Die Kritiker

«Nicht mit uns! - Der Silikon-Skandal»

von

Der Sat.1-Film mit aus den Schlagzeilen gerissener Thematik macht einen großen Fehler: Er vertraut seiner erzählerischen Stärke nicht.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Hannes Jaenicke als Axel Schwenn
Susanne Bormann als Jenny
Muriel Baumeister als Konstanze
Stephanie Krogmann als Micki
Mimi Fiedler als Katharina Vogt
Adrian Topol als Christian Weimann
Ralph Hönicke als Dr. Marschburger

Hinter der Kamera:
Produktion: Producers at Work
Drehbuch und Regie: Holger Haase
nach einer Idee von Hannes Jaenicke
Kamera: Uwe Schäfer
Produzent: Christian Popp
In der Ökonomie und der Soziologie gibt es seit langem ein bekanntes Axiom: Wenn sich morgen alle Frauen in ihren Körpern wohl und attraktiv fühlen würden, gingen der globalen Wirtschaft Milliarden flöten. All dieses Geld fließt aber nicht nur in oft überteuerte, aber mehr oder weniger harmlose Lidschatten, Eyeliner und Lippenstifte, sondern auch in Brustimplantate. Gesundheitlich sind eigentlich auch die harmlos – es sei denn, ein Hersteller nimmt es im Zuge der Gewinnmaximierung mit der Zusammensetzung nicht so genau und produziert Silikonkissen minderer Qualität mit krebserregendem Inhalt. Ein ähnlich gelagerter Fall hat sich in der Realität tatsächlich ereignet – mit für die Opfer juristisch unbefriedigendem Ergebnis.

In «Nicht mit uns! – Der Silikon-Skandal» hat sich die Polizistin Jenny (Susanne Bormann) vor einigen Jahren solche mangelhaften Implantate einsetzen lassen. Schon als Teenagerin war sie wegen ihrer kleinen Oberweite gedemütigt worden; nachdem das einige Jahre im Polizeidienst so weitergegangen war, zog sie die entsprechenden Konsequenzen und ließ sich die Brüste vergrößern. Als sie davon Wind bekam, dass ihre Implantate wegen der Kaltschnäuzigkeit der Hersteller wahrscheinlich hochgradig gesundheitsgefährdend waren, ließ sie sie wieder entfernen und verklagte das verantwortliche Unternehmen. Ihre ebenfalls geschädigten Freundinnen Konstanze (Muriel Baumeister) und die von Stephanie Krogmann gespielte schwäbelnde Porno-Darstellerin Micki Styler („Die Micki Styler isch immer a bissle geiler.“) zogen mit vor Gericht. Allesamt unterlagen sie.

Bleibt nur eine Revision oder eine Klage gegen den Mutterkonzern, und das, während der Durchhaltewillen verständlicherweise gerade am Tiefpunkt ist. Da kommt der adrette, erfolgreiche und leider auch ziemlich misogyne Anwalt Axel Schwenn (Hannes Jaenicke) gerade recht. Beim Nachnamen Schwenn dürfte es bei justizkundigen Zuschauern klingeln: Johann Schwenn heißt nämlich einer von Deutschlands durchsetzungsstärksten, sachkundigsten und bekanntesten Strafverteidigern. Axel Schwenn wird uns als ähnlicher Typ vorgeführt, wenn auch in einer abgehalfterten Version, voll zerbrochener Ideale: Früher hat er noch gegen Gorleben geklagt oder Ölbohrungen in australischen Reservaten verhindert. Heute vertritt er vornehmlich lüsterne Barkeeper – und nun immerhin Frauen mit gesundheitsschädlichen Brustimplantaten.

Das Problem an diesem Film: Der Stoff wäre aus einem psychologischen Blickwinkel wesentlich interessanter als aus einem justiziellen. Und auch wenn Jenny mit Axel beim allmählichen Beschnuppern und Näherkommen über ihre alten seelischen Wunden sprechen darf, soll das Hauptaugenmerk auf der David-gegen-Goliath-Geschichte liegen, die leider viel dilettantischer und unrealistischer erzählt wird, als es hätte sein müssen.

Dass urteilsentscheidende Gutachten am Prozesstag im Gerichtssaal verteilt werden, kann man noch mit einer notwendigen dramaturgischen Zuspitzung und Straffung entschuldigen. Dass dort aber nonchalant mit lächerlichen Floskeln (das berühmte „Einspruch, Euer Ehren!“) hantiert wird, dass ein Richter zum Zweck einer überkandidelten Überdramatisierung schulhofhaftes Gelächter auf den Zuschauerbänken toleriert und dass Axel Schwenn mit einer Richterin ins Bett steigt, von der er sich Beschlüsse holt, zieht den Film völlig unnötig ins Lächerliche.

Verschenktes Potential findet sich ebenfalls auf Seite des Goliaths, hier vertreten durch die eiskalte Anwältin Katharina Vogt (Mimi Fiedler), die mit ihren psychopathischen Zügen zwar eine fachlich würdige, aber eine emotional zu einfache Gegnerin ist. Und so mutet «Nicht mit uns!» seinen drei Heldinnen wesentlich weniger zu, als diese hätten stemmen können. Gleiches gilt für das nicht nur in dieser Zuspitzung unsinnige Leitmotiv „Recht haben und Recht bekommen, sind zweierlei“, das diesem Film in seiner Relevanz ebenso unnötig schadet und grundsätzliche rechtsstaatliche Werte unangenehm bagatellisiert.

All diese unnötigen Verzerrungen lassen sich auf einen Fehler zurückführen, den dieser Film konsequent macht: Er vertraut seiner erzählerischen Stärke nicht, er reduziert Komplexität, wo es nur geht, und verzichtet gleichzeitig darauf, seine stärksten und interessantesten Aspekte und seine wichtige Grundthematik voll auszuspielen: Dass Frauen gefährliche Medizinprodukte eingepflanzt werden, an denen sie im Extremfall sterben könnten. Denn das ist freilich ein Widerhall auf ein noch größeres Thema: eine strukturelle sexistische Benachteiligung in der Gesellschaft als Ganzes. Getreu einem anderen Axiom, dieses Mal aus der Medizin: Wenn Männer schwanger werden könnten, wären Abtreibungskliniken wie Starbucks.

Sat.1 zeigt «Nicht mit uns! – Der Silikon-Skandal» am Dienstag, den 17. Oktober um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/96496
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