… und die Lektionen, die Disney/Lucasfilm, Kritiker sowie die «Star Wars»-Fangemeinde aus der Vergangenheit lernen können.
«Star Wars» an den deutschen Kinokassen
- «Krieg der Sterne»: 8,02 Mio. Ticketverkäufe
- «Das Imperium schlägt zurück»: 5,05 Mio. Ticketverkäufe
- «Die Rückkehr der Jedi-Ritter»: 5,05 Mio. Ticketverkäufe
- «Die dunkle Bedrohung»: 8,97 Mio. Ticketverkäufe
- «Angriff der Klonkrieger»: 5,70 Mio. Ticketverkäufe
- «Die Rache der Sith»: 5,62 Mio. Ticketverkäufe
- «Das Erwachen der Macht»: 9,02 Mio. Ticketverkäufe
- «Rogue One»: 3,99 Mio. Ticketverkäufe
- «Die letzten Jedi»: 5,89 Mio. Ticketverkäufe
Es ist passiert: Ein neuer «Star Wars»-Film kam an seinem ersten Wochenende unterhalb der Erwartungen aus dem Startblock. Dramatisch. «Solo: A Star Wars Story» schnitt nicht nur ein wenig unter den Prognosen ab. So etwas kann passieren. «Solo: A Star Wars Story» legte einen «Justice League» hin – im Laufe des Wochenendes mussten die wirtschaftlichen Erwartungen alle paar Stunden nach unten korrigiert werden.
Wie eine Bleiente ging «Solo» unter, unter, immer weiter unter.
Ein Film mit einem Budget von mehr als 250 Millionen Dollar, der Teil eines der populärsten Filmfranchises aller Zeiten ist, kann in den USA nicht mit weniger als 84 Millionen Dollar anlaufen, ohne dass dies in der Medienwelt für Aufruhr sorgt. Und dass «Solo: A Star Wars Story» in weiteren «Star Wars»-affinen Ländern wie Deutschland und Frankreich ebenfalls meilenweit unter den Erwartungen anlief, intensiviert die Lage nur. Es drängt sich die Frage auf: Ist das Kinopublikum «Star Wars» überdrüssig geworden? Und wie können Disney und seine Tochterfirma Lucasfilm die Lage der Marke «Star Wars» wieder ins Lot bringen? Vielleicht hat die Vergangenheit ein paar Antworten parat …
Die Lektion, die sich aus «Angriff der Klonkrieger» ziehen lässt
Vielleicht sind Branchenanalysten und «Star Wars»-Fans noch immer vom überragenden Einspielergebnis von «Das Erwachen der Macht» geblendet. Aber die Erwartung, dass ein «Star Wars»-Film den Kinokassen-Jahressieg an sich reißen
muss ist überhöht. Die Sternenkrieg-Filmreihe hatte schon vor «Solo» keinen perfekten Lauf – und konnte bereits beweisen, dass sie es versteht, sich nach wirtschaftlichen Niederlagen wieder hochzuarbeiten.
Von den neun «Star Wars»-Realfilmen, die bis einschließlich 2017 global ins Kino gebracht wurden, holten sich acht den Spitzenrang in den US-Kinocharts. Der Film, der die perfekte Statistik zerstört hat? «Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger», der 2002 nur Bronze ergatterte und mit seinen 310,67 Millionen Dollar hinter «Der Herr der Ringe – Die zwei Türme» (341,78 Mio.) und «Spider-Man» (407,02 Mio.) hängen blieb.
Weltweit holte sich «Star Wars» übrigens bislang "nur" in sechs von neun Fällen den Wirtschaftstitel des Jahresbesten. Die Original-Trilogie blieb konkurrenzlos, auch «Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung» überstrahlte 1999 alle anderen Filme. 2002 kam Episode II hingegen weltweit nur auf Rang vier (neben den beiden oben genannten Produktionen stach auch «Harry Potter und die Kammer des Schreckens» George Lucas' Weltraumabenteuer aus), 2005 unterlag «Die Rache der Sith» ebenfalls einem «Harry Potter»-Teil. 2015 ließ J.J. Abrams mit «Das Erwachen der Macht» wieder alle anderen Filme Staub schlucken, ebenso wie Rian Johnson 2017 mit der direkten Fortsetzung «Die letzten Jedi». «Rogue One: A Star Wars Story» musste sich dazwischen im Jahr 2016 wiederum hinter «The First Avenger: Civil War» einreihen.
Kurzum: Han Solos Niederlage ist wahrlich kein Präzedenzfall. Und bloß, weil «Solo: A Star Wars Story» sowohl in den USA als auch weltweit von anderen Filmen überholt wird, ist nicht ausgeschlossen, dass die «Star Wars»-Reihe ein anderes Mal die Spitze der Jahrescharts erklimmt. Also: Nicht so eine Panik schieben.
Die Lektion, die sich aus «Avengers: Age of Ultron» (und «Avengers | Infinity War») ziehen lässt
Es ist eigentlich selbsterklärend: Wenn etwas neu oder rar ist, ist es etwas Besonderes. Deswegen geht der gesamte Vorrat einer quadratisch, praktisch, guten Vorreiter-Schokolade im Einhorn-Design innerhalb kurzer Zeit komplett weg, woraufhin sie zu irrsinnigen Summen bei Online-Händlern weiterverschachert wird. Kaum kopieren diverse andere Marken diesen Schachzug, wird sich weniger um Einhorn-Schokolade gerissen, und sobald die Discounter mit ihren Eigenmarken mitmischen, ist Einhorn-Schokolade ein Alltagsprodukt und nicht weiter der Rede wert.
«Star Wars» war etwas Besonderes, weil von 1977 bis 2014 weltweit nur sechs Realfilme ins Kino entlassen wurden, und das auch noch in respektablen Abständen. Von 2015 bis jetzt wurden vier weitere «Star Wars»-Filme auf die große Leinwand gebracht, womit sich der Neuheitsfaktor und das Event-Gefühl der Saga abnutzen. Zwangsweise.
Ähnlich erging es den «Avengers». Als 2012 erstmals Iron Man, Thor, Hulk, Captain America, Black Widow und Hawkeye gemeinsam die Welt retteten, war dies ein Ereignis, wie es das Kinopublikum nie zuvor gesehen hat. 1,5 Milliarden Dollar spülte dieses phänomenale Blockbuster-Novum ein. Drei Jahre später folgte «Avengers: Age of Ultron» und nahm "nur" 1,4 Milliarden Dollar ein.
Nun stammen diese Zeilen von jemandem, der «Age of Ultron» besser findet als den ersten «Avengers»-Teil, und dennoch muss auch hier festgehalten werden: Es war schlicht nichts derart Besonderes mehr.
Das zweite Mega-Crossover innerhalb des Marvel Cinematic Universe ist von Natur aus nicht mehr so erfrischend und neu wie das erste. Und während «Avengers» die Marvel-Filmreihe erstmals richtig zusammenwachsen ließ, kam «Avengers: Age of Ultron» nach mehreren Produktionen, die durchscheinen ließen, dass die Filme der Marvel Studios auch abseits der «Avengers»-Saga gut verbunden sind. Schluss mit dem 'Wow, verschiedene Filme können Teile eines größeren Puzzles sein?'-Erstaunen.
Wenn man es geschickt anstellt, sind solche Abnutzungserscheinungen allerdings nicht unumstößlich. Der Neuheitsfaktor wird sich zwar nie wieder einstellen, jedoch kann eine Filmreihe durch einen anderen Aspekt wieder an Zugkraft gewinnen: Marvel lieferte mit recht hoher qualitativer Konstanz ab und erzeugte so für sein Filmuniversum eine Sogwirkung, durch die der Eventcharakter zurückkehrte. Das Besondere war dann nicht mehr die Rarität des Ganzen, sondern die hohe Trefferquote bei hoher Schlagzahl. «Avengers | Infinity War»,
das dritte Mega-Crossover aus dem Hause Marvel, steht derzeit bei 1,9 Milliarden Dollar, ein Ergebnis von 2,0 Milliarden Dollar ist möglich. Marvel gelang die Kehrtwende von "Immer da, also normal" zu "Immer da, wie erstaunlich, das muss ich mitkriegen!"
«Star Wars» kann ähnliches erreichen. «Solo» kommt nun zu einem Zeitpunkt, zu dem «Star Wars» keine Seltenheit ist, die 'Juhu, endlich wieder!'-Euphorie bleibt also aus. Bis zum Punkt, an dem es heißt 'Mal schauen, was die jetzt schon wieder raushauen!', ist es noch ein weiter Weg. Aber er ist nicht unüberwindbar.
Die Lektion, die sich aus Phase drei des 'Marvel Cinematic Universe' ziehen lässt
Konstantes Abliefern allein genügt wahrscheinlich nicht – Varianz muss auch her. Innerhalb von vier Jahren hat Lucasfilm vier «Star Wars»-Filme rausgebracht, die zwar in ihrem Tonfall und Look Unterschiede aufweisen, jedoch eine klare, enge Verwandtschaft nicht leugnen lassen. Beim breiten Publikum kann sich da eine gewisse Müdigkeit einstellen: "Sehe ich den einen nicht im Kino, sehe ich halt den anderen Film demnächst. Macht doch kaum einen Unterschied."
Marvel lief zwischendurch Gefahr, trotz breiter Figurenvielfalt ebenfalls zu oft in dieselbe Kerbe zu schlagen. «The First Avenger – Winter Soldier» und «Guardians of the Galaxy» deuteten in der sogenannten Phase zwei des Marvel Cinematic Universe Änderung an, selbst wenn sie noch immer einen ähnlichen dritten Akt hatten und sich der "Etwas Großes stürzt vom Himmel"-Trick bald danach in «Avengers: Age of Ultron» wiederholen sollte. Seit Phase drei des Marvel-Filmuniversums, also seit «The First Avenger – Civil War», gleicht kein Marvel-Studios-Film dem anderen. Gewiss, sie alle sind comicbasierte, actionreiche Blockbusterunterhaltung, oft mit flotten Sprüchen. Aber visuell, tonal und in Sachen Actionstilistik sowie hinsichtlich des Grundkonflikts bieten sie innerhalb dieser Filmfamilie wachsende Abwechslung.
«Star Wars» könnte dies mühelos imitieren. Han Solo und Chewbacca könnten durch einen echten Weltallwestern stapfen. Boba Fett könnte einen kernigen Actionfilm spendiert bekommen. Wie wäre es mit einem «Black Panther»-artigen Actiondrama über das Herrschaftssystem auf Naboo? Noch klammert sich die neue «Star Wars»-Ära eng an der Nostalgie für die Original-Trilogie. Das ist per se nicht schlecht, es führte bereits zu tollen Kinostunden. Doch wenn der Disney-Konzern die «Star Wars»-Saga wirtschaftlich so aufstellen will wie das Marvel Cinematic Universe, dann muss er auch die entsprechende inhaltliche Bandbreite bieten. Denn das breite Publikum empfindet gar nicht so schnell Müdigkeit bezüglich einer Filmreihe oder eines Genres – aber es kann sich sehr wohl an der immer gleichen (oder stets ähnlichen) Sache satt sehen. Wenn auf Episode IX ein «Star Wars»-Film folgt, der völlig neuen Figuren folgt, gänzlich andere Settings aufweist und sich nicht übermäßig aus der bereits bekannten Actionszene-Spielkiste der Filmreihe bedient, spielt diese Sättigung aber keine Rolle.
Das allein bedeutet auch noch keinen Verrat an der Identität des Franchises. Marvel hat seine Schlagzahl an Heldenwerdungsgeschichten, vom Himmel krachenden Bedrohungen und attackierenden Roboteranzügen auch enorm gedrosselt, und dennoch bleiben Filme aus dem Marvel Cinematic Universe klar als solche zu erkennen.
Die Lektion, die sich aus der «James Bond»-Reihe ziehen lässt
Wir alle müssen aufhören, zu sagen, dass Filmreihe XY tot ist. Denn wie vor allem die «James Bond»-Reihe mehrmals eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, liegt ein Franchise nur so lange regungslos am Boden, wie es dauert, bis ein neuer Film besser ankommt. «Ein Quantum Trost» wurde von der Kritik und dem breiten Publikum mies aufgenommen – «Skyfall» erwies sich danach als Volltreffer. «Stirb an einem anderen Tag» galt eine Zeit lang als letzter Sargnagel für James Bond, dann kam «Casino Royale». Schon 1985 galt «Im Angesicht des Todes», der 14. Teil der Eon-Bond-Reihe und zudem der letzte Bond-Film mit Roger Moore in der Hauptrolle, als Projekt, dass dem Franchise irreparablen Schaden zugefügt hat.
Und nun, über 30 Jahre später, macht die Ankündigung, wer beim 25. Teil der Reihe Regie führt, Schlagzeilen.
Angesichts der «Solo»-Zahlen ploppen vereinzelte "Hat Disney «Star Wars» getötet?"-Artikel auf – und das ist einfach Unsinn. Filmreihen sterben nicht einfach so. Sie gehen k.o., aber sie können sich wieder aufrappeln. «Star Wars» wird sich kaum so radikal verändern wie «James Bond» es alle paar Jahre tut, um sich nach einem Tiefschlag wieder fit für den nächsten Kampf zu machen. Aber wenn «James Bond» sich vom popkulturellen Prügelknappen wieder zur beliebten, erfolgreichen Marke hocharbeiten kann, wieso sollte sich «Star Wars» nicht von enttäuschenden «Solo»-Einnahmen erholen können?
Die Lektion, die sich aus «Solo» ziehen lässt, um «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» neu in Perspektive zu rücken
Es schmerzt, schon jetzt ganz genau zu wissen, wie sehr sowohl der Disney-Konzern als auch die medieninteressierte Öffentlichkeit mit zweierlei Maß messen. Ja, das «Solo»-Startwochenende tritt eine Lawine an Artikeln wie diesen los, die sich fragen, ob der Mäusekonzern seine «Star Wars»-Strategie überdenken muss. Aber der große Schwall an Forderungen, Disney solle das «Star Wars»-Franchise schlicht und ergreifend einstellen, wird ausbleiben. Wenn, dann wird eine sanftere Taktung an «Star Wars»-Kinoveröffentlichungen in Betracht gezogen, das war's.
Und das ist an und für sich aus den oben genannten Gründen ja auch schön und billig. Jedoch zeugt es davon, wie sehr «Star Wars» Gutwillen genießt, während zahllose Medienjournalisten sich mit spitzen Säbeln auf eine andere Filmreihe stürzen – auf «Pirates of the Caribbean» …
Angesichts des weltweiten Eröffnungswochenendes müssen in den kommenden Wochen mittelschwere Kinowunder geschehen, damit «Solo: A Star Wars Story» global an den letztjährigen Abenteuerfilm «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» vorbeizieht. Ja. Richtig gelesen. «Solo» wird aller Voraussicht nach weniger an den Kinokassen einnehmen als der fünfte Teil der «Fluch der Karibik»-Saga,
der 2017 aufgrund seines weltweiten Einspiels von 794,86 Millionen Dollar von nicht wenigen meiner Kollegen als Misserfolg betitelt wurde, der die Piraten-Filmreihe ihrer Zukunft beraubt hätte.
Aha. Der auf ein Budget von 230 Millionen Dollar dotierte «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache», der mit 794,86 Millionen Dollar auf Rang zwölf der weltweiten Jahrescharts landete, ist also ein das gesamte Franchise tötender Fehlschlag. Und selbst Produzent Jerry Bruckheimer musste der Presse zu Protokoll geben, dass Disney wegen der Kinozahlen entmutigt sei und der sechste Teil nur gemacht wird, wenn der Konzern mit den Heimkinoverkaufszahlen zufrieden ist. Die Antwort auf den rund 250 Millionen Dollar teuren «Solo: A Star Wars Story», der aktuellen Hochrechnungen zufolge nicht einmal an die
500-Millionen-Dollar-Marke herankommen wird, ist derweil: "Ja, dumm gelaufen, Lucasfilm muss seine Strategie ändern, aber das nächste halbe Dutzend «Star Wars»-Filme kann ruhig kommen …" Bei der Rumfahne des Käpt'n Sparrow, ist das ungerecht!
Hier keimt Hoffnung auf, dass das Abschneiden von «Solo» Disneys enormes Selbstvertrauen, dank Marvel und «Star Wars» im actionreichen Realfilmkino zwei gigantische, sichere Banken zu haben und daher sonst keine verwegenen Filmreihen mehr braucht, wieder etwas herunterreguliert. Ja, in Disneys Traumwelt, in der «Star Wars» stets locker die Milliarden-Dollar-Hürde nimmt, braucht es vielleicht keine Piraten im Startplan. Doch die Realität sind anders aus – «Star Wars» allein macht das Geldsäckel nicht voll, also sollte man eventuell auch mal wieder auf die Piraten setzen, denen bislang kein Rückschlag in «Solo»-Größenordnung widerfahren ist ..?