Die Verfilmung von Michel Houellebecqs provokativem Roman über das Ende der französischen Demokratie zeigt eine beeindruckende Performance von Selge – und ist inhaltlich doch ein Desaster.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Edgar Selge als Edgar Selge/François
Matthias Brandt als Rediger
Bettina Stucky als Marie-Françoise Tanneur
André Jung als Alain Tanneur
Alina Levshin als Myriam
Catrin Striebeck als Aurélie
Florian Stetter als Godefroy Lampereur
Hinter der Kamera:
Produktion: NFP
Drehbuch: Titus Selge, Karin Beier und Michel Houellebecq
nach dem gleichnamigen Roman von Michel Houellebecq
Regie: Titus Selge
Kamera: Martin Farkas
Produzent: Clemens SchaefferParis, 2022: Das bürgerliche Lager ist, wie im jahrelangen Albtraumszenario der intellektuellen Elite Frankreichs antizipiert, weit ins Hintertreffen geraten. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl wird Marine Le Pen mit ihrem Front National klar stärkste Kraft, auf dem zweiten Platz landet der fiktive Mohamed Ben Abbes mit seiner fiktiven Parteineugründung Muslimische Bruderschaft. Aus dem Rennen sind neben Emmanuel Macrons République en Marche (Houellebecqs literarische Vorlage stellte sich als Ausgangspunkt für die Katastrophe noch eine zweite Amtszeit François Hollandes vor) auch die traditionellen Parteien des Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Spektrums. Begleitet worden ist die Wahl von Ausschreitungen und Unruhen, sowohl auf Seiten der „Identitären“, deren Vertreter bereits in den Spitzenpositionen der politischen und intellektuellen Welt gut vertreten sind, als auch auf Seiten der radikalen Muslime.
Erzählt wird diese Geschichte in Houellebecqs Roman wie in diesem Film, der auf einer szenischen Lesung/Performance von Edgar Selge am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg im Februar 2016 basiert, von Literaturprofessor François, einem Mann in den letzten Jahren eines Lebensabschnitts, den man landläufig „mittleres Alter“ nennt, und der nicht zuletzt in Ermangelung von Ehe, Familie und persönlicher Erfüllung jedes Semester mit einer neuen Studentin ein Techtelmechtel beginnt und ansonsten in einer nie versiegenden Depression der Lustlosigkeit existiert.
Unterdessen spielen sich in der politischen Landschaft Frankreichs die erstaunlichsten Entwicklungen ab. Die Parteien der Mitte versammeln sich in der mittlerweile alten Tradition der „republikanischen Front“ hinter Ben Abbes, um Le Pen den Weg in den Élysée-Palast zu versperren. Ben Abbes gibt sich derweil in den öffentlichen Diskussionen liberal, ja: progressiv, und ruft damit genau die Reaktion hervor, die er sich erhofft: nämlich niemand zu sein, vor dem man Angst haben muss, zumindest wenn man ein Wähler wie François ist, wie der folgerichtig selbst analysiert.
Myriam (Alina Levshin), die aktuelle Studentin, die François in einer beziehungsähnlichen Konstellation in regelmäßigen Abständen bei gemeinsamen Sushi-Abenden knallt, – worüber sich François‘ von Edgar Selge mit enormer Präsenz gespielte Bühnenversion freilich mit immenser Freude in einer so obszönen Sprache auslässt, dass eitel zurechtgemachte, aber künstlerisch infantile Theaterdamen angewidert den Saal verlassen – will das Ergebnis der Wahl zwischen den Rechtsradikalen und den Muslimen gar nicht mehr abwarten: Sie und ihre Familie streichen die Segel der Heimat und siedeln nach Tel Aviv über. François‘ Schicksal ist weniger eindeutig: Denn er weiß, dass es für ihn kein Israel gibt.
Nachdem Ben Abbes die Wahl gewonnen hat, und das primär dank der schillernden Unterstützung von François Bayrou, seit Jahrzehnten eine Ikone der französischen Liberalen, hat das für Literaturprofessor François unmittelbare Konsequenzen: Er wird zügig in den Ruhestand gedrängt, um der Umentwicklung der – nun: – Islamischen Universität Paris IV Sorbonne nicht im Wege zu stehen.
Nachdem ihn die völlige Untätigkeit beinahe in den Suizid getrieben hat, kommt das rettende Angebot des Universitätsrektors Rediger (Matthias Brandt), der inzwischen dank der Einführung der Polygamie mit zahlreichen Frauen verheiratet ist. Er will François zurück in den Hochschuldienst holen und bringt dem Literaturprofessor den Islam näher, der, wie sich nun auch François zurechtanalysiert, gleich zahlreiche seiner persönlichen Probleme lösen würde: In seiner exponierten Stellung als herausragende intellektuelle Persönlichkeit bräuchte er sich um attraktiven Frauennachschub keine Sorgen mehr zu machen, noch dazu, da Polygamie nicht nur legal, sondern gesellschaftlich ausdrücklich erwünscht ist. Ebenso hat er sich weder aus dem Katholizismus noch aus dem Atheismus jemals sonderlich viel gemacht, sodass einer Annahme des islamischen Glaubens keine nennenswerten religiösen oder ideologischen Gründe im Wege stehen. Und ist zudem die völlige „Unterwerfung“ – die Wortbedeutung des Islams wie der Titel dieses Werks – nicht die zentrale philosophische Bedingung für das individuelle Glück des Menschen?
Houellebecq lässt – wie Edgar Selges Performance und dieser Film – die Konvertierung als eine Möglichkeit enden. Doch das macht die Lesarten dieser verschiedenen Spielarten der „Soumission“ nicht offener.
Houellebecqs Buch ist oft dem Vorwurf ausgesetzt gewesen, islamfeindlich oder zumindest unanständig karikaturhaft zu sein. Ähnlichen Vorwürfen wird sich sicherlich auch dieser Film ausgesetzt sehen, wie er selbst bereits vorwegnimmt: In einer weiteren Meta-Ebene zeigt er als Rahmenhandlung und in einer Binnensequenz Edgar Selge in seiner Rolle als François‘ Schauspieler, wie ihm angesichts der aufgrund der Aufführung dieses Stücks ausgetragenen Straßenschlachten Informationen zur Sicherheitslage vorgetragen werden.
Doch diese Vorwürfe greifen nicht nur hinsichtlich der zumindest von Houellebecq behaupteten Entstehungsgeschichte seines Werks zu kurz, nach der ursprünglich nicht der Islam, sondern der Katholizismus den Hintergrund der „Unterwerfung“ bilden sollte, was Houellebecq aber wegen der völlig anderen gesellschaftlichen Situation nicht zu erzählen imstande gewesen sei. Es geht diesem Film wie diesem Buch nicht um eine Reduzierung des Islams auf eine radikale, islamistische Linie, sondern um das Ende der pluralistischen Gesellschaft vor dem Hintergrund der (vermeintlichen?) Unterwerfungssehnsucht des Menschen, für die eine brutale Religiosität den perfekten und zeitgenössisch stimmigen Überbau und Vorwand liefert.
Hier stößt man nun zum eigentlichen Problem dieser Erzählung vor, der filmischen wie der belletristischen Vorlage: Die Zustände und Entwicklungen, die sie beschreibt, sind extrem karikaturhaft und nicht nur in ihren Details so dermaßen lächerlich, dass sie eben keine sinnvolle Lesart hinsichtlich der tatsächlichen aktuellen politischen Zustände zulässt. Weder ist der Islam in Frankreich eine wie auch immer geartete politische (ja: nicht einmal eine geeinte gesellschaftliche) Kraft, noch ist es sonderlich glaubhaft, dass ein François Bayrou oder ein Manuel Valls, ja erst recht nicht ein Laurent Wauquiez, geschweige denn die Segmente der Bevölkerung, die sie repräsentieren, mit radikalislamischen politischen Kräften gemeinsame Sache machten, wenn die absehbare Konsequenz die Aufgabe des französischen Grundwerts schlechthin: der Laizität, wäre.
Auch wenn es nicht ihr primäres Ziel als Kunstwerk ist, so tragen der Film und das Buch in sich das ungute Element der tumben Panikmache, die zudem noch leicht als niederträchtiger Populismus interpretiert werden kann. Der wahre Feind der Republik ist in diesem Buch und diesem Film nicht der neofaschistische Front National, sondern der Islam, wenn auch unter dem Deckmantel einer besonders radikalen Form, und über den Umweg der exzentrischen Argumentation, schuld sei eine abstrakte Unterwerfungssehnsucht, die mit dem demokratischen Kerngedanken der individuellen Freiheit unvereinbar ist. Um diese Unanständigkeit zu übersehen, braucht es schon sehr viel Zynismus.
Vor diesem Hintergrund verlieren auch die zahlreichen erzählerisch beeindruckenden Momente dieses Films an Bedeutung: Selges Spiel ist herausragend, sein Mäandrieren zwischen sanfter Ironie und der Darstellung der tiefen seelischen Zerrüttung und mühsam mit all dieser Ironie kaschierten Verzweiflung ist sagenhaft. An der Form stimmt alles, aber am Inhalt nichts. Das ist die große Tragik von «Unterwerfung».
Bonmot am Rande: Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2017 gab es tatsächlich ein realistisches Szenario für die Abwesenheit der breiten politischen Mitte im zweiten Wahlgang: nämlich die Hypothese eines Aufeinandertreffens der rechtsradikalen Marine Le Pen vom Front National und des kommunistischen Jean-Luc Mélenchon von der France Insoumise. Gewonnen hat stattdessen Emmanuel Macron mit seiner zentristischen Quintessenz La République en Marche: deutlich vor den faschistischen und radikalsozialistischen Schreckgespenstern. Und erst recht vor den islamischen.
Das Erste zeigt «Unterwerfung» am Mittwoch, den 6. Juni um 20.15 Uhr.