Filmfacts: «Tulpenfieber»
- Kinostart: 24. August 2017
- Genre: Drama
- FSK: 6
- Laufzeit: 107 Min.
- Kamera: Eigil Bryld
- Musik: Danny Elfman
- Buch: Tom Stoppard
- Regie: Justin Chadwick
- Darsteller: Alicia Vikander, Cara Delevingne, Christoph Waltz, Dane DeHaan, Holliday Grainger, Zach Galifianakis, Tom Hollander
- OT: Tulip Fever (UK/USA 2017)
Wo sich beinharter Realismus und schnulzige Liebesreigen beizeiten ausschließen (erst kürzlich gesehen in dem ungelenk inszenierten Kriegsdrama «The Promise»), funktioniert die Verschmelzung beider Thematiken hier überraschend gut. Die Passion für die Tulpe bildet einen pulsierenden Rahmen für eine leidenschaftliche Tragödie, in der nicht bloß der namhafte Starcast zur Höchstform aufläuft.
Vernarrt in eine Blume
Das Amsterdam des Goldenen Zeitalters ist besessen von einer botanischen Sensation: der Tulpe. An den Grachten floriert der Handel mit den kostbaren Zwiebeln, die schon bald mehr wert sind als Diamanten. Die Spekulanten an der Börse bieten horrende Summen für Exemplare, die sie noch nie zu Gesicht bekommen haben. Allerorten lässt eine fiebrige Goldgräberstimmung die Gefühle hochkochen. In diesen hitzigen Zeiten verliebt sich der Maler Jan van Loos (Dane DeHaan) in Sophia (Alicia Vikander), die bildschöne Frau seines reichen Auftraggebers Cornelis Sandvoort (Christoph Waltz). Schon bei ihrer ersten Begegnung ist es um Jan und Sophie geschehen, die sich immer mehr in eine leidenschaftliche Affäre verstricken. Um gemeinsam in ein neues Leben aufzubrechen, schmieden sie mit Hilfe von Sophias Magd Maria (Holliday Grainger) einen überaus riskanten Plan. Neben einem bestechlichen Arzt fehlen nur noch die nötigen Gulden für die Überfahrt in die neue Welt. Am Ende hängt alles von einem kühnen Geschäft an der Tulpenbörse ab. Mit der teuersten Zwiebel überhaupt – der Admiral Maria…
Zu genau diesem Ensemble gehört in erster Linie das Protagonistenpaar aus Alicia Vikander («The Light Between Oceans») und Tarantino-Liebling Christoph Waltz («Legend of Tarzan»). Die beiden bilden eine zwischen ehrlicher Zuneigung und gegenseitiger Verpflichtung chargierendes Ehepaar, das nur auf den ersten Blick dem Bild einer Zweckgemeinschaft entspricht. Während man dem hier erstmals vollkommen losgelöst von sämtlichen Bösewicht-Rollen aufspielenden Waltz die Liebe zu seiner deutlich jüngeren, einst aus einem Waisenhaus geretteten Ehefrau in ausgewählten Szenen abnimmt, es jedoch ein anderes Mal wiederum so scheint, als wären ihm die Gefühle der wunderschönen Brünetten vollkommen gleichgültig (solange diese ihm nur endlich einen Nachkommen schenkt), ist die emotionale Verfassung Sophias ähnlich ambivalent. Tiefe Dankbarkeit empfindend, fühlt sie sich von ihrem Ehemann – insbesondere körperlich – unter Druck gesetzt. Trotzdem verbindet die beiden selbst in solchen Momenten eine innige Vertrautheit, wenn sich längst abzeichnet, dass beide für jeweils andere Schicksalswege bestimmt sind.
Zweitmeinung von Sidney Schering
Dass der US-Verleih The Weinstein Company «Tulpenfieber» andauernd verschiebt, ist lächerlich – die Bestselleradaption ist kein Film, den man verstecken müsste. Antjes Lobeshymne kann ich aber ebenso wenig unterschreiben. In meinen Augen ist das Historienmelodram schlicht und ergreifend "ganz nett". Die Ausstattung ist herausragend und in einigen Momenten (vor allem in den Szenen, die im Tulpen-Wetthandel-Untergrund spielen) ist die Ausleuchtung lobenswert. DeHaan und Vikander spielen charmant-schmachtend, aber ohne greifbare Tiefe, Waltz chargiert zumeist, hat aber auch glaubwürdige dramatische Momente. Doch das Liebesdreieck kann seine Fallhöhe nicht voll auskosten – zu unentschlossen ist der Tonfall dieser Romanze. Der Tulpenhandel-Subplot wirkt wie aus einem ganz anderen Film – stilistisch überhöht und manisch, nur, um im Alltag der Hauptfiguren nahezu vergessen zu werden. Einzelne humorige Einsprengsel stechen belebend aus der Melodramatik heraus, wirken aber unorganisch eingefügt und das Ende wird ebenso mechanisch wie hastig herbeigeführt.Eine längere, stärker unterfütterte Version von «Tulpenfieber» könnte die gestreute Saat zum Aufblühen bringen. So hingegen bleibt eine hübsche, keinen Mehrwert aufweisende Versprechung von etwas Beeindruckendem.
Zu dieser stößt schließlich der von Dane DeHaan («Valerien – Die Stadt der tausend Planeten») fast schon schelmenhaft verkörperte Porträtmaler Jan van Loos, der sich auf den ersten Blick in Sophia verliebt. Dass dieser Umstand auf Gegenseitigkeit beruht, erscheint in den Augen des Zuschauers absolut logisch; die Natürlichkeit und Leichtfüßigkeit, mit welcher der an der Böse spekulierende van Loos mit Sophia interagiert, macht aus dem jungen Mann einen hochattraktiven Charmeur, womit DeHaan selbst seine knallharte Geschäftsmann-Rolle aus Gore Verbinskis «A Cure for Wellness» noch einmal in Reife und Überlegtheit überbietet. In einigen äußerst freizügigen Szenen geben sich Sophia und Jan der körperlichen Liebe hin, was letztlich den Nährboden für reichlich heikle Momente im bislang so ruhigen Leben des Ehepaares Sandvoort bildet. So befasst sich «Tulpenfieber» auf der einen Seite mit dem Versteckspiel, das sich Sophia und Jan vor ihrem Ehemann Cornelis liefern, auf der anderen Seite zieht genau dieser Akt auch noch wesentlich größere Kreise, sodass vorab als fast schon störend empfundene Subplots plötzlich in einem ganz anderen, relevanten Licht erscheinen.
Man entwickelt zunächst kein Gefühl dafür, wie wichtig die Liebesbeziehung zwischen Sophias Magd Maria und ihrem Verlobten noch für die Handlung sein wird. Nach und nach ziehen sämtliche Taten der in «Tulpenfieber» handelnden Figuren ihre Kreise und verknüpfen jeden Aspekt der Handlung mit einem jeweils anderen. Am Ende offenbart sich schließlich, dass auch die ein wenig vernachlässigte Tulpenspekulationsthematik ihren Platz im ohnehin verräterisch betitelten Film verdient; vor einem anderen Hintergrund besäße die hier erzählte Lovestory nur halb so viel Prägnanz und Wiedererkennungswert.
In der zweiten Hälfte von «Tulpenfieber» verlagert sich der Schwerpunkt von Sophias und Jans geheimer Liaison schließlich auf einen riskanten Plan, in welchem Sophias Wunsch nach einem Kind und jener ihrer Magd, ihr ungewolltes Baby loszuwerden, miteinander arrangiert werden. Das klingt auf den ersten Blick arg konstruiert und ist in dem ansonsten äußerst tragisch intonierten Liebesfilm auch der Urheber einiger überraschend ausgiebigen Humorspitzen (Tom Hollander als bestechlicher Arzt Dr. Sorgh geht fast schon als humoristischer Sidekick durch), doch am Ende ändern die zwischenzeitlich eingestreuten Momente der Leichtigkeit nichts am tragischen Schicksal aller Beteiligter. Regisseur Justin Chadwick («Mandela: Der lange Weg zur Freiheit») und seiner Crew gelingt es, eine Geschichte mit klarem Fokus zu inszenieren, ohne sich konsequent an jenen Elementen festzuklammern, die sich ausschließlich mit diesem auseinandersetzen. Im Klartext: «Tulpenfieber» erzählt viel auf einmal und erweckt trotzdem nie den Eindruck, überladen oder ausgefranst zu wirken.
Genau hier kommt schließlich wieder das Setting des Tulpenhandels ins Spiel, der sämtliche Schicksale in «Tulpenfieber» miteinander verbindet. Verantwortlich dafür ist auch ein weiterer Star des Films: Mit welcher Leichtigkeit und Akribie Kameramann Eigil Bryld («Brügge sehen… und sterben?») die üppig ausgestatteten Sets und die wunderschön kostümierten Darsteller einfängt, ist preisverdächtig und lässt einen manchmal sogar den einen oder anderen Gastauftritt übersehen, da man viel lieber in den Bildern im Gesamten schwelgt, anstatt sich auf so etwas Banales wie die Darsteller zu konzentrieren.
Fazit
Vor zwanzig Jahren hätte ein Film wie «Tulpenfieber» sämtliche Filmpreise gewonnen, doch auch heute noch begeistert ein solch berauschend-üppig ausgestatteter Kostümfilm, der nicht nur optisch fasziniert, sondern auch eine Geschichte erzählt, die dank hervorragender Darsteller und schöner Drehbuchideen weit über das Standardrepertoire gängiger Hollywoodschmonzetten hinaus geht.
«Tulpenfieber» ist ab dem 24. August in den deutschen Kinos zu sehen.
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