«Hebammen im Einsatz»: RTL erwacht leise aus seinem Dornröschenschlaf

Die Scripted-Heavy-Rotation zieht nach Jahren des Überflusses nicht mehr - was in Köln nun zu ungewohnter Handlungsbereitschaft führt. Der erste Anlauf kommt angenehm harmlos daher und hätte gerne etwas prominenter platziert werden dürfen.

Bisheriges RTL-Daytime-Programm (Mo-Fr)

  • 09:30: «Betrugsfälle»
  • 10:00: «Die Trovatos»
  • 11:00: «Die Trovatos»
  • 12:00: «Punkt 12»
  • 14:00: «Blaulicht Report»
  • 15:00: «Verdachtsfälle»
  • 16:00: «Verdachtsfälle»
  • 17:00: «Betrugsfälle»
Es ist im Prinzip eine inhaltliche Bankrotterklärung, die RTL in den vergangenen Monaten regelmäßig zur Daytime auf sein Publikum losgelassen hat: Von 9:30 Uhr bis 17:30 Uhr liefen von «Punkt 12» abgesehen ausnahmslos Scripted Realitys, womit man gegenüber dem Konkurrenten Sat.1 allerdings sogar noch vergleichsweise moderat agierte. Doch der rapide Quotenabstieg des Genres traf den Kölner Zielgruppen-Marktführer deutlich härter als Sat.1, sodass es offensichtlich kein "Weiter so!" der ritualisieren Einfalt im Tagesprogramm mehr geben darf. Und das am Montagvormittag um 11 Uhr weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit dargebotene «Hebammen im Einsatz» hob sich dann auch gleich mal deutlich von «Trovatos», «Betrugsfälle» und «Blaulicht Report» ab - wenngleich oder gerade weil kein großes Spektakel dargeboten wurde.

Die neue Sendung widmet sich den alltäglichen Herausforderungen und Glücksmomenten, die Hebammen bei ihrer Arbeit erleben. Die Zuschauer erleben sowohl den Moment der Geburt eines Kindes, als aber auch die Vorbereitungen sowie die ersten Tage und Wochen danach. Mehrere Hebammen und die von ihnen betreuten (werdenden) Eltern sind pro Folge im Einsatz, häufig wird auch über ungewöhnliche Geburtsmethoden fernab des Krankenhaus-Standards aufgeklärt. Für die Produktion zeichnet Norddeich TV verantwortlich, das für die RTL-Gruppe starke Formate wie «Ninja Warrior Germany» herstellt, aber auch das im vorigen Absatz benannte Scripted-Triple, das sich aktuell stark unter Druck sieht.

Neben der schon an sich ungewöhnlichen Ausstrahlungsstrategie, um elf uhr vormittags mit Erstausstrahlungen aufzuwarten, divergiert der Neustart aber auch inhaltlich erheblich von den krawallaffinen Scripted Realitys mit hölzernen Darsteller-Leistungen: Die begleiteten Hebammen werden bei offensichtlich authentischen Einsätzen bei authentischen Paaren gefilmt, die sich von der Betreuung vor laufender Kamera sichtlich mehr versprechen als ein paar Minuten TV-Präsenz und bestenfalls noch eine kleine Gage. Das gefilmte Material ist dabei nicht unbedingt welches, das einen dazu veranlasst, gebannt vor dem Fernsehgerät zu sitzen, doch es ist angenehm zu verfolgen - und in gewisser Weise auch durchaus inhaltlich bereichernd, sofern man ein Grundinteresse an der Hebammen-Tätigkeit und dem "Wunder der Geburt" hegt, um es ein wenig pathetisch zu formulieren.

Wenn man so möchte, leistet der Neustart sogar einen kleinen Beitrag zur Lösung einer großen gesellschaftlichen Problemlage, denn in Zeiten wieder steigender Geburtenzahlen mangelt es bundesweit an Hebammen - auch, weil der Beruf wie viele andere im sozialen Bereich auch monetär kaum attraktiv ist und Haftpflichtprämien seit Jahren rapide steigen. Hinsichtlich der Berufsattraktivität ist gewiss die Politik gefordert, doch mit seiner ruhigen Erzählweise und der Darbietung eines breiten Spektrums der Hebammentätigkeit gelingt es RTL hier auf Anhieb sehr gut, den Beruf in einem positiven, erstrebenswerten und emotional erfüllenden Licht erscheinen zu lassen.

In der ersten Folge begleitet man etwa eine Wassergeburt, bei der die Mutter ihr Kind in der hauseigenen Badewanne gebärt. Man wird über das vielfältige Berufsbild der Familienhebamme informiert, die als Betreuerin eines arbeitslosen und nahezu mittellosen Paares weit mehr zu leisten hat als Geburtsbegleitung im klassischen Sinne. Man erhält Einblicke in das zunächst etwas absurd anmutende Kanga-Training, bei dem frische Mütter eine Art Workout gemeinsam mit ihren Säuglingen bestreiten und man sieht einer "Shopping Queen des Jahres" dabei zu, wie sie mit Babybauch und Elektrostimulation einem werdenden Vater das Gefühl Schwangerschaft näherbringen möchte. Nicht gerade wenig für ein einstündiges Format, das bestenfalls nicht über Wochen, sondern Monate und Jahre laufen soll - und sich im Zuge dessen auf Dauer vielleicht ein wenig auf weniger Fälle pro Ausgabe beschränken muss, möchte man dem Anspruch gerecht werden, nicht wieder in die Scripted-Schiene abzudriften.

Wie hat euch der Auftakt von «Hebammen im Einsatz» gefallen?
Sehr gut, ich freue mich schon auf die weiteren Folgen.
38,3%
War in Ordnung, da kann man zumindest mal reinschauen.
14,6%
Ganz mies, das muss ich nicht noch einmal sehen.
5,3%
Habe es (noch) nicht gesehen, bin aber nun interessiert.
8,7%
Habe es nicht gesehen und gedenke auch nicht, es zu ändern.
33,0%


Doch für den Moment ist «Hebammen im Einsatz» erst einmal ein wohltuend unspektakuläres Projekt, das möglicherweise den Anfang vom Ende der gescripteten Inhaltsleere markiert und gerne auch auf einem etwas ambitionierteren Slot als jenem um elf Uhr am Vormittag hätte getestet werden dürfen. Fraglich bleibt, ob das Publikum in einem Umfeld einschaltet, das nach wie vor hauptsächlich mit «Trovatos» und Co. agiert und wenig Raum lässt für echte Menschen mit echten Problemlagen und Glücksgefühlen, denn so etwas erwartet man aktuell nicht mehr unbedingt von einem RTL-Neustart. Insofern werden die Verantwortlichen des Senders wohl etwas Geduld aufbringen müssen, wenn sie diese Sendung zum Erfolg führen möchten - allzu viele Quotenerfolge hat man aber im Umfeld von «Punkt 12» aktuell ohnehin nicht mehr vorzuweisen.
09.04.2018 16:40 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/100194