Im letzten ARD-Sonntagskrimi vor der Sommerpause geht es für Bukow und König raus aufs Land zu den Nazis. Ein würdiger Abschluss für eine politische Krimi-Saison.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Anneke Kim Sarnau als Katrin König
Charly Hübner als Alexander Bukow
Andreas Guenther als Anton Pöschel
Josef Heynert als Volker Thiesler
Uwe Preuss als Henning Röder
Atheer Adel als Karim Labaneh
Pauline Rénevier als Lena Schulte
Hinter der Kamera:
Produktion: Filmpool Fiction GmbH
Drehbuch: Florian Oeller
Regie: Lars-Gunnar Lotz
Kamera: Jan Prahl
Sylvia Schulte (Katrin Bühring) von der rechtsnationalen, aber ähnlich der AfD bürgerlich auftretenden „Partei für Freiheit und Sicherheit“ hat gute Aussichten, die nächste Bürgermeisterin von Rostock zu werden. Mit dem rechtsradikalen Milieu, in dem die 41-Jährige vor zwei Jahrzehnten an vorderster Front aktiv gewesen war, hat sie medienwirksam gebrochen; zum Vater der bei ihr lebenden Tochter, der in der Mecklenburger Peripherie mit Gleichgesinnten einen braunen Biobauernhof betreibt, besteht keinerlei Kontakt mehr.
Nach einer kompetent durchstrukturierten Wahlkampfveranstaltung, in der sie, wie man es von diesen Veranstaltungen kennt, jedes schön ins Bürgerliche verklausulierte Buzzword von kriminellen Ausländern und besorgten Bürgern von sich absondert, wird sie in der Nacht bei lebendigem Leibe verbrannt. Aufgrund der besonderen Grausamkeit der Tat vermuten Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und der nach wie vor gerne aufbrausende Badass Bukow (Charly Hübner) das Mordmotiv eher im Persönlichen als im Politischen.
Ihre erste Dienstreise im Fall Schulte geht also raus aufs Land, in einen dem als Nazidorf bekannt gewordenen Jamel nicht unähnlichen Ort, wo Schultes Exmann zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin und ein paar Blut-und-Boden-Buddies seinen ökofaschistischen Fetisch auslebt, samt heidnischer Lagerfeuer und Hitlerbildchen an den Wänden der altmodischen Wohnräume.
Hier beginnt der Film gleichsam, zwei verschiedene bekannte Erklärungsansätze für die wachsende Attraktivität rechtsextremer Ideen zu diskutieren, indem er jede der beiden Hauptfiguren einen ausführen lässt: Bukow sieht die Gründe in der Verödung der Peripherie, in Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit, im fehlenden Halt in der Gesellschaft, was anfällig macht für Hetze gegen
Out-Groups – auch wenn er das, getreu dem Duktus seiner Figur, natürlich weniger intellektuell formuliert. In Katrins Interpretation spielt all das eine untergeordnete Rolle; sie sieht diesen Ansatz vielmehr als abstoßend apologetisch für Leute, die für ihre widerwärtigen Ansichten erst recht kein Mitgefühl verdienen. Die Angst vor dem Abstieg sei keine Entschuldigung – schließlich haben alle Angst – und führt bei an sich rechtschaffenen Menschen erst recht nicht zu Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Faschismus.
Dieser Diskurs ist meist gut geschrieben; der offensichtliche Anlass für die beiden Figuren, ihn zu führen, erlaubt es ferner, ihn elegant im Drehbuch unterzubringen, ohne dass seine Verflechtung mit dem Handlungsgerüst allzu forciert wirkt. Verwässert wird er jedoch durch seine zu starke Verbindung mit den persönlichen Konflikten der Charaktere. Wir erinnern uns: König hat ihren Fast-Vergewaltiger erschossen, Bukow und ihr Dienstvorgesetzter für sie gelogen, um die Sache zu vertuschen, was sie aber nicht wollte, woraufhin sie bei den Behörden die Karten auf den Tisch gelegt hat. Jetzt sitzen alle in der Scheiße, und das nur, weil König unbedingt auf dem hohen Ross der Rechtschaffenheit sitzen will, meint Bukow. Dass die, die recht hat, zur Rechthaberin umdeklariert wird, ist im politischen Kontext dieses Films doch unangenehm.
Dagegen gefällt, dass „In Flammen“ auch dem rechtsextremen Milieu einen gewissen Facettenreichtum zugesteht, was seinen Diskurs diesbezüglich wertvoller und griffiger macht, ohne jemals diese Charaktere unanständig in Schutz zu nehmen. Auf der einen Seite wird Sylvia Schultes Bruch mit ihren rechtsradikalen Jugendsünden kritisch hinterfragt; auf der anderen Seite auch der Interpretation ihrer Tochter Raum gegeben, für die ihre Mutter eine aufrichtige Person gewesen ist. Ebenso wird Schultes Wahlkampfberater, ein syrischer Flüchtling, nicht auf die Labels „Syrer“ und „Flüchtling“ reduziert, sondern darf gleichzeitig Haltungen und Meinungen verkörpern, die angesichts seines persönlichen Hintergrunds kontra-intuitiv sein dürften. Derweil zeigt die klug entworfene und komplexe Verzahnung einer rechtspopulistischen Partei mit einer gewaltbereiten rechtsradikalen völkischen Bewegung die Permeabilität vom rechten Rand in den rechten Mainstream.
Die Zeichnung von Svenja Schultes Partei gelingt dagegen weniger trennscharf: Denn während Schulte nicht nur optisch, sondern auch in ihrem Duktus eher Frauke Petry nachgebildet scheint, wirkt ihre Partei angesichts ihrer Zielsetzungen eher dem französischen Front National als der AfD oder Petrys Todgeburt der Blauen Partei nachempfunden. Denn entgegen der wirtschaftlich eher liberalen Zielsetzungen der AfD ist Marine Le Pens Partei im wahrsten Sinne des Wortes: national-sozialistisch, [sic!] genau wie die „Partei für Freiheit und Sicherheit“ dieses Films. Das ist sicherlich eine Nuance und angesichts der gelungenen Betrachtung der anderen Untersuchungsfelder weitgehend unbedeutend. Hätte sich die messerscharfe Beobachtungsgabe für die persönlichen Milieus der Episodenrollen jedoch auch auf die Nuancen der politischen Landschaft übertragen, wäre aus diesem guten Film glatt ein hervorragender geworden.
Das Erste zeigt «Polizeiruf 110 – In Flammen» am Sonntag, den 10. Juni um 20.15 Uhr.