You Are Cancelled

«Tell Me You Love Me»

von
Eigentlich war eine zweite Staffel der freizügigen HBO-Serie schon bestellt – doch dann kam alles ganz anders.

HBO ist bekannt und berühmt dafür traditionelle Serien aus ihren Komfortzonen herauszuholen. «Die Sopranos» und «Deadwood» haben die Grenzen in Sachen Gewalt und Profanität überschritten; «Sex and the City» und «Curb Your Enthusiasm» brachten die dramatischen Elemente von Beziehungen und sozialen Ständen in einer Comedy unter; «Six Feet Under» und «Big Love» verschoben die Grenzen, wenn es um Moral, Mortalität und Familiendynamik ging. 2007 startete mit «Tell Me You Love Me» eine Serie, welche die Sexualität und Intimität über die Kante schickte. Die von Cynthia Mort entwickelte Dramaserie beschäftigte sich mit drei Paaren in verschiedenen Stadien ihrer krisenhaften Beziehung, und ihrer gemeinsamen Therapeutin, ebenfalls mit Problemen in ihrem Eheleben. Statt wie üblich von den Sexszenen abzuweichen, gaben die Autoren sich große Mühe, eben jene Beziehungen inmitten der sexuellen Handlungen zu erforschen. Dass HBO mit «Tell Me You Love Me» gewissermaßen ein Meilenstein des Fernsehens erschaffen hat, wurde den Zuschauern erst nach der unverhofften Absetzung der Serie klar.

Nicht nur die Zuschauer fragten sich, ob die dargestellten sexuellen Handlungen in der Serie real waren, und ob die Darsteller mehr als nur ihre Genitalien für die Zuschauer und den Schockgehalt der Serie hergaben. Eine Pressekonferenz für «Tell Me You Love Me» im Juli 2007 drehte sich deshalb nur um die eine Frage: Haben die Darsteller vor der Kamera echten Sex? Darstellerin Michelle Borth antwortete mit „Wir sind keine Pornstars“, während ihre Kollegin Ally Walker zu erklären versuchte, dass die Intimität zwischen den Leuten zugunsten der Dramatik der Serie nicht vorgetäuscht und dementsprechend inszeniert wurde. Der große Elefant im Raum blieb größtenteils von den Produzenten und Darstellern jedoch unangetastet – wohl mit Absicht, um den Schein authentischer Geschichten der Serie am Leben zu erhalten. Obwohl der Sex in «Tell Me You Love Me» ein Teil der Charakterentwicklung war, ist die Beschreibung des Aktes jedoch weniger wichtig gewesen als die Idee der Serie: Die Charaktere mussten sich seelisch weitaus häufiger ausziehen als dass sie ihre Kleider vom Leibe gerissen haben.

Am 9. September 2007 strahlte HBO die erste Episode aus und erreichte eine Reichweite von rund 900.000 Zuschauern – weitaus weniger als von HBO erhofft und nach dem Buzz in den Medien in den Wochen vor der Serienpremiere äußerst enttäuschend für den reichsten TV-Sender der Welt. Die Zahlen verbesserten sich jedoch im Laufe des ersten Monats, weshalb HBO im Oktober die Bestellung einer zweiten Staffel von «Tell Me You Love Me» publik machte. Lob seitens der Kritiker war inzwischen vorhanden, wenn auch nur auf moderatem Level, und die Zuschauer hatten sich mit dem sexuellen Inhalt mit der Zeit abgefunden. Doch es dauerte ganze neun Monate, bis von Cynthia Mort die Bestätigung kam, dass ihr einschneidendes Beziehungsdrama doch nicht in eine zweite Staffel gehen wird. Sie begründete die Tatsache damit, dass sie und die Verantwortlichen der Serie außer Stande waren, eine Ausrichtung für die zweite Staffel zu finden.

Zehn Episoden lang durften die vier Paare in «Tell Me You Love Me» die Sprache und Ausdrucksweise ihrer Beziehungen hinterfragen, danach war Schluss. Mort hatte jedoch einen langjährigen Vertrag mit HBO und war nach der offiziellen Absetzung dabei, neue Geschichten für den Sender zu entwickeln. Aus ihrer Feder stammte der Pilot zum Dianne-Wiest-Drama «Tilda», doch nach all dem Drama hinter den Kameras (ein Zerwürfnis zwischen Mort und ihrem Autorenpartner Bill Condon führte zu e-Mails, in welchem Mort ihre Kollegen scharf kritisierte) wurde der Pilot im Februar 2011 nicht zur Serie bestellt. Als Meilenstein des Fernsehens ist «Tell Me You Love Me» inzwischen größtenteils vergessen – was vor allem Projekte wie «Spartacus: Blood and Sand» zu verdanken ist, welches die Grenzen von Sex und Gewalt noch einmal nach hinten verschoben hat. In diesem Sinne kann man «Tell Me You Love Me» sogar danken, dass es das Thema Sex im Fernsehen zuerst mit Anspruch und Ansporn behandelt hat.

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