Das Serienfinale von 1997 ist vergessen und der Neuauflage von «Roseanne» geht es wie dem wiederbelebten «Will & Grace» bei NBC: So explizit politisch war's noch nie.
Jetzt wissen wir’s: Roseanne Connor (Roseanne Barr) hat Donald Trump gewählt. Für das liberale Amerika ist diese Nachricht der ersten Doppelfolge des Revivals ein Schock. Und doch kommt sie nicht unerwartet: Schließlich waren es gerade Leute wie sie, die in Scharen von der demokratischen Partei zu dem republikanischen Demagogen übergelaufen sind: die weiße Arbeiterschicht im Mittleren Westen in den
Bedroom Communities, die zum Symbol der Verlierer der amerikanischen Gesellschaft wurden: Im Zuge des Strukturwandels schlossen die Fabriken, während der Arbeitsmarkt nur schlecht bezahlte Dienstleistungsjobs bei Wal-Mart als Alternativen bieten konnte, die zudem einen Verlust an sozialem Status mit sich brachten. Die defizitäre öffentliche Gesundheitsversorgung treibt immer mehr Menschen in die Heroinsucht. Und die eher konservative, noch stark von den 50er Jahren und der nuklearen Familie als Lebensmittelpunkt und –ziel geprägte Weltsicht steht in einer immer eklatanteren Dissonanz mit den kosmopolitischen Landesteilen, die im kulturellen und politischen Leben den Ton angeben. Oder besser: angaben.
Doch Roseanne Connor ist keine Rechte, sie ist noch nicht einmal sonderlich konservativ. An ihr wird das krude Bild der aktuellen politischen Ausrichtung in der amerikanischen Gesellschaft sichtbar. Denn in sozialen Fragen ist sie unverkennbar progressiv, vielleicht sogar etwas mehr als Bernie Sanders, die Ikone der amerikanischen Linken. Sichtbar wird das am Diskurs mit ihrer erwachsenen Tochter Becky (Lecy Goranson), die einen seltsamen Plan gefasst hat, um an Geld zu kommen: Sie will als Leihmutter das Kind eines reichen Paares austragen. Mit den fünfzigtausend Dollar, die sie dafür erhalten soll, kann sie all ihre Kreditkartenschulden tilgen und vielleicht sogar eine Anzahlung für eine Immobilie leisten. Dan (John Goodman) und Roseanne hassen diesen Plan: Denn selbst wenn es Becky gelingen sollte, das von ihr ausgetragene Kind leichten Herzens wegzugeben (was sie bezweifeln), sind sie sich sicher, dass zumindest sie selbst die emotionalen Bande zu ihrem Enkel nicht kappen können würden. Doch Roseanne steht zu ihren Idealen:
Her body, her choice!
In der Geschichte von Becky spiegelt sich wiederum das Trauma der Post-Roseanne-Generation: In den 70er Jahren geboren, kennt sie nichts als wirtschaftspolitische Deregulierung und ihre vermeintlich abstrakten Folgen, die sie im Konkreten hat ausbaden müssen. Wo sich ihre Eltern bereits mit Ende 20 den amerikanischen Traum vom Haus und den sprichwörtlichen zwei Autos in der Garage leisten konnten, befinden sich ökonomische Sicherheit geschweige denn diese wirtschaftlichen Statussymbole für Becky in weiter Ferne. Sie ist die erste Generation in der amerikanischen Geschichte, die hinter den Lebensstandard ihrer Eltern zurückfällt.
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John Goodman, Roseanne Barr, Sara Gilbert, Sarah Chalke, Michael Fishman, Alicia Goranson, Laurie Metcalf, Emma Kenney, Jayden Rey, Ames McNamara
Etwas Ähnliches macht ihre Schwester Darlene (Sara Gilbert) mit, die mit ihren beiden Kindern nun zu ihren Eltern gezogen ist – vordergründig, um sich um Dan und Roseanne zu kümmern, die mit ihren zahlreichen medizinischen Diagnosen nicht mehr so können: Roseanne hat es mit einem Blutzuckerspiegel jenseits von Gut und Böse erst bei Wal-Mart umgehauen, Dan pfeift sich jede Menge Blutdrucksenker rein und bedient sich einer nächtlichen Schlaf-Apnoe-Maske (Roseanne dachte zuerst, er sei tot, in einem kleinen Seitenhieb auf das vergessen gemachte ursprüngliche Serienfinale von 1997). Doch während Roseanne und Dan in ihren
golden years eine gewisse häusliche Unterstützung sicher gebrauchen können, sucht Darlene gleichsam Halt bei ihren Eltern: Nach Scheidung und Jobverlust lebt auch sie in einer wirtschaftlich wie sozial unsichereren Zeit.
Mit ihrer jüngeren Schwester Jackie (Laurie Metcalf), liberal und aufrichtig, hatte sich Roseanne seit der letzten Präsidentschaftswahl überworfen. Doch Darlene beharrt auf einer Versöhnung und einem Ausgleich, allein weil sie Jackie als wichtigen Einfluss für ihre eigenen Kinder etablieren will. Und spätestens als Jackie – mit rosa
Pussy Hat und einem rosa T-Shirt mit der Aufschrift
Nasty Woman, beides glasklare Anti-Trump-Symbole – vor der Tür steht, passiert das, was in amerikanischen Familien oft ausbleibt: die politische Konfrontation, in einer Zeit, in der das Private hochpolitisch ist, in der die Entscheidung für Trump oder Clinton nicht nur ein abstrakter demokratischer Akt, sondern Ausfluss einer tiefen inneren Überzeugung ist.
Doch die zehnte Staffel von «Roseanne» führt hier wie an anderen Stellen das Klischee nur ein, um es sofort wieder zu dekonstruieren und gleich zu offenbaren, welch zahlreiche innere Widersprüche sich hinter der ersten Zuordnung befinden. Besonders eindrucksvoll sieht man das an Darlenes neunjährigem Sohn, der – so die angelsächsische Bezeichnung –
gender-non-conforming ist. Will sagen: Er ist ein Junge und sieht sich als Junge, tut aber ostensibel Dinge, die traditionell Mädchen zugeschrieben werden. Zum Beispiel: Röcke tragen. In der Grundschule von Lanford, Illinois keine gute Idee, finden Roseanne und Dan. Die allgemeine Ächtung auf dem Schulhof dürfte unausweichlich sein. Es sind nicht die eigenen Vorurteile, die sie in ihrem manchmal rabiaten Duktus zur Vorsicht mahnen, sondern die Angst davor, was dem Jungen bevorstehen könnte.
In gewisser Weise ist die zehnte «Roseanne»-Staffel eine soziologische Aufklärungsstunde für die eine Hälfte des Landes darüber, wie die andere Hälfte lebt. Man kann daraus einige wertvolle Schlüsse ziehen. Zu allererst: Amerika ist so offen wie eh und je. Auch die ländlichen Trump-Hochburgen haben keine Berührungsängste mit geschlechts-non-konformen Menschen, Schwulen und Lesben und sind in sozialen Fragen (
Her body – Her choice!) weiterhin bodenständig-progressiv. Sie sind schlicht nicht mehr willens, dreißig Jahre wirtschaftliche Vernichtung fortzuführen, die ihren Kindern ein unsteteres, unsichereres Leben aufzwingt als das, das sie selbst trotz aller Widrigkeiten führen konnten, und sie sind zum Äußersten (Donald Trump) bereit, wenn nur ein Hauch Aussicht darauf besteht, das abzustellen.
«Roseanne» ist – ähnlich wie «Will & Grace», das nach über einem Jahrzehnt Abwesenheit im vergangenen Herbst von NBC mit rauschendem Erfolg fortgesetzt wurde – immer eine politische Sendung gewesen. Doch während das Politische bei diesen beiden Serien früher implizit war, ist es jetzt explizit.
Es hilft, dass «Roseanne» dabei wie stets zuvor zum Schreien komisch ist: Die Punchlines sitzen perfekt, die ruhigen, nachdenklichen Momente wechseln sich in genau der richtigen Dosierung mit den Gag-getriebenen Sequenzen ab. Die Zeiten haben sich geändert, aber nicht die Figuren und ihre Grundüberzeugungen, wenn sie auch zwischenzeitlich in ihrer Persönlichkeit gewachsen sind. Man bekommt das Gefühl, nach langen Jahren wieder nach Hause kommen zu können, in den vertrauten Haushalt der Familie Connor. Das ursprüngliche Finale von 1997 hat leider gezeigt, dass nicht unbedingt alles gut wird. Zum Beispiel, wenn ausgerechnet Donald Trump zur Einschaltquote gratuliert.