Die Kino-Kritiker

Ein sensibler Stier erobert unsere Herzen: «Ferdinand - Geht STIERisch ab!»

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In der Animationskomödie «Ferdinand - Geht STIERisch ab!» kämpft ein liebenswerter Vierbeiner für sich und seine Artgenossen und nimmt es dabei mit einer spanischen Tradition auf.

Filmfacts: «Ferdinand»

  • Kinostart: 14. Dezember
  • Genre: Animationsfilm/Komödie
  • FSK: o.Al.
  • Laufzeit: 107 Min.
  • Kamera: Renato Falcão
  • Musik: John Powell
  • Buch: Robert L. Baird, Tim Federle, Brad Copeland
  • Regie: Carlos Saldanha
  • Deutsche Sprecher: Daniel Aminati, Bettina Zimmermann, Max Giermann, Ben, Simon Schwarz, Mirjam Weichselbraun
  • OT: Ferdinand (USA 2017)
Es gibt Traditionen, von denen weiß eigentlich jeder, wie falsch sie sind – und trotzdem ist eine Tradition eben eine Tradition und nur schwerfällig aus der Welt zu schaffen. Dazu gehört auch der spanische Stierkampf, bei dem die mächtigen Vierbeiner seit Jahrhunderten zur menschlichen Belustigung durch eine Arena getrieben und schließlich mit einem langen Speer regelrecht aufgespießt werden. Derartige Veranstaltungen locken unter dem Deckmantel von Geschichte immer noch Jahr für Jahr Tausende von Zuschauern in die spanischen Stierkampfarenen; zwar findet in manchen Kreisen langsam ein Umdenken statt, doch die Prämisse des US-amerikanischen Animationsfilms «Ferdinand – Geht STIERisch ab!» ist trotzdem (noch) ziemlich mutig. Darin erzählt der durch das «Ice Age»-, und «Rio»-Franchise bekannt gewordene Regisseur Carlos Saldanha die Geschichte eines Stieres und seiner Kumpanen, für die es nur ein anzustrebendes Ziel gibt: gegen den Matador anzutreten – allerdings ohne die für sie dahinter stehenden Konsequenzen zu kennen.

Bewundernswert ist allerdings nicht bloß die Themenwahl, sondern vor allem, was Saldanha daraus macht: «Ferdinand» ist trotz der äußerst ernsten Ausgangslage ein kinder- und familientauglicher Abenteuerspaß mit viel Slapstick und Wortwitz, doch spätestens wenn sich die Macher entscheiden, ein Schlachthaus von Innen zu zeigen, ahnt man, dass Saldanha hiermit seine bisher nicht bloß reifste, sondern im Umkehrschluss auch beste Arbeit abliefert.

Wenn Du nicht das willst, wofür Du geschaffen bist...


Nachdem man den liebenswürdigen Stier Ferdinand (Daniel Aminati) irrtümlich für ein wildes Tier hält, wird er gefangen genommen und von seinem heimeligen Zuhause weggeschafft. Fest entschlossen, zu seiner Familie zurückzukehren, trommelt er ein Team von Außenseitern unter der Leitung der exzentrischen Ziege Elvira (Bettina Zimmermann) zusammen, um mit ihnen das ultimative Abenteuer erleben und der Tradition des spanischen Stiefkampfes gehörig auf den Zahn zu fühlen. Denn die edlen Tiere ahnen nicht, dass ihr Leben mit dem Betreten der Arena so gut wie vorbei ist…

Zu Beginn ahnt man noch nicht, worauf «Ferdinand» eigentlich hinaus will, denn der kunterbunte Animationsfilm eröffnet wie ein herkömmliches Außenseiter-Abenteuer über einen kleinen Stier, der lieber an Blümchen schnuppert, anstatt – wie seine coolen Stallfreunde – dem Traum einer (eben nicht ganz so langen) Stierkampf-Karriere hinterherzujagen. Gleichermaßen birgt dieser Ansatz, ohne das Wissen, in welche Gefilde „Ferdinand“ noch abdriftet, durchaus das Potenzial einer Kontroverse, denn die Realität sieht eben so aus, dass Stiere nicht etwa aus freien Stücken diesen fragwürdigen Lebensweg bestreiten, geschweige denn eine Karriere als Opfer einer Tierquälerei anstreben; im Grunde werden wie hier Zeuge von Vermenschlichung in seiner schlimmsten Form. Gleichwohl kommen Carlos Saldanha und sein Drehbuch-Trio aus Robert L. Baird («Baymax»), Tom Federle und Brad Copeland («Born to Be Wild – Saumäßig unterwegs») rechtzeitig mit der wichtigsten Erkenntnis überhaupt um die Ecke, als sie den Titelhelden mit der grauenvollen Wahrheit konfrontieren.



Fortan lautet die Prämisse also wie folgt: Ein Stier führt eine kleine Herde aus weiteren Stieren an, die allesamt vor ihrem Schicksal, wahlweise als Kampftier, oder als Schlachtvieh zu enden, fliehen und sich ein besseres Leben in Frieden erhoffen. Eine solche, natürlich Potenzial für allerhand Slapstick und skurrile Szenen bergende Szenerie entspricht dann zwar schon in gewisser Weise jener eines Standardanimationsfilms, doch unterfüttert mit der Stierkampfgrundlage besitzt «Ferdinand» nicht bloß eine wesentlich größere, dramatische Fallhöhe, sondern auch einen handfesten, vollkommen realistischen Bösewicht mit klarem Ziel, das auch im Umfeld eines Animationsfilms nichts an Idiotie einbüßt; Tiere nur zur Belustigung der Menschen zu quälen, ist in jeder Realität absoluter Unsinn.

Ein sehr lustiges, aber auch überraschend reifes Abenteuer


Und so gehen eine beklemmende Szene in einem Schlachthaus sowie der Schlussakt in der Stierkampfarena dann auch richtig zu Herzen und könnten für ein sehr junges Publikum sogar eine ganze Spur zu aufregend sein. Im krassen Kontrast zu derart melancholischen Szenen wie etwa das auf den Punkt mit extrem viel Fingerspitzengefühl konzipierte Finale stehen jene Momente, die vorwiegend durch ausladenden Witz punkten. In den humoristischen Momenten ist «Ferdinand – Geht STIERisch ab!» nämlich alles andere als subtil oder tragisch, sondern besitzt vor allem diverse Pointen, die sowohl für die Kleinen, als auch für die Großen funktionieren (Stichwort: „Splatter-Zone“). Für die Filme der Animationsschmiede Blue Sky ist der Miteinbezug von Popkulturreferenzen und „Erwachsenengags“ nichts Besonderes, doch wo das anderswo oft bemüht wirkt, funktioniert es hier vor allem dadurch, dass die Geschichte ohnehin nicht auf völlige Zeitlosigkeit abzielt, sondern ganz gezielt Bezug zum aktuellen Zeitgeist nimmt.

Das geht ab und an schief; so zum Beispiel bei der Wahl der Hintergrundmusik – Pitbull als Interpret eines flotten R’n’B-Beats zu einer Verfolgungsjagd wirkt im Jahr 2017 einfach nicht mehr angesagt. Doch im Großen und Ganzen passt in «Ferdinand» sowohl die Gag-Trefferquote, als auch die Art und Weise, wie hier – nahezu am laufenden Band – Lacher generiert werden. In Kombination mit der herzerwärmenden Geschichte ist das eine durchaus ansprechende Kombination, um möglichst viele Altersklassen vor den Leinwänden zufriedenzustellen.

Auch die Figuren tragen ihren Teil dazu bei, dass «Ferdinand» bei seiner für einen Kinderfilm durchaus üppig bemessenen Laufzeit von 109 Minuten über weite Strecken ohne Längen auskommt. Erst in der Schlussphase schleppt sich eine Verfolgungsjagd durch die Stadt Madrid um einige Minuten zu lange, genauso wie manch szenisch inszenierter Gag nicht im richtigen Moment beendet wird – Stichwort: Tanzbattle-Sketch. Dafür geht manch ein Charakter selbst schon als wandelnde Pointe durch: Die Ziege Elvira, im Original gesprochen von Kate McKinnon, besitzt nicht bloß ein Aussehen, das zum permanenten Schmunzeln einlädt. Ihre burschikos-exzentrische Art ist ebenso zum Brüllen komisch, wie die in einer Tour von ihr losgelassenen, absolut treffsicheren One-Liner. Dagegen kommen die drei Sidekicks der langfingerigen Igel ein wenig zu kurz, genauso wie Ferdinands Stier-Freunde. Ferdinand selbst ist als Hauptcharakter eines Films – und eventuell sogar Franchises – dagegen ein absoluter Glücksgriff. Daniel Aminati spricht den herzensguten und gleichermaßen für sich und seine Ideale einstehenden Stier mit viel Leidenschaft und funktioniert in Kombination mit der Elvira synchronisierenden Bettina Zimmermann («Die Luftbrücke») am besten.

Sie machen einen Film menschlich, der aus technischer Sicht solide geraten ist, vor allem aber durch seine Verschmelzung von klassischer Computeranimation und dem Anschein überzeugt, die Hintergründe seien ganz altmodisch per Hand gezeichnet. Eine bloße Illusion, doch das Endergebnis ist beeindruckend – da hätte man sich den unspektakulären 3D-Effekt gern sparen können.

Fazit


In den falschen Händen hätte «Ferdinand – Geht STIERisch ab!» durchaus pietätlos werden können, doch das Animationsabenteuer besticht mit überdurchschnittlich viel Witz und einer gehörigen Portion Ernsthaftigkeit, wodurch die Tradition des Stierkampfes gekonnt Infrage gestellt wird.

«Ferdinand – Geht STIERisch ab!» ist ab dem 14. Dezember bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen – auch in 3D!

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