Keine Dauerdepression wie die Netflix-Serien Marvels, kein Fluff wie «Agents of S.H.I.E.L.D.»: «Cloak & Dagger» ist der Halbstarke unter den Marvel-Fernsehserien – im Schlechten, aber zweifelsohne auch im Guten.
Hinter den Kulissen
- Serienidee: Joe Pokaski
- Basierend auf den Comics von: Bill Mantlo, Ed Hannigan
- Darsteller: Aubrey Joseph, Olivia Holt, Gloria Reuben, Andrea Roth, J. D. Evermore
- Miles Mussenden, Carl Lundstedt, Emma Lahana, Jaime Zevallos
- Ausführende Produzenten: Gina Prince-Bythewood (nur die Pilotfolge), Alan Fine, Stan Lee, Joe Quesada, Karim Zreik, Jim Chory, Jeph Loeb, Joe Pokaski
- Kamera: Tami Reiker, Cliff Charles
- Schnitt: Teriln A. Shropshire, Ian S. Tan
- Musik: Mark Isham
Um Serien vorab sichten zu können, bekommt die Presse oftmals gesicherte Streaminglinks zur Verfügung gestellt, die im Bild allerlei Wasserzeichen aufweisen. Diese sind zumeist nervig und sollen das Raubkopieren verhindern. Aber sie können auch amüsante Nebenwirkungen haben. So im Falle von «Cloak & Dagger»: Die Marvel-Serie, die für den US-Sender freeform (früher: ABC Family) produziert wird und hierzulande bei Amazon Prime eine Heimat gefunden hat, beinhaltet in ihrer Auftaktfolge eine Sequenz, in der eine niedergeschlagene Teenagerin Schmerztabletten zu Pulver zermürbt und wie Koks durch die Nase zieht. In unserer Pressekopie geschieht all dies unmittelbar neben dem mit familienfreundlichen Konnotationen aufgeladenen Disney-Logo.
Wie diese kleine Anekdote hoffentlich verdeutlicht: Obwohl «Cloak & Dagger» für einen jugendorientierten US-Sender entsteht, der einst sogar das Wort 'Familie' im Titel getragen hat, ist diese Comicadaption keinesfalls eine flippige, harmlose Teenie-Superheldenserie. Mit angedeuteten Sexszenen, mehreren von Schusswaffengewalt geprägten Momenten und einer schattigen Bildästhetik ist «Cloak & Dagger» zweifelsfrei eine tonale Verwandtschaft zu den Marvel-Serien anzumerken, die für Netflix produziert werden. Allerdings rutscht diese Serie nicht in ganz so zermürbende, mit harschem gesellschaftskritischem Kommentar versehene Gefilde ab wie «Luke Cage» und «Jessica Jones», ebenso wird längst nicht der Gewaltgrad von «Punisher» oder «Dardevil» erreicht.
«Cloak & Dagger» mäandert zudem nicht so sehr wie die meisten Netflix-Marvel-Serien. Die erste Folge hat vielleicht ein oder zwei Rückblenden mehr zu bieten als narrativ nötig und Episode zwei ist trotz etwas knapperer Laufzeit ein kleines bisschen träger. Aber Drehbuchautor Joe Pokaski («Heroes») vermeidet die enervierenden Eigenheiten der marvelfamilieninternen Netflix-Konkurrenz, indem er auf stoisch-trockene Erklärdialoge verzichtet, die kurz zuvor geschehene Handlungsmomente haarklein in Worte fassen. Und allein schon dadurch, dass sich «Cloak & Dagger» mit zwei narrativ gleichberechtigten Heldenfiguren befasst, ergeben sich in dieser Serie mehr Möglichkeiten für spannende Parallelmontagen, in denen zwei unterschiedliche Plots im Tandem auf einen Wendepunkt zusteuern.
Erzählt wird die Geschichte von Tandy Bowen (Olivia Holt, «Genauso anders wie ich») und Tyrone Johnson (Aubrey Joseph, «The Night Of»). Als sie sich eines Abends begegnen, bemerken sie erstmals, dass sie über Superkräfte verfügen und auf mysteriöse Weise miteinander verbunden zu sein scheinen. Tandy kann Lichtdolche erzeugen und Tyrone kann andere mit Hilfe eines Umhangs in eine Schattendimension bringen. Die jeweils an einem biografischen Wendepunkt befindlichen Jugendliche müssen lernen, mit diesen sonderbaren Kräften umzugehen – und ihr verfahrenes Leben ins Lot bringen.
Untermalt von einem nahezu konstanten, atmosphärisch-niedergeschlagenen Score, dem dennoch eine vorwärtsgetriebene Energie innewohnt, schafft es «Cloak & Dagger» trotzdem, vereinzelte flippig-humorvolle Charaktersequenzen in dieses übernatürliche Jugenddrama einzuflechten. Vor allem Tandys abendliche Unternehmungen bieten Sprungbretter für kesse Situationskomik. Die Serie ist sozusagen ein Backfisch zwischen dem ABC- und dem Netflix-Style in Sachen Marvel – wobei sich dies primär auf die Grundstimmung beschränkt. Visuell weist die Serie, die in einem emotional aus der Bahn geschlagenen New Orleans spielt und sich dieses Setting zunutze macht, durch ausstaffierte Schauplätze und die distinguierte Kameraarbeit von Tami Reiker und Cliff Charles, deutlich mehr Textur auf als das lasche «Agents of S.H.I.E.L.D.» und die in matter Dunkelheit ertrinkenden, schwächeren Vertreter unter den Marvel-Netflix-Serien.
Unklar bleibt selbstredend, wie lange «Cloak & Dagger» seinen mythologisch minimalistischen, jugendlich-melancholischen Stil durchzieht und wie es der Serie danach ergeht. Eingangs verspricht das Format aber, eine sehr reizvolle Ergänzung des Superhelden-Fernsehfachs zu werden, in der Holt und Joseph mit blaumütigem Gestus, aber jugendlichem Verve überzeugen dürfen.
«Cloak & Dagger» ist via Amazon Prime abrufbar.