Filmfacts «Atomic Blonde»
- Regie: David Leitch
- Produktion: Charlize Theron, Beth Kono, A. J. Dix, Kelly McCormick, Eric Gitter, Peter Schwerin
- Drehbuch: Kurt Johnstad; basierend auf "The Coldest City" von Antony Johnston & Sam Hart
- Darsteller: Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Eddie Marsan. Toby Jones, Sofia Boutella
- Musik: Tyler Bates
- Kamera: Jonathan Sela
- Schnitt: Elísabet Ronaldsdóttir
- Laufzeit: 115 Minuten
- FSK: ab 16 Jahren
Im Agentenactioner «Atomic Blonde» prügelt sich die vom MI6 ins geteilte Berlin geschickte Lorraine Broughton durch eine Reihe von Polizisten. Die unmaskierte Agentin behält mühelos die Oberhand. Nachdem sie sich von einem Balkon in einen Hinterhof abgeseilt hat, zieht sie ihren Rollkragenpullover hoch, so dass er die untere Hälfte ihres Gesichts verdeckt, woraufhin sie zwei weitere Gesetzeshüter umhaut. Direkt danach lässt sie ihre Tarnung wieder fallen. Der alleinige Sinn und Zweck dieser Pulloverkragen-Hochzieh-Geste?
Sie soll cool aussehen – wenn «Atomic Blonde»-Hauptdarstellerin Charlize Theron unmittelbar vor der Kamera steht und fast schon das Publikum anstarrt, entschleunigt dies kurzzeitig einen rasanten Actionmoment, ehe ein letzter Zwei-gegen-Eine-Kampf als Nachklapp dieser Sequenz dient. Aber es werden weder Aussagen über den Charakter der Protagonistin getroffen, noch gibt es einen erzählerischen Anlass. Denn Lorraine verfolgt, wie bereits angedeutet, die Tarnmentalität eines sich stets auf dem Silbertablett präsentierenden James Bond.
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Leitch weiß, was cool aussieht. Er hat ein Auge für diese kleinen Vignetten, die wie für Trailer gemacht sind und sich dauerhaft ins Gedächtnis des Publikums einbrennen. Was ihm sowie Drehbuchautor Kurt Johnstad («300: Rise of an Empire») allerdings in «Atomic Blonde» abhanden geht, ist das Händchen dafür, all dies zu einer packenden Narrative zusammenzuführen, die dem Betrachtenden die zentrale Figur näher bringt und eine dynamische Spannungskurve aufweist.
Das während des Kalten Krieges angesiedelte Agenten-Verwirrspiel zeigt, wie Lorraine Broughton dem MI6 sowie dem CIA nacherzählt, was während ihres von Rückschlägen geplagten Einsatzes in Berlin vorgefallen ist. Dadurch, dass der Hauptplot als Rückblende erzählt und regelmäßig zurück auf Lorraines Verhör geschnitten wird, verliert «Atomic Blonde» jede Menge narrativen Schwung: Obwohl Leitch seinen Film als überstylische Agenten-Actionsause anlegt, bricht das Erzähltempo regelmäßig ein, damit Lorraine in Berlin mit verschwörerischem Blick eskalierende Gespräche mit Agentenkollege David Percival (James McAvoy, so exzentrisch, als sei seine Figur vom «Split»-Set geflohen) führen kann. Weitere Durststrecken kommen vor, wann immer im Verhörraum der stets gleiche Ablauf der Dinge (strenge Frage, schnippische Antwort, gefrustete Nachfrage, gelangweilt-unterkühlte Überleitung zum Rest der Erzählung) abgespult wird.
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Also ist es allein an Charlize Therons magnetischer Leinwandpräsenz, die Nicht-Actionszenen vorm völligen Einsturz zu bewahren. Wenn Leitch jedoch Nahkämpfe und Schusswechsel inszeniert, bekommt dieser eisig-komatöse Film auf einmal einen Puls. Vor allem eine minutenlange Auseinandersetzung in einem Treppenhaus, bei der Lorraine ordentlich einstecken muss, aber auch äußerst akrobatisch austeilt und nebenher sehr taktisch vorgeht, bleibt in Erinnerung.
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Theron kann das tragen und daher wäre entgegen der Schwäche dieses Erstlings ein zweiter Leinwandeinsatz von Lorraine Broughton durchaus willkommen – die Figur hat Potential. Aber nicht, wenn die Story noch einmal so ungeheuerlich egal, zugleich aber so ausschweifend erzählt wird. Style over Substance funktioniert halt nur, wenn der spröde, austauschbare Inhalt durch seine Quantität den Look nicht doch wieder übertönt …
«Atomic Blonde» ist ab dem 24. August 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
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