Jutta Lieck-Klenke: „Man darf niemals austauschbar erzählen“

Die Produzentin von Network Movie Hamburg produziert für das ZDF etliche Krimiformate, darunter «Nord Nord Mord», «Helen Dorn» und neu auch die «SOKO Hamburg». Mit uns unternimmt sie einen Ritt durch die Reihen und spricht über Bauchgefühl sowie Darstellerwechsel.

Zu Network Movie

Network Movie ist in zwei Städten präsent: Köln und Hamburg. Dort stellt die Firma zahlreiche Formate, vorwiegend für öffentlich-rechtliche Sender, her: Darunter: «Helen Dorn», «Stralsund», «Nord Nord Mord», «Solo für Weiss», die Vorabendserien «SOKO Hamburg» sowie «Bettys Diagnose», aber auch «Der Kommissar und das Meer» oder «Die Chefin». Für das Kino entsteht dieser Tage «Deutschstunde».
Das ZDF wird am Vorabend noch mehr «SOKO»-Serien zeigen. Hamburg kam schon dazu, es folgt noch eine Serie aus Potsdam. Ist mehr Konkurrenz gut?
Auf jeden Fall. Die zwei zusätzlichen Serien werden gut tun. Das ZDF hat am Vorabend ja sehr viel Stabilität. Alle SOKOs laufen lange und gut. Das Portfolio dann mal zu erweitern, kann nicht schaden. Man muss aber auch sagen, dass die Quoten zeigen: Die Zuschauer schätzen das, was sie zu sehen bekommen.

Wie außergewöhnlich dürfen Vorabend-Krimis denn sein? Zeit für Experimente ist da kaum?
Man darf nicht unterschätzen: Wir, und damit meine ich uns Fernsehmacher aber auch die Journalisten, sind da viel kritischer als die Zuschauer. Die möchten kurz nach Feierabend einfach gut unterhalten werden. «SOKO Wismar», eine eher konventionelle Serie, ist zurzeit das beliebteste SOKO-Format – mit einem gewissen Abstand zu den weiteren.

Wo haben Sie da zuletzt mal Grenzen ausgelotet?
Wir haben ja jetzt recht frisch die «SOKO Hamburg» entwickelt, wo wir Fälle in der Stadt und auf dem Land erzählen. Wir haben eine tolle Location für das Kommissariat gefunden, das direkt an der Elbe liegt. Die Elbe ist bei uns das verbindende Element zwischen den Bundesländern Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, in denen wir die Geschichten ansiedeln Im Rücken die Stadt und vor uns das Land geht es für unser Team mit dem Schnellboot auch mal flussaufwärts über die Landesgrenze.

Hannelore Hoger, die uns allen als «Bella Block» bekannt ist, hat mal gesagt, wenn es eine Nachfolgerin zu ihrer Figur gibt, dann ist es die Helen Dorn
Jutta Lieck-Klenke, Produzentin von Network Movie Hamburg
Am Samstagabend hat sich «Helen Dorn» zum festen Bestandteil der Krimi-Reihen entwickelt – hatte aber auch einen Umbruch zu bewältigen. Anna Loos ist jetzt als einsame Wölfin zu sehen. Wie lange trägt sich diese Prämisse? Muss da ein neuer Impuls in den nächsten Folgen kommen?
Um ehrlich zu sein: Helen Dorn als Figur war von Beginn an die einsame Wölfin, von der Sie sprechen. Aber Ihre Frage kommt zurecht: Auch wir denken immer wieder über neue Impulse bei der Reihe nach. Momentan finde ich, dass das Zusammenspiel von Helen mit ihrem Vater Richard Dorn sehr gut funktioniert. Der Vater – verkörpert von Ernst Stötzner - ist auch eine ganz starke Figur. Hannelore Hoger, die uns allen als «Bella Block» bekannt ist, hat mal gesagt, wenn es eine Nachfolgerin zu ihrer Figur gibt, dann ist es die Helen Dorn. Bei «Bella Block» gab es um die Hauptfigur zwar auch immer starke Figuren, aber dennoch lag der Fokus immer auf Bella. Sie hat die Reihe getragen, und so ist es jetzt mit Anna Loos auch.

«Stralsund» haben Sie nach dem Weggang von Wotan Wilke Möhring auch neu aufgestellt. Es ist die kernigste Serie am Samstagabend und vielleicht auch die, die am ehesten die Männer anspricht?
Das ist sicher richtig. Wir wissen ja, dass wir Deutschen Krimis lieben – und dennoch haben Frauen und Männer da unterschiedliche Präferenzen. «Stralsund» ist bei den Männern sehr populär. Allerdings kommt auch «Helen Dorn» beim männlichen Publikum sehr gut an. Wir sind mit der Entwicklung beider Reihen auch nach den personellen Veränderungen sehr zufrieden.

Die Samstags-Reihen haben im Vergleich zu anderen Krimis sicherlich einen höheren Drama-Anteil und die Familie spielt immer eine große Rolle.
Jutta Lieck-Klenke, Produzentin von Network Movie Hamburg
Welche Gemeinsamkeiten haben denn die Samstagskrimis? Alle ein bisschen frauen-affin mit paar Familiengeschichten im Gepäck?
Die Samstags-Reihen haben im Vergleich zu anderen Krimis sicherlich einen höheren Drama-Anteil und die Familie spielt immer eine große Rolle. Damit tun wir letztlich auch unseren Schauspielern einen Gefallen: Wir geben ihren Figuren einen sich entwickelnden Charakter. Sie sind nicht nur die Ermittler, die Fälle lösen, sondern sie spielen Menschen, die auch Wurzeln haben. Und dies gilt nicht nur für die Ermittler, oft geht es auch bei den Episodenrollen um starke familiäre Konflikte.

Wo wir gerade bei Umbesetzungen waren. Der Abschied von Robert Atzorn aus «Nord Nord Mord» schmerzt sehr?
Hundertprozentig schmerzt der Abschied. Es gibt wohl kaum jemanden, der diese Figur hätte souveräner und lässiger spielen können. Aber wir haben auch hier ein tolles Ensemble mit jungen Kollegen: Julia Brendler und Oliver Wnuk. Wir haben einen neuen Hauptdarsteller: Peter Heinrich Brix. Er spielt einen ganz anderen Charakter als Robert Atzorn und wird eine neue norddeutsche Farbe in die Reihe bringen. Ich bin sicher, die Zuschauer werden ihn zu schätzen wissen. Und nicht zu vergessen, eine weitere Hauptrolle spielt: die Insel. Ich hätte nicht gedacht, dass die Sylt mit seiner unverwechselbaren Natur nach neun Filmen noch so viele Schauplätze und -werte liefert. Wir finden immer noch mehr tolle Motive. Wir haben jetzt den ersten Film ohne Robert Atzorn schon abgedreht, und ich bin sehr hoffnungsvoll, dass die Zuschauer die Fortsetzung mit Peter Heinrich Brix mögen werden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Auch bei «Bettys Diagnose» wurde die Hauptdarstellerin getauscht. Außerdem: Wie geht es mit dem neuen «In Wahrheit» weiter und sind ZDF-Krimireihen für das Wochenende eigentlich Selbstläufer?


Wir als Macher haben uns mit den Figuren sehr stark identifiziert; und befürchten, dass die Fans schon bei kleineren Änderungen abspringen. Oft ist das aber nicht der Fall.
Jutta Lieck-Klenke, Produzentin von Network Movie Hamburg
Dass das ja durchaus gelingen kann, haben Sie ja nicht nur bei «Stralsund» gezeigt, sondern auch am Vorabend bei «Bettys Diagnose». Wie groß war hier der Respekt nach drei Staffeln eine neue Hauptfigur einzusetzen?
Es ist toll, dass die Zuschauer diesen Schritt mitgegangen sind. Ich glaube manchmal, so eine Serie zu erzählen, ist vergleichbar mit dem Vorlesen eines Buches bei Kindern. Kinder wollen die Geschichten auch immer wieder hören. Weil sie sich in dieser Welt wohlfühlen. Vielleicht ist der Zuschauer also gar nicht so empfindlich, was das Wechseln von Darstellern angeht. Wir als Macher haben uns mit den Figuren sehr stark identifiziert; und befürchten, dass die Fans schon bei kleineren Änderungen abspringen. Oft ist das aber nicht der Fall.

Aber es ist nicht selbstverständlich, dass eine Serie so etwas recht schadlos übersteht?
Nein, es ist nicht selbstverständlich. Ganz und gar nicht. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass der elfte Film einer Reihe gut läuft, nur weil es zehn vorher getan haben. Man muss die Zuschauer immer wieder beeindrucken. Man darf niemals austauschbar erzählen. Die Zuschauer bestrafen es, wenn Geschichten in sich nicht logisch sind oder so konstruiert oder auch kompliziert, dass sie nicht mitkommen.

Es gab auch neue Versuche des ZDF am Samstagabend: «In Wahrheit» kam von Ihrer Firma. Wie sieht Ihre Bilanz aus? Geht es weiter?
Der erste Film von «In Wahrheit» lief sehr gut, sowohl bei Arte als auch beim ZDF. Vor der Ausstrahlung des ersten Films im Herbst 2017 bekamen wir bereits den Auftrag, den zweiten Film zu drehen. Die von Christina Hecke verkörperte Saarländer Ermittlerin Judith Mohn in ihrer empathischen und lebensnahen Art wird den Samstagabend dauerhaft bereichern, da bin ich mir sicher. Der zweite Film wird im Frühsommer 2018 auf Arte laufen. Dementsprechend wird dieser Fall dann im kommenden Herbst im ZDF zu sehen sein. Und für diesen August steht auch schon der Dreh des dritten Films an.

Und weiterhin lehnt man sich an echte Fälle an?
Das ist die Prämisse der Reihe – und unsere Hauptdarstellerin Christina Hecke passt zu diesem Satz. Auch sie lässt sich kein X für ein U vormachen.

Aber nicht alles funktioniert immer – die «Mordkommission Königswinkel» etwa galt – trotz starker Quoten – inhaltlich als unrund. «Dresden Mord» wird nicht fortgesetzt. Es ist also kein Selbstläufer?
Nein, bei Weitem sind das keine Selbstläufer. Die Besetzung ist aus meiner Sicht enorm wichtig. Ich verlasse mich bei diesen Entscheidungen immer sehr stark auf mein Bauchgefühl. Und ich hatte da oft Glück. Nehmen wir mal die Reihe «Solo für Weiss» mit Anna Maria Mühe. Ich habe geahnt, dass sie auch das Toughe trotz ihrer Zartheit perfekt rüberbringen kann. Und natürlich kommt es auch darauf an, dass man die richtigen Fälle für die dazugehörigen Ermittler erzählt, damit die tollen Schauspieler, die wir dafür gewinnen konnten, nicht auf die reine Ermittlungsarbeit reduziert werden.

Welche Impulse für 90-Minüter im Krimigenre kommen eigentlich aus dem Ausland? In Amerika gibt es für die deutschen Krimireihen keine Vorbilder. Da muss man wirklich nach England gucken, nach Skandinavien?
Hauptimpulse kommen von den richtig tollen Charakteren, die man da oft beobachten kann. Aber wie Sie schon sagen: Es gibt vom Format her keine Vorbilder. Die 90-minütigen Krimireihen sind ein rein deutsches Phänomen.

Letzte Frage: Wie geht es «Morgen hör ich auf»?
Mit «Morgen hör ich auf» geht es nicht weiter.

Danke für das Gespräch.
17.04.2018 10:20 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/100327