Unser liebster Serienmörder ist zurück. Michael C. Hall spielt in seinem neuen Format das Gegenteil seiner Paraderolle Dexter: einen gewöhnlichen Familienvater, dessen Welt aus den Fugen gerät, als seine Tochter verschwindet. Und dann dunkle Geheimnisse ans Licht kommen.
Cast & Crew «Safe»
- Idee: Harlan Coben
- Darsteller: Michael C. Hall, Amanda Abbington, Marc Warren, Audrey Fleurot, Hannah Arterton, Amy James-Kelly u.a.
- Regie (Pilot): Daniel Nettheim
- Ausf. Produzenten: Michael C. Hall, Nicola Shindler, Harlan Coben, Danny Brocklehurst, Richard Fee
- Produktion: Red Production Company für Netflix und C8
Am Anfang der vierten Folge von «Safe» dämmert es so langsam. Nicht ein Stück weiter ist Tom Delaney gekommen bei seinen Do-it-Yourself-Ermittlungen: Nicht ein Stück näher an seine Teenager-Tochter, die vor ein paar Tagen nach einer Party nicht mehr zuhause auftauchte und wie vom Erdboden verschwand. Und die nun gesucht wird in dieser Kleinstadt, die viele schmutzige Geheimnisse zu verbergen scheint – immerhin das findet Tom Delaney nach und nach heraus. Es macht seine Suche nicht einfacher.
Im neuen Netflix-Drama «Safe» spielt Michael C. Hall eine Art Antithese zu der Serienfigur, die ihm Weltruhm beschert hat. Er ist nicht mehr der Psychopath Dexter, der eine eigene – sehr blutige – Auffassung von Gerechtigkeit zu seinem Lebensstil erhebt und Menschen generell distanziert begegnet. Stattdessen ist Michael C. Hall nun Vater Tom Delaney: menschenliebend, familiär, ein bisschen stereotyp, ein bisschen mehr langweilig. Seine größte Schwäche: Er hat auf dem Smartphone seiner Tochter Jenny eine Spionage-Software installiert, um ihre Nachrichten zu lesen. Eben jener Tochter Jenny, die eines Nachts verschwindet. Und ihren Vater Tom dazu veranlasst, die Spionage-Software einzusetzen – erstmals.
So beginnen Toms Ermittlungen auf eigene Faust. Jennys alte Nachrichten helfen ihm aber auch nicht weiter – wie so vieles, was er in der nächsten Zeit herausfindet. Immer wieder verhört Tom Freunde von Jenny oder alte Weggefährten, liefert sich Straßenjagden mit ihnen. Und immer wieder landet er in einer Sackgasse. Zwar offenbaren sich dem Familienvater so manche Geheimnisse in dieser scheinbar idyllischen Kleinstadt, aber seiner Tochter kommt er gefühlt nicht näher. Es ist mitunter frustrierend, dem zuzuschauen: „Gehen Sie zurück auf LOS und ziehen Sie keine 4000 Mark ein.“ Tom Delaney zieht diese Monopoly-Ereigniskarte leider viel zu oft.
«Safe» bei Netflix: Überall auf Nummer sicher gehen
Wir Zuschauer wissen permanent mehr als der Familienvater auf seiner irrlichtigen Suche. Wir erfahren in Rückblenden manches Puzzlestück, das uns näher zur Wahrheit über Jenny bringt. Leider bringt diese Erzählperspektive mit sich, dass Toms Ermittlungen noch weniger spannend wirken – da wir oft wissen, dass auch dieses nächste Verhör ihn kaum weiterbringen wird. Gleichzeitig distanziert sie uns Zuschauer emotional von der Figur Tom Delaney. Wir haben mehr Informationen als er. In der Literaturwissenschaft charakterisiert ein solcher auktorialer Erzähler – also einer, der mehr weiß als die handelnden Hauptfiguren – immer auch eine Distanz zum Geschehen.
Für Serienformate wie «Safe», die sich stark über ihre Charaktere definieren, ist ein solcher Ansatz gewiss fragwürdig. Wir identifizieren uns kaum mit Tom Delaney, der uns zudem nicht als verzweifelnder Familienvater dargestellt wird: Obwohl seine Tochter immer länger verschwunden bleibt, bleibt Tom cool – im wahrsten Sinne des Wortes. Auch nach einiger Zeit geht er noch mit schickem Hemd und Jackett durch die Stadt, um Jenny zu finden. Emotionale Zerrissenheit oder Wutausbrüche, Verzweiflung: lange Fehlanzeige. Über seine Arbeit erfahren wir nicht viel, ein wenig über die jüngere Familiengeschichte: Seine Ehefrau verstarb kürzlich an Krebs. Es war der Moment, in dem auch der Riss zwischen Tom und Tochter Jenny größer wurde. Aber auch das wissen wir als Zuschauer früh, während Tom emotional blind weiter ermittelt.
Im Vergleich zu anderen Kleinstadt-Thrillern und ihren ambivalenten Bewohnern bleibt «Safe» oberflächlich. Charakterliche Tiefe haben die Figuren selten, weshalb sich die Serie auch nicht als Milieustudie eignet. Einen ausgeklügelten Plot gibt es ebenso wenig. Die Nebenstory dreht sich um eine Lehrerin der örtlichen Highschool, die eine Affäre mit einer Schülerin haben soll und die Polizei auf den Plan ruft. Ab der Mitte der ersten Staffel laufen alle Storyfäden zusammen, und irgendwann kommt natürlich auch Tom mehr oder weniger zufällig der Wahrheit näher. Dann nimmt die Serie endlich ein wenig Fahrt auf. Mehr als lockere Popcorn-Unterhaltung, unterstützt von guten Schauspielern, wird «Safe» dann trotzdem nicht mehr. Wie der Titel schon sagt: Überall ging man auf Nummer sicher bei diesem Format. Ambitionen und Experimentierfreunde findet man woanders.