Fakten zum Sat.1-Mittwoch 2017
- bislang fast ausschließlich Ranking-Shows ausgestrahlt («15 Dinge», «21 Schlagzeilen» und zuletzt «Wir sind Deutschland»
- große Ausnahme im Ranking-Einerlei: vierwöchige «Das große Backen»-Promispecial-Strecke im April und Mai, allerdings auch nur mäßig erfolgreich
- noch kein einziger zweistelliger Marktanteil im ganzen Kalenderjahr erreicht (Highlights: 9,9 Prozent für «Das große Backen»-Finale, einmal 9,7 Prozent für «21 Schlagzeilen»)
Konzeptionell ist das von RedSeven Entertainment produzierte Format recht simpel erklärt: Menschen werden mit der Kamera und professioneller Hilfe dabei begleitet, wie sie sich innerhalb von 100 Tagen einen großen Lebenstraum zu erfüllen versuchen, der in weiter Ferne scheint. Im Falle der ersten Folge werden zwei Frauen begleitet, die beide mit Herausforderungen unterschiedlichster Couleur umzugehen haben: Die 42-jährige Caroline hat seit ihrer Kindheit starke Flugangst, möchte aber unbedingt einmal nach Singapur fliegen. Die 26-jährige Elli leidet seit ihrer Geburt unter dem Down-Syndrom, will aber unbedingt wie ihre große Schwester Reiten lernen und einmal in ihrem Leben an einem Reitturnier teilnehmen.
Zwei Storylines, die unterschiedlicher kaum wirken könnten
Ein wenig stärker im Zentrum der Episode steht dabei Caroline, die rasch einen Diplom-Psychologen an die Seite gestellt bekommt und fortan diverse therapeutische Maßnahmen über sich ergehen lassen muss. Ob es dabei um das bloße Anschauen von Flugzeugfotos und kurzen Videos geht oder die beiden gemeinsam zum Flughafen fahren sollen - für Drama ist gesorgt. Das liegt zum Einen an der reichlich überzogenen Darstellung von Seiten der Produzenten, die mal wieder die altbekannte Klaviatur des überzeichneten Reality-Fernsehens runterrattern und mit schnellen Schnitten, Großaufnahmen schockierter Gesichter und dem großen Hitmix der dramatischsten Chartsong-Passagen der jüngeren Vergangenheit dem Rezipienten geradezu mit dem Vorschlaghammer in die Rübe donnern, dass es eine Situation gibt. Und noch eine. Und noch eine. Und das Experiment eigentlich rund um die Uhr kurz davor ist, zu scheitern - was, kleiner "Spoiler" am Rande, ebenfalls in altbekannter Manier natürlich nicht passiert.
Doch Schnitte, Musik und der ganze Firlefanz reichen offensichtlich noch nicht, es bedarf auch bedeutungsschwangerer Zitate innerhalb der Exposition. Das übernimmt zum Teil der Off-Sprecher, der in Carolines Fahrt zum Flughafen nicht bloß eine "kaum zu ertragene Vorstellung" hineininterpretiert, sondern auch einen "Horror-Trip" darin sieht - erstaunlich, dass man sich in diesem Moment zumindest eine Referenz auf den legendären «Psycho»-Soundtrack verkneifen konnte. Aber auch der Diplom-Psychologe vermengt Berufsethos und seinen inneren Hitchcock und kündigt gleich nach dem ersten Treffen an: "Ich möchte, dass es Caroline in den nächsten 100 Tagen gut geht - aber das wird nicht gehen, ohne dass sie Angst bekommt." Quid pro quo, Caroline, quid pro quo.
Weitaus angenehmer ist da die Geschichte um die kleine Elli, die weitaus weniger stark künstlich aufgebauscht daherkommt, dafür aber eine umso herzigere Protagonistin zu bieten hat. Der jungen Frau dabei zuzuschauen, wie sie sich zunehmend an ihr Pferd Balu herantastet, berührt tatsächlich. Diese ehrliche emotionale Verbundenheit bekommt noch nicht einmal der Off-Sprecher gekappt, der mindestens zweimal quasi wortgleich zum Besten gibt, dass Elli und ihre Mitstreiter (unter anderem auch eine kaum minder sympathische ältere Reitlehrerin) "noch nicht ahnen, dass bald dicke Tränen fließen werden". Man muss den Machern aber auch zugestehen, dass sie hier deutlich mehr einfach mal authentisch laufen lassen, statt künstlich in den dramaturgischen Olymp zu quatschen - vielleicht auch, weil hier das abgefilmte Material schlichtweg besser schon für sich funktioniert.
Einfältig, gewöhnlich, verzichtbar
Von Elli und ihrer Crew einmal abgesehen gibt es aber wenig, das man diesem Format zugute halten könnte. Die 135 Minuten umfassende Brutto-Sendezeit schleppt sich über weite Strecken eher dahin, die Geschichte um Caroline ist in ihrer gesamten Struktur schlichtweg viel zu affektiert und vorhersehbar, dass man nicht ahnen würde, worauf sie hinausläuft und sich für sie begeistern könnte. Es gelingt nicht wirklich, eine Spannungskurve aufzubauen, die einen auf das große Finale der 100 Tage hinfiebern lässt, die Versuche in diese Richtung sind zu bemüht, die Frau in letzter Konsequenz vielleicht auch einfach nicht sympathisch oder interessant genug - und das Narrativ ja eben erst recht nicht.
Was bleibt, ist eine unterm Strich völlig gewöhnliche Dokusoap, die dringend mehr Ellis braucht, um über ihr qualitatives Mittelmaß hinwegzutäuschen. Welche der beiden Hauptpersonen der ersten Folge nun repräsentativer für die Staffel ist, ist nach der ersten Ausgabe noch nicht wirklich vorherzusehen - dass die Sendung ansonsten nicht viel zu bieten hat, um für sie eine Konsumempfehlung aussprechen zu können, deutet sich aber umso deutlicher an. Wohl auch deshalb nimmt man Ellis Reitambitionen mit in die zweite Folge - man hat ja sonst nicht wirklich was. Insofern kann man dem potenziellen Interessenten nur raten, den Titel «Jetzt oder nie» als Interrogativsatz aufzufassen und letztgenannte Option auch in Betracht zu ziehen. Gerade dann, wenn man noch nicht einmal mit den Protagonisten warm werden sollte.
Sat.1 möchte auch in den kommenden Wochen weitere Folgen des Formats am Mittwochabend um 20:15 Uhr ausstrahlen.
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20.07.2017 14:09 Uhr 1
20.07.2017 15:11 Uhr 2