Sat.1 Gold und RTLplus: Wenn das Archiv zum Erfolgsrezept wird

Das Sender-Image altbacken, die Programmführung uninspiriert, die Einschaltquoten? Immer besser. Mit Nostalgie und zahlreichen ollen Kamellen feiern die beiden Spartensender beachtliche Erfolge, während etwa neu produzierte Gameshows kaum Anklang finden. Wie funktionieren diese Spartensender?

Sehdauer-Entwicklung: Das TV verliert die Jugend

Die durchschnittliche TV-Sehdauer liegt laut AGF seit 2010 stabil bei gut 220 Minuten täglich. Das hat das Medium in erster Linie den Zuschauern über 50 Jahren zu verdanken, die mittlerweile rund fünfeinhalb Stunden täglich fernsehen - während das junge Publikum wegzubrechen droht: Bei den 14- bis 19-Jährigen fiel man seit 2015 von 84 auf 69 Minuten täglich zurück, bei den 20- bis 29-Jährigen von 127 auf 112 Minuten und auch bei den 30- bis 49-Jährigen ist die Tendenz aktuell klar rückläufig.
Lange Zeit herrschte insbesondere im werbefinanzierten Fernsehen ein Jugendwahn vor, der es allen Formaten schwer machte, die es wagten, das "falsche" - sprich: das ältere Publikum - anzusprechen und systematisch sämtliche Unterhaltungsformen aus dem Ablauf kegelte, die nicht juvenil und hipp genug daherkamen. Diese Form der latenten Geringschätzung älterer Zuschauer vieler großer Privatsender ist in diesen Zeiten ein wesentlicher Grund, weshalb sich die RTL-Gruppe und ProSiebenSat.1 gleichermaßen immer schwerer tun, überhaupt noch Interessenten für ihre Angebote zu finden: Die Fernsehnutzung des jüngeren Publikums nimmt in Zeiten der Streaming-Portale und vieler weiterer Konsummöglichkeiten für Bewegtbild-Inhalte nämlich tendenziell klar stärker ab als die der älteren Menschen, die eher bei der altbewährten Mattscheibe verbleiben.

Doch zugleich findet bei den großen privaten Sendergruppen auch eine Art Selbstkannibalisierung statt, die das Publikum auf immer mehr Mini-Sender aufteilt - dieses Phänomen wird klassischerweise unter dem Stichwort Fragmentierung des Fernsehmarktes diskutiert. Und mit RTLplus und Sat.1 Gold gibt es darunter inzwischen eben auch zwei Kanäle, die sich ganz gezielt auf die Interessen der so genannten "Best Ager" über 50 Jahre stürzen. Also auf jener Menschen Interessen, die erst wieder in gewisser Weise (werbe-)relevant werden, da die deutsche Bevölkerung rapide altert und die "Alten" zugleich auch immer vitaler werden. Überspitzt formuliert: Wer früher über 50 Lenzen zählte, hörte den Sensenmann schon kommen, kann sich aber in der heutigen Wohlstandsgesellschaft noch auf das eine oder lebenswerte und konsumintensive Jahrzehnt freuen. Und das Wort Konsum stimuliert den Speichelfluss von Werbetreibenden bekanntlich erheblich.


Die bittere Wahrheit: Archiv-Krawall punktet, frische Gameshows versagen


Doch wenn man sich der Frage widmet, mit welchen Inhalten eigentlich die Zuschauer im mittleren bis höheren Alter angelockt werden sollten, kann dem ambitionierten Fernsehmacher mit Spaß an der Frische schon einmal bange zumute werden - bis auf wenige Ausnahmen ist nämlich das, was RTLplus und Sat.1 Gold ihrem Publikum rund um die Uhr zeigen, nichts weiter als Material aus dem hintersten Regal des Archivs, das vor Jahren mal in der Daytime des Hauptprogramms teils verblüffende Erfolge erzielt hatte: Diverse krawallige Gerichts- und Ermittler-Sendungen etwa, die aktuell die Daytime von Plus sowie die Primetime von Gold dominieren. An den meisten Tagen sind diese Formate mit das Stärkste, was man so aufzubieten hat - und zwar auf einem bemerkenswert hohen Niveau.

Hinzu kommen einige Dokusoaps aus den vergangenen Jahrzehnten, manch durchaus hübsche Nostalgie-Serien wie «Mord ist ihr Hobby» oder «Im Namen des Gesetzes», an denen man inhaltlich kaum etwas beanstanden kann, und eben ein paar wenige Eigenproduktionen, um zumindest ein Restmaß an medial verkündbarer Daseinsberechtigung aufrecht zu erhalten. Da wäre bei Gold in allererster Linie «Lenßen live!» zu nennen, das sich zunächst zum Überraschungskult auf Twitter und schließlich auch mehr und mehr zum Quotenerfolg mauserte. Es ist die eine große Erfolgsgeschichte des Senders, die er mit einer durchaus frischen Idee und einem TV-Anwalt auf die Beine stellte, der darüber hinaus auch noch mit seinem einstigen Sat.1-Hit «Lenßen & Partner» vertreten ist.

Und dann sind da noch die RTLplus-Gameshows, das wohl bitterste Kapitel in der noch jungen und global betrachtet durchaus erfolgreichen Geschichte seines Senders. Für diese investierten die Programmverantwortlichen bisher nämlich schon einige finanzielle und organisatorische Ressourcen, was sie zu den klaren Leuchttürmen des ansonsten durchgängig auf Reruns altbekannter Formate setzenden Kanals macht, jedoch überhaupt nicht zum Quotenerfolg führt. Einzig «Der Preis ist heiß» konnte zuletzt einigermaßen punkten, während sich «Familien Duell», «Jeopardy!», «Ruck Zuck» und «Glücksrad» zuletzt sogar am Vorabend immer weiter vom Senderschnitt entfernt hatten und lediglich im Nachtprogramm überzeugten. Um damit die Produktion weiterer Folgen zu rechtfertigen, sind Werte auf derart unattraktivem Terrain aber natürlich zu wenig - was vor allem für die von Wolfram Kons und Thorsten Schorn die bittere Implikation mit sich bringen könnte, dass ein inhaltlich stimmiges, optisch wertiges und durchaus auch quotenträchtiges Format Opfer der schlechten Gesamtsituation wird.


Siegt das Kalkül - oder wagt man sich doch etwas?


Nun wäre also die rational naheliegende, wenngleich für TV-Produzenten und Journalisten gleichermaßen ernüchternde Folge dieser Fakten, dass man sich die eigenproduzierten Inhalte prinzipiell auch quasi gänzlich sparen könnte - immerhin ist die Situation der von «Lenßen live!» einmal abgesehen wenigen, aber punktuell ja doch vorhandenen frischen Sendungen auf Sat.1 Gold ja keineswegs deutlich rosiger als jene des Konkurrenten. Und zumindest bei RTLplus findet dieser Tage auch eine Verschiebung in eben diese Richtung statt: Die Gameshows am Vorabend sind nach anhaltender Erfolglosigkeit erst einmal Geschichte, stattdessen sind hier Christopher Posch, «Das Jugendgericht» und eine alte Dokusoap zu sehen. Man könnte auch sagen: Eigenproduziertes findet bei RTLplus inzwischen nur noch nachts statt, genauer gesagt zwischen 0:30 Uhr und 2 Uhr mit Gameshow-Wiederholungen.

Doch bei all dem Pessimismus hat der Sender im Januar eindrucksvoll gezeigt, wie man eben doch zum Erfolg kommen kann: Mit einer direkten Aufbereitung der Hauptprogramm-Inhalte, wie sie «Ich bin ein Star - Die Stunde danach» betrieben hat. Die Einschaltquoten brachen sämtliche Sender-Rekorde und sollten bei der RTL-Gruppe doch die Motivation stärken, auf derartige Konzepte künftig häufiger zu setzen - schließlich zeigen diverse Beispiele aus den USA, dass selbst simple Nerd-Talks zu gefeierten Serien mitunter fantastische Werte erzielen können. Das gäbe Sendern wie RTLplus und Sat.1 Gold die Relevanz, die sie aktuell fernab des sendergewordenen Programm-Archivs kaum besitzen.

Schaust du Sat.1 Gold und/oder RTLplus gerne?
Ja, sehr sogar. Ich liebe die Heavy Rotation altbekannter Sendungen.
27,9%
Hin und wieder guck ich mal rein, aber nicht oft.
22,6%
Nur bei Formaten wie «Lenßen live!» oder den RTLplus-Gameshows.
20,3%
Nein, die gehen komplett an mir vorbei.
29,1%


Der andere Teil der Wahrheit ist: Auch ohne diese oft beschworene Relevanz ging es den Sendern zuletzt richtig gut, erst im März erreichte Sat.1 Gold in der klassischen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen einen neuen Rekordwert von 1,8 Prozent und auch RTLplus hält sich mit zumeist gut einem Prozent bei Alt und Jung durchaus beachtlich. Mit knallhartem wirtschaftlichen Kalkül ließe sich also sehr gut für den ressourcenschonenden Kurs der Rerun-Dauerschleifen argumentieren. Das kann die Sendergruppen durch einige weitere Monate und Jahre bringen, doch auf die Dauer erinnert das doch sehr an die Grundhaltung, mit der die großen Privaten seit Jahren ihr Daytime-Programm gestaltet haben - und mit dem sie aktuell eine verdiente Klatsche nach der anderen einfahren. Nun muss man sich entscheiden: Kurzfristig punkten, zugleich aber immer mehr Menschen immer systematischer vom linearen Privatfernsehen entwöhnen oder Risiken eingehen, die Geld kosten und vielleicht noch nicht einmal vom Publikum honoriert werden?
11.04.2018 11:00 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/100217