Fünf Glanzlichter des deutschen Fernsehjahres 2017/18

Die TV-Saison ist beendet – und sie lässt einige denkwürdige Stunden an Fernsehunterhaltung zurück. Fünf Quotenmeter.de-Redakteure wählen daraus je ein Highlight aus den zurückliegenden TV-Monaten.

«Das Institut» (von Julian Miller)


In Kallalabad, der Hauptstadt des zentralasiatischen Kisbekistan, fehlt es an vielem: nicht jedoch an deutscher Sprache und Kultur. Die zu vermitteln, ist Aufgabe des örtlichen Goethe-Instituts, dessen Handvoll Mitarbeiter trotz ausbleibender Wertschätzung der Zentrale in der Heimat (wo man davon ausgeht, den Standort schon lange geschlossen zu haben) und der Analphabeten vom Auswärtigen Amt den Betrieb irgendwie am Laufen hält. Goethe und Grönemeyer, Bernhard und Benn am Hindukusch vermitteln – dort, wo Deutschland verteidigt wird, mit den üblichen Risiken: Mal wird das Gebäude von Terroristen gekapert, deren Anführer aus militärstrategischen Gründen Deutsch lernen wollen. Mal muss verhindert werden, dass die Praktikantin einen negativen Bericht an den Hauptsitz schickt, damit die Außenstelle Kallalabad nicht doch noch dichtgemacht wird. Mal muss reichlich Penicillin verteilt werden, damit überhaupt ein paar Kisbeken zum überschaubar üppigen Fest am deutschen Nationalfeiertag kommen.

Damit hält «Das Institut» freilich eher dem deutschen Büroalltag den Spiegel vor – und einem gewissen Spannungsfeld aus kulturchauvinistischem Missionierungsdrang und empathischer Entwicklungshilfe, zwei Ansätzen, die von verschiedenen Charakteren des überschaubaren und dafür umso feiner gezeichneten Figurenorchesters verkörpert werden. Die große komödiantische Treffsicherheit von Drehbuch und Darstellerensemble machten aus diesem Stoff vermutlich die witzigste deutsche Serie der letzten Jahre.

«Pastewka» (von Timo Nöthling)


«Pastewka» wurde nicht erst in der TV-Saison 2017/2018 zum Highlight, sondern schon lange davor. Doch mit der Zeit hat diese so charmante deutsche Antwort auf «Curb Your Enthusiasm» ihren Pfiff verloren – und dann kam diese Oase in der noch recht kargen deutschen Serienlandschaft auch noch zu einem unrühmlichen Ende bei Sat.1. Der Wechsel zu Amazon und die daraus resultierende, hervorragende achte Staffel machen vor, welche neuen Modelle es gibt, um in Deutschland doch bald zu mehr sehenswerter Serien-Ware zu gelangen.

Auf Skepsis und Enttäuschung nach der ersten der neuen Folgen, weil die Serie plötzlich doch deutlich anders daherkam als davor, folgte die Erkenntnis: «Pastewka» hat sich in Staffel acht erfolgreich neu erfunden und die Fesseln des linearen Fernsehens, die das Format zuletzt immer weiter eingeschränkt hatten, endlich gesprengt. Der Wechsel zur horizontalen Erzählweise kennzeichnete einen tiefen Einschnitt, doch er glückte und verschaffte der Comedy-Serie wirklichen emotionalen Tiefgang. So geht Serie – und so geht sie bald hoffentlich öfter in Deutschland.

«Babylon Berlin» (von Sidney Schering)


Die Fernsehsaison 2017/18 hatte diverse Höhepunkte zu bieten. Die nicht ausreichend gewürdigte Comedyshow «Ponyhof» hat sich konzeptuell neu aufgestellt und dabei nichts von ihrem Witz verloren. «Pastewka» ist zurück, und manchen Fanbeschwerden zum Trotz ein Paradebeispiel dafür, wie man eine pausierte Serie zurückholt. Und wie könnte ich «Pietro Lombardi – Das Musical» übergehen? Dies ist nur eine Handvoll an Beispielen, doch ein Format hat es sich allein schon durch seinen schieren Exzess verdient, hier ausführlicher als Glanzlicht der TV-Saison vorgestellt zu werden. Und dann kommt erschwerend noch seine Aktualität hinzu. Die Rede ist von «Babylon Berlin».

Die Historienserie ist eine wahre Mammutproduktion, und man sieht ihr in jeder Minute das Budget von über 40 Millionen Euro an. «Babylon Berlin» hebt deutsches Fernsehen endlich auf das Produktionsniveau solcher Hochglanzserien wie «Game of Thrones», hat dabei aber durch und durch eine eigene Identität. Diese wird ihr durch das schillernde Berlin des Jahres 1929 verliehen, das nicht nur Setting, sondern auch Thema der Serie ist. Magisch, kosmopolitisch und von (fast) aller Welt begeistert beäugt, doch hinter der hippen Fassade brodeln ideologische Feindschaften, Ressentiments und Sturheit zu einer gefährlichen Suppe des Unverständnis und der Wut hoch.

«Babylon Berlin» könnte eine Serie über das Heute sein, nur mit anderen Frisuren, Kleidern und Liedern. "Zu Asche, zu Staub", haucht es im eingängigen Titelsong. Der Serie wird es so schnell nicht so ergehen, aber wir können hoffen, dass die Parallelen zwischen Serienhandlung und tagesaktuellen Tendenzen bald zu Asche und Staub zerfallen, denn den Schienen, die in «Babylon Berlin» für die Zukunft gelegt wurden, will kein Mensch mit Herz und Verstand folgen. Nur auf der heimischen Flimmerkiste, in fiktionaler Form – dafür lässt sich gern eine Ausnahme machen.

«Jenke macht Mut» (von Manuel Nunez Sanchez)


Es kommt nicht allzu oft vor, dass mich Fernsehformate emotional so richtig zu berühren imstande sind - wenn es dann aber doch einmal gelingt, wirkt diese Ausnahme bei mir umso länger nach. In der letzten Saison war das etwa bei der grandios gefloppten, spät aber immerhin qualitativ noch mit einer Nominierung für den Grimme-Preis goutierten VOX-Talkshow «The Story of My Life» der Fall. Und ähnlich bescheiden performte Anfang Mai dann auch RTL mit «Jenke macht Mut!», das sich in selten gezeigter Schonungslosigkeit ganz still und authentisch mit dem oft von Tristesse und Leid dominierten Alltag diverser Brustkrebs-Patienten auseinandersetzte und auf billige Drama-Phrasen ebenso verzichtete wie auf eine übertriebene audiovisuelle Aufbereitung des aufgezeichneten Materials. Dass dieses in der Tat auch von Seiten des Privatsenders sehr mutige Projekt nicht einmal einen zweistelligen Marktanteil bei seiner Erstausstrahlung erreichte, ist bedauerlich und erwartbar zugleich inmitten einer doch sehr schrillen und auf leichte Unterhaltung ausgelegten Primetime-Konkurrenz.

Ein Stück weit resultierte meine Begeisterung aber auch aus der Überraschung, von Jenke von Wilmsdorff ein derart taktvolles Format mit großem Gespür auch für die leisen und traurigen Momente dargeboten bekommen zu haben, nachdem er sich erst wenige Monate zuvor mit «Kopfgeld» inhaltlich ziemlich in die Nesseln gesetzt hatte. In «Jenke macht Mut» dagegen wirkte er präsent, ohne sich als Gesicht der Sendung aufdringlich in den Mittelpunkt zu spielen und fungierte in den diversen Gesprächen mit den Brustkrebs-Patienten auch mitunter mal einfach nur als sehr empathischer Zuhörer. Ein leises, den Zuschauer forderndes Highlight dieser TV-Saison, das leider nicht die ihm zustehende Beachtung erfahren hat.

«Dark» von David Grzeschik


Schon nach wenigen Minuten lässt «Dark» seine Zuschauer nicht mehr los. Eine solche Sogwirkung können nur besonders klug geschriebene und gekonnt inszenierte Stoffe auslösen. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es gerade das Serienentwicklungsland Deutschland ist, das den ersten europäischen Netflix-Stoff liefert, der mit seinen amerikanischen Pendants ernsthaft mithalten kann.
QM-Kritiker Julian Miller über Dark
Einer der großen Gewinner der TV-Saison 2017/ 18 ist zweifellos die deutsche Serie. Großen Anteil daran hat der Kölner Privatsender RTL, der in den vergangenen Monaten eine große fiktionale Offensive startete. Bei dieser ging zwar nicht jeder Serien-Neustart als großer Erfolg durch, viele Produktionen hat der Kölner Sender aber dennoch schon in eine zweite Staffel geschickt. Die im Juni anstehenden Screenforce Days dürften noch die eine oder andere Überraschung in puncto Eigenproduktionen von Privatsendern bereithalten – eine Entwicklung, die eigentlich nur zu begrüßen ist!

So löblich die Investitionen von RTL in der vergangenen Saison auch waren: Der ganz große (qualitative) Wurf gelang in den zurückliegenden Monaten keinem TV-Sender, sondern dem Streaming-Dienst Netflix. Mit seiner Eigenproduktion « Dark» feierte der Anbieter weltweit Erfolge. Dass ausgerechnet Netflix‘ erste deutsche Serie den europäischen Durchbruch in Sachen Serien bringen würde – darauf hätte wohl kaum jemand gewettet.

«Dark» spielt auf verschiedenen Zeitebenen. Damit ist die Serie ein bisschen Science Fiction, vor allem aber besticht sie durch ihre düstere Atmosphäre und die vielen teils philosophisch anmutenden Geheimnisse, die auch nach den ersten zehn Folgen nicht vollends geklärt sind. «Dark» regt zum Nachdenken an, packt seine Zuschauer und erfordert von diesen aktives Mitdenken. In dem Wirrwarr an auftretenden Personen verliert man sich als Zuschauer schnell, wenn man nicht richtig aufpasst. Das macht Spaß und zeigt, dass «Dark» außerordentlich klug inszeniert ist.

Schon drei Wochen nach Erscheinen der ersten Staffel im Dezember 2017 stellte Netflix eine zweite Runde der Serie in Aussicht. Einen konkreten Termin für die «Dark»-Fortsetzung gibt es dabei noch nicht. Vermutlich wird die zweite Staffel aber noch eine zusätzliche Handlungsebene mit aufnehmen, womit sie noch verworrener, düstere und komplizierter werden könnte. Man darf gespannt sein.
31.05.2018 13:27 Uhr  •  Julian Miller, Manuel Nunez Sanchez, Timo Nöthling, David Grzeschik, Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/101327