist keine aufgesetzte Exzentrizität, sie ist vielmehr ein natürlicher Ausfluss des erzählerischen und beeindruckenden visuellen Konzepts. «Okja» ist ein Mainstream-Film, der anders ist als so ziemlich alle Mainstream-Filme des letzten Jahrzehnts. Nicht nur wegen seines Distributionsmodells, sondern auch wegen seines Inhalts, seiner Geschichte, seiner visuellen Kunst und der Kompromisslosigkeit, mit der ein Stoff aus der asiatischen Peripherie einem Weltpublikum vorgeführt wird, ohne dass seine Kultur in weltumspannende Allgemeinplätze adaptiert wurde. Ein toller Impuls für das internationale Filmgeschäft.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Nr27
01.07.2017 16:02 Uhr 1
Eigentlich hat Swinton in "Michael Clayton" keine Konzernchefin gespielt, sondern "nur" die Chefjuristin besagten Konzerns - das aber in der Tat herausragend gut.
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