Serientäter

Warum die zweite Staffel von «Stranger Things» besser als die erste ist (und schlechter)

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Demogorgon vs Mind Flayer, Max vs Eleven, Action vs Horror: Wir haben die komplette zweite Staffel des Netflix-Hits «Stranger Things» gesehen und machen den großen Vergleich zur ersten Season.

Eine epische Geschichte (und mehr)
In «Stranger Things 2» geht es diesmal mehr um einen Charakter und seine Rettung. Die Geschichte aus Staffel eins drehte sich um Wills Reise zurück in die Wirklichkeit, und um Eleven, die sich für Will und seine Freunde schließlich dem Demogorgon stellt. Der Bösewicht der ersten Staffel ist letztlich aber nur ein Handlanger, wie wir nun herausfinden: In Staffel zwei entfaltet sich eine epische Geschichte um eine außerweltliche Entität, die die Menschheit ausrotten will – so zumindest die vereinfachte Erklärung, die wir serviert bekommen. Diese Entität wird Mind Flayer genannt, ein riesiges Schattenmonster, das Will wie einen Virus befällt und ihn steuert. Wieder geht es um seine Rettung – aber auch um noch viel mehr. Staffel 2 wird getragen von einer epischen Grundstimmung, die eine logische Folge der sehr konzentrierten Freundschaft-Geschichte der ersten Episoden ist, und sie eröffnet mehr Möglichkeiten im Serienkosmos. Viele Szenen und Konzepte erinnern nicht ohne Grund an «Aliens» – das größere, epischere, konsequentere Sequel zu «Alien».

Mehr Action, mehr Horror
Um bei «Aliens» zu bleiben: War der Originalfilm noch ein psychologisch getriebener SciFi-Horrorfilm, setzte der Nachfolger mit harter Action ganz neue Akzente. Ähnlich agiert auch «Stranger Things», das seine verschiedenen Genre-Auswüchse noch stärker ausreizt als bisher. Das heißt: Wenn Action, dann knallt es richtig – so beispielsweise bei der Evakuierung des Labors gegen Ende der zweiten Staffel. Diese Staffel ist auch blutiger und nervenaufreibender. Ähnlich die Horror-Parts, die gruseliger daherkommen als zuvor: Die zahlreichen Szenen in der Parallelwelt „Upside Down“ mit ihrem Mind Flayer-Monster schocken gewaltig, wie auch die klaustrophobischen Passagen unter der Erde, in den lebenden Virus-Korridoren. Auch mit anderen Genres experimentiert das Format diesmal stärker, so beispielsweise mit der Atmosphäre der urban movies aus den 80ern in der Episode, in der Eleven ihre Schwester trifft. Generell wird Staffel zwei mit der stärkeren Ausdifferenzierung seiner Genres abwechslungsreicher – es changiert gekonnt mit den verschiedenen Stimmungen und Emotionen seiner Zuschauer.

Eleven
Konsequenter als in Staffel eins besitzt jede Episode diesmal eine Idee, ein Hauptthema, das die Story hauptsächlich vorantreibt. Besonders deutlich wird dies in der Standalone-Folge sieben, die ausschließlich Elevens Geschichte weitererzählt: Bisher von Hooper im Wald gefangen gehalten – aufgrund ihrer eigenen Sicherheit –, bricht Eleven irgendwann aus und folgt ihrer Intuition. Sie sucht ihre Mutter auf – und schließlich ihre Schwester Eight, die Teil einer Gruppe von Aussätzigen ist. Die Punks stellen sich gegen die gesellschaftliche Norm und wollen sich rächen an den Menschen, die ihnen Schaden zugefügt haben. Für Elevens Charakter ist diese Reise wichtig, um zu erkennen, was ihre wahre Aufgabe ist: ihren Freunden in Hawkins zu helfen und nicht ihrer Schwester.

Generell aber wirkt der Umgang mit Elevens Charakter forciert und kommt aus dem Nichts – wie auch ihre bemüht wirkende Verwandlung in ein MTV-Punk-Girl. So gestaltet die Geschichte um Eleven bis zu dieser wichtigen siebten Episode auch langweilig und irrelevant, der Charakter wird erst spät in dieser Staffel wieder wichtig. Es wirkt, als habe man nicht wirklich gewusst, wie man die Geschichte um Eleven weitererzählen will oder kann – und hat schließlich nur Füllmaterial erfunden, das mehrere Episoden lang durchgezogen wird. Auf der anderen Seite ist die gesamte Charakterentwicklung um Eleven von Menschlichkeit geprägt. Man setzt damit den gegenteiligen Tonus zur ersten Staffel, wo sie wie eine fremde außerirdische Figur wirkte. Die Humanisierung von Eleven ist wahrscheinlich ein wichtiger Grundstein für den Fortgang der Story in den noch folgenden Staffeln.

Die Storylines
Abgesehen von der Eleven-Storyline fühlen sich die anderen Handlungsstränge hervorragend arrangiert an. Sie sind allesamt permanent relevant für die Hauptstory und doch sehr unterschiedlich – sowohl untereinander als auch in sich selbst. Die Macher nutzten die Storylines konsequent, um vormals getrennt voneinander agierende Charaktere zusammenzubringen: so beispielsweise Steve und Dustin beim Kampf gegen den Haustier-Demogorgon, oder bei Nancy und Jonathan, wo Spion- und Lovestory vermischt werden. Dank der starken ersten Staffel waren die meisten Charaktere so gut entwickelt, dass sie noch mehr eigene Storylines in «Stranger Things 2» tragen konnten. Dies führt dazu, dass oft viele Dinge gleichzeitig passieren und man als Zuschauer kaum noch Luft holen kann. Insbesondere kommt dies wieder der Abwechslung zugute. Nicht zuletzt aber auch werden die einzelnen Storystränge diesmal großartig am Ende zusammengeführt. Alles läuft auf ein fulminantes Finale hinaus, in dem jeder Charakter seine wichtige Rolle zu tragen hat, um das Böse zu besiegen.

«Stranger Things 2» traut sich etwas (und wieder nicht)
Mit Max führt die zweite Staffel einen neuen Hauptcharakter ein, der das magische Freundschaftsband der vier Jungs auf die Probe stellt. Das toughe Mädchen sorgt dafür, dass Will, Dustin, Lucas und Mike ihre eigene Beziehung hinterfragen – und mancher von ihnen erste Gefühle für Max entwickelt, die über Freundschaft hinausgehen. Die Macher von «Stranger Things» wissen, dass die Hauptdarsteller mit der Show mitwachsen: Sie erklärten, dass sie in jeder Staffel neu berücksichtigen müssen, wie sie die jugendlichen Charaktere zeichnen, da auch die Darsteller wieder ein Jahr älter sind. Mit Billy, dem erwachsenen Bruder von Max, wurde außerdem der erste menschliche Antagonist von «Stranger Things» eingeführt, der nichts mit der Labor-Verschwörung zu tun hat.

Abseits der wohldosierten Neuerungen fühlt sich die zweite Staffel aber auch teils so an, als habe man sich nur bis zu einem gewissen Punkt an frische Ideen getraut. Manche Konzepte ähneln denen in den alten Folgen: So geht Will auch diesmal wieder an die bösen Mächte verloren, und seine Freunde müssen ihn retten. Seine Mutter Joyce spricht viele verzweifelte Monologe, die auch genauso in Season eins hätten gesprochen werden können. Und Will kommuniziert über Umwege mit seinen Geliebten – diesmal nicht über Lichter und Elektrizität, sondern über Morsezeichen. Auch Elevens Entwicklung beginnt fast wieder von vorn: Sie muss ihren Weg zurück in die reale Welt finden, diesmal nur auf andere Weise.

Stilistisch spielt «Stranger Things 2» noch ausdrucksstärker als 2016 die 80er-Karte aus, sprich: noch mehr und noch eindeutigere Referenzen, noch mehr Popkultur, noch mehr ikonische Szenen, noch mehr nostalgische Soundtracks (der „Snow Ball“ am Ende!). Dies kann man hassen und feiern: Hassen, weil man manchmal das Gefühl hat, manche Szene wurde so nur arrangiert und gedreht, um als Hommage oder Referenz zu funktionieren. Dies mögen einige Kritiker auch Einfallslosigkeit nennen. Andererseits ist doch genau dies das Einzigartige an «Stranger Things»: Es kreiert eine nostalgische Atmosphäre, die uns allzu vertraut ist. James Cameron, Stephen King, Steven Spielberg. «Aliens», «Der Exorzist», «It», «Halloween» und noch viel mehr. All diese Filme und ihre Emotionen, ihre Stimmungen und Konzepte kongenial vermixt in einer einzigen Serie, die gleichzeitig noch ihre eigenen Wege geht. Was will man mehr?

(Ich wüsste da was: So etwas Ähnliches für die 90er-Popkultur bitte, Netflix)

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Kingsdale
02.11.2017 12:07 Uhr 1
Die erste Staffel zu toppen war schwer. Mit jeder Folge die Spannung zu heben und ein grandioses Finale zu zeigen. Aber dennoch steht die zweite Staffel der Ersten in nix nach. Auch hier wird es von Folge zu Folge spannender und das Puzzel setzt sich immer mehr zusammen. Dazu die sympathischen Charaktere und die mysteriöse Geschichte. Hier passt einfach alles. Einer der besten Serien des Jahres und eine dritte ist schon in Planung.

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