Stab
Buch: Calle Overweg und Katja FedulovaRegie: Katja Fedulova
Kamera: Sergej Amirdzhanov
Produktion: Tondowski Films und ZDF - Das Kleine Fernsehspiel
Die Filmemacherin Katja Fedulova ist zwar in der Sowjetunion geboren und aufgewachsen, lebt aber seit zwanzig Jahren in Deutschland. Anhand drei jungen Frauen stellt sie uns dieses Russland exemplarisch vor: Eine von ihnen ist eine radikalkonservative Abtreibungsgegnerin, in jungen Jahren schon Mutter von vier Kindern. Offensiv wirbt sie für eine Rückkehr zu als traditionell verstandenen Werten von Keuschheit, Enthaltsamkeit und der Vater-Mutter-Kinder-Familie.
Eine Andere verherrlicht Stalin und rechtfertigt seine Massenmorde vor dem damaligen zeitlichen Hintergrund. Sie ist eine der Russinnen, die im Donbass einmarschiert sind und dort einen Guerilla-Krieg gegen die ukrainischen Sicherheitskräfte und die Zivilbevölkerung führen. Das Russland, für das sie kämpft, ist ebenfalls ein traditionelles, besessen von nationaler Großtuerei und der unbedingten Autorität eines starken Staates.
Olga Li, eine Regionalpolitikerin aus Kursk, hat dagegen eine ganz andere Vision für ihr Land. Als Gegnerin von Wladimir Putin kämpft sie gegen die in Russland omnipräsente Korruption, schamlosen Wahlbetrug durch die Regierungspartei Edinaja Rossija und die brutale Gewalt gegen friedliche, aber standhafte Oppositionelle. Unverhohlen wird ihr sogar im Regionalparlament gedroht, die Polizei und alle anderen staatlichen Strukturen sind de facto ohnehin ihre erklärten Gegner. Ihr Kampf, der Kampf gegen die Korruption, scheint von den drei portraitierten Frauen leider der aussichtslose: „Wie kann man bekämpfen, was das Fundament des Staates ist?“, steht als treffende Frage im Raum. Doch auch Li wird nicht als ausschließlich positive Figur geführt: Wohlbegründet spekuliert Fedulova, dass ihr wohlhabender Assistent, der durch den Betrieb von Casting-Agenturen (in Russland weitgehend synonym mit der Vermittlung von Prostitution) zu Geld gekommen ist, in Wirklichkeit Lis Partner und der Vater ihrer Kinder ist.
«Drei Engel für Russland» betrachtet drei exemplarische Visionen für das Land: eine Rückbesinnung in das vorvorige erzkonservative Jahrhundert, in dem sich das öffentliche Leben an überkommenen orthodoxen religiösen Vorstellungen auszurichten hat, die individuelle Freiheiten nicht vorsehen. Eine neostalinistische Vision von unbedingtem russischen Großmachtstreben, mit einem starken Staat nach innen und außen, ohne jegliche Abwehrrechte der Bürger, zum größeren Wohl des Kollektivs. Und eine Annäherung an westliche Werte in Form von weitem Meinungspluralismus, freien Wahlen, einer gesellschaftlichen und rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter mit umfangreichem Schutz für Minderheiten.
Die drei von Fedulova vorgestellten Visionen liefern freilich nicht nur einen Blick in eine mögliche russische Zukunft, sondern verdeutlichen einem westlichen Publikum gleichsam, warum Russland so ist, wie es ist, auf welchen Gedankengängen und geistesgeschichtlichen Strömungen, welchen Denkweisen und Lebensvorstellungen die russische Politik und Sichtweise zurückzuführen ist, und welche Debatten die russische Gesellschaft prägen. Ein gelungener, wichtiger Einblick in die russische Seele zum hundertsten Jahrestag der Oktoberrevolution – deren Konsequenzen ein Jahrhundert lang die Geschichte ganz Europas prägten.
Das ZDF zeigt «Drei Engel für Russland – Glaube, Hoffnung, Liebe» im Rahmen des „Kleinen Fernsehspiels“ am Montag, den 6. November um 00.15 Uhr.
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