Historisch schwache Einschaltquoten, erstmals kein Hit in den deutschen Single-Charts und überwiegend mürrische Zuschauer-Reaktionen: Die fünfte Staffel des «Tauschkonzerts» lief schwach wie nie. Wir bemühen uns um Ursachenforschung - und um Entwarnung für die Zukunft.
Es war im Grunde klar, dass auch das Wachstumspotenzial von
«Sing meinen Song - Das Tauschkonzert» nicht endlos ist und es insbesondere nach der Rekordstaffel im Vorjahr schwer werden würde, noch einmal den Fernsehmarkt am Dienstagabend so deutlich zu dominieren wie es 2017 in der werberelevanten Zielgruppe der Fall gewesen war. Aber trotzdem: Mit gerade einmal noch rund anderthalb Millionen Zuschauern performte die in dieser Woche beendete Staffel erheblich schwächer als alle ihre Vorgänger (zwischen 1,94 und 2,15 Millionen Zuschauer im Schnitt) und rutschte mit nur noch gut neun Prozent auch bei den so wichtigen 14- bis 49-Jährigen erstmals überhaupt unter die magische Zehn-Prozentmarke. Doch schon eine etwas größere Enttäuschung, wenn zuvor noch 14,5 Prozent der Regelfall und unglaubliche 20,3 Prozent der Höhepunkt der eigenen Schaffenskraft war.
Aber wieso präsentierte sich der große Musiker-Treff in Südafrika in diesem Jahr eigentlich so schwächlich? Dieser Frage wollen wir einmal genauer widmen und benennen vier mehr oder minder zentrale Faktoren, weshalb das bewährte Rezept diesmal einfach nicht so recht munden wollte. Zugleich kommen wir aber zu dem optimistischen Schluss, dass sich VOX trotz dieser eher behäbig verlaufenen acht Folgen nicht in Aktionismus flüchten sollte und die
Verlängerung um eine weitere Staffel die absolut richtige Entscheidung war. Wieso, weshalb, warum? Das wollen wir im Folgenden konkretisieren.
Faktor Gruppendynamik: Der Funke sprang nicht über
Das wahrscheinlich größte Problem dieser Staffel war der bei vielen Zuschauern vorherrschende Eindruck, dass die Chemie auf der Couch nicht so recht stimmte. Immerhin mangelte es nicht am Grundinteresse an einer neuen Staffel, wie jeweils knapp zwölf Prozent Zielgruppen-Marktanteil für die beiden ersten Folgen andeuten - erst in der dritten Woche folgte der erste deutliche Knick, bevor es dann mit den Ausgaben fünf und sechs endgültig ins biedere Mittelmaß bergab ging. Dabei war die Runde nominell durchaus gut besetzt: Mit Mary Roos und Marian Gold hatte man zwei bekannte Größen der 70er und 80er für die Show gewonnen, mit Judith Holofernes einen sonst eher fernsehscheuen Kritiker-Liebling, der entscheidend dabei mitwirkte, deutsche Popmusik in den 2000er-Jahren wieder salonfähig zu machen. Mit Leslie Clio durfte man sich zudem über einen schwer einzuschätzenden Underdog mit Potenzial freuen, Mark Forster und Revolverheld bestückten die Ecke des aktuellen Pop-Mainstreams und Rea Garvey war der allseits geschätzte Sympathikus.
Als Team ging diese Mischung allerdings nicht auf, da in erster Linie zu viele Künstler zu distanziert und wortkarg daherkamen. Allen voran ist hier Leslie Clio zu nennen, die bis zu ihrer eigenen Folge ein völliges Phantom war und mehrfach sogar regelrecht gelangweilt wirkte. Auch Marian Gold und Judith Holofernes, sonst eher als Paradiesvögel denn als stille Mauerblümchen bekannt, schienen über weite Strecken mit dem Konzept Couch-Talk zu fremdeln und eher auf die musikalischen Darbietungen fokussiert zu sein. Da sich darüber hinaus auch noch der TV-erfahrene Johannes Strate oft und gerne zurückhielt und bei weitem nicht die Lockerheit und den Witz ausstrahlte, den man seinerseits von «The Voice Kids» gewohnt war, beschränkten sich die Gespräche meist auf ein eher schematisches Frage-Antwort-Spiel zwischen dem ordentlichen Gastgeber Forster und dem jeweiligen Künstler des Abends.
Diese problematische Eigendynamik mutet insbesondere für die stets an ihren Mitmenschen interessiert wirkende Mary Roos und den gewohnt gewitzten Rea Garvey (Foto) bitter an, deren Impulse sich zu oft im Schweigen der restlichen Gruppe verloren. Denn anders als Forster in einem Interview mit der Gala zum Besten gab, wirkte die Mehrzahl der Künstler nur bedingt "interessiert aneinander" und auch die von ihm versprochene Tiefgründigkeit kam zu selten auf. Oder um es mit den Worten Judiths (in einem anderen Zusammenhang) zu sagen: Man überschätzt dieses Schweigen manchmal so gnadenlos, am Ende ist es doch einfach oft nur Langeweile.
Die Programmverantwortlichen dürften in ihrer Evaluation zu einem ähnlichen Staffelfazit gelangen, das allerdings eine große Crux mit sich bringt: Man ist kaum davor gefeit, mit künftigen Gruppen ähnliche Erfahrungen zu machen. Auch die Medien-Schlaumeier hätten im Vorfeld wohl kaum erahnen können, dass die letztjährige Gruppe zur Höchstform aufsteigen und die diesjährige Zusammenstellung eher in Richtung eines acht Folgen umfassenden Grillenzirpens tendieren würde. Ob sich die Musiker etwas zu sagen haben oder sich eher gegenseitig anschweigen, ist ohne inszenatorische Nachhilfe zu einem nicht geringen Teil auch Glückssache - und nach den bislang ja doch klar überwiegenden positiven Erfahrungen bleibt inständig zu hoffen, dass niemand ernsthaft die Implementierung von Fake-Emotionen in Betracht zieht. Schließlich hob sich «Sing meinen Song» von dieser Unsitte bislang so wohltuend ab.
Faktor Cover-Versionen: Zu viel Bügel- und Fahrstuhlmusik
Chart-Peaks der «SmS»-Compilations
- S1: Platz 1 (3 Wochen), 62 Chart-Wochen
- S2: Platz 1 (4 Wochen), 37 Chart-Wochen
- S3: Platz 2 (2 Wochen), 20 Chart-Wochen
- S4: Platz 1 (2 Wochen), 34 Chart-Wochen
- S5: Platz 3 (2 Wochen), bisher 5 Chart-Wochen
Vielleicht nicht ganz so entscheidend und allgemeingültig wie die mangelnde Gruppendynamik, aber eben doch alles andere als unwesentlich ist auch der Blick darauf, was die diesjährige Gruppe musikalisch ablieferte - immerhin lebt das Format stark von spannenden und möglichst vom Original abweichenden Neu-Interpretationen der Vorlagen. Auch diesbezüglich dominieren unter den Fans die eher kritischen Stimmen, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass zu viele musikalische Beiträge eher nach "Dienst nach Vorschrift" als nach einer großen künstlerischen Vision klangen - womit sich ein Stück weit auch der Kreis zum im vorherigen Kapitel bereits angesprochenen Eindruck des latenten Desinteresses aneinander im Vergleich zu den meisten Vorjahren schließt. Auch die Chart-Platzierungen der diesjährigen Compilation sind zwar nett, kommen aber bei weitem nicht an die meisten Vorjahre heran (siehe Infobox) - und in die Single-Charts schaffte es diesmal gar überhaupt kein Titel.
Wagt man sich an das schwierige Pflaster Künstlerkritik, das sicherlich nicht gänzlich objektiv zu eruieren ist, kann man die Eignung von Johannes Strate für dieses Format zumindest einmal in Frage stellen. Dessen musikalisches Gesamtwerk strotzte bislang nicht gerade von musikalischer Vielfalt und die allermeisten Auftritte in der Show lassen einen nun auch nicht zwingend zu der Erkenntnis gelangen, dass in ihm das ganz große Potenzial schlummert, künftig mit tonal fordernder Musik die Charts zu erklimmen. Ein Sinnbild dessen war seine reichlich lasche "Forever Young"-Version, die einen der größten Welthits aus Deutschland zu einer mittelmäßigen Rock-Ballade machte, die sich eher als Radio-Lückenfüller zwischen Stauschau und Gewinnspiel eignet.
Auch eher auf Fahrstuhl- und Warteschleifen-Niveau performte meist Mary Roos, deren Performances ein wenig altbacken daherkamen - was bei einem Teil der Zuschauer aber sicherlich gut ankam und seine Existenzberechtigung hatte. Doch wer ging in dieser Staffel so richtig in die Vollen, wem merkte man an, wirklich große und nachhaltige Live-Momente kreieren zu wollen? Marian Gold wahrscheinlich, der unter anderem eine tieftraurige Version von "Bring mich nach Hause" performte und dem Song damit die grenzenlose Verzweiflung entlockte, die bei Wir sind Helden noch nicht ganz so klar und unverhüllt zum Ausdruck kam. Gleichwohl ist sein Stil sehr speziell, sehr theatralisch und teilweise auch ein wenig überkandidelt und kam somit nicht bei allen Zuschauern an. Und für diese Zuschauer blieb dann eben weitgehend doch eher verwechselbarer Durchschnitt übrig, aus dem die vergleichsweise unerfahrene und auf der Couch blass gebliebene Clio mit einer klar überdurchschnittlichen Stimme und einem ordentlichen Maß an musikalischer Wandlungsfähigkeit eher noch positiv herausstach - ohne aber
den einen magischen Show-Moment zu kreieren, der etwa Daniel Wirtz mit seiner grandiosen "Wenn sie diesen Tango hört"-Interpretation gelungen war.
Faktor Vielfalt: Fehlten die abseitigen Genres?
Vergleicht man die künstlerische Bandbreite der einzelnen Staffeln, kann man in diesem Jahr erstmals auf allen Acts das Siegel "Pop" kleben, ohne sich damit argumentativ völlig ins Abseits zu stellen. Klar, der Begriff Pop kann alles und gar nichts heißen und manch ein Fan von Mary Roos oder Wir sind Helden dürfte empört widersprechen, aber fand in dieser Staffel (härtere) Rockmusik statt? Hip-Hop? Reggae oder Dancehall (vom Überraschungsauftritt in der Forster-Folge einmal abgesehen)? Im Grunde doch eher nicht oder bestenfalls in arg homöpathischen Dosen. Hier war die Show mit Sandra Nasic, Daniel Wirtz, Samy Deluxe, Moses Pelham (Foto) und Gentleman zumindest punktuell in jedem Vorjahr konsequenter unterwegs, was auch dazu beigetragen haben könnte, dass viele Covers dem Original letztlich doch recht ähnlich wirkten.
Faktor Audience Flow: Diesmal nur Musikabend light
Und dann wäre da noch ein Thema anzusprechen, das man dem Sender selbst vorhalten kann, da er diesmal zumindest am späten Abend eher auf Sparflamme agierte. Liefen in den vergangenen Jahren noch sehenswerte frische Musiksendungen wie etwa «Meylensteine» oder «One Night Song», die gewissermaßen auch Gregor Meyle und Daniel Wirtz dafür belohnten, dass sie in ihren Staffeln als Underdogs positiv überraschten, begnügte sich VOX diesmal mit abgegriffener Ware und versendete nochmal alte «Meylensteine»-Episoden - die verdiente Strafe folgte in Form von durchweg mauen bis hin zu unterirdischen Einschaltquoten.
Zwar ist sicherlich nicht anzunehmen, dass das Fehlen dieser kleinen, heimeligen Spätabend-Shows gravierende Auswirkungen auf das Primetime-Angebot hatte, aber es könnte sich motivational durchaus hemmend auf den Teil der Zuschauer ausgewirkt haben, der mit dem jeweiligen Künstler der Woche nicht allzu viel anfangen konnte. Schließlich war das Schöne an den Vorjahren, dass mit den Spätabend-Sendungen ein fast vierstündiger Musikabend auf die Beine gestellt wurde, der hintenraus noch einmal ein kleines Highlight zum Runterkommen anbot. Das ging diesmal nur, falls man die entsprechenden «Meylensteine»-Folgen im ersten Anlauf verpasst hatte oder noch einmal sehen wollte - ein bedauerliches Downgrade des zuletzt so erfreulichen und stimmigen Dienstagabends.
Eure Meinung: Was war der Hauptgrund für die schwächere «Sing meinen Song»-Performance 2018?
Fazit: Enttäuschendes Jahr macht noch keinen Abstiegsautomatismus
Unterm Strich lässt das Faktorengeflecht die berechtigte Hoffnung zu, dass «Sing meinen Song» in diesem Jahr eher an einer retrospektiv als unglücklich zu bezeichnende Künstlerzusammenstellung litt als an generellen Abnutzungserscheinungen. Klar, die immerzu lobhudelnden Standardreaktionen inmitten und im Anschluss an einen Auftritt langweilen nach fünf Jahren ein wenig, zumal sie arg repetitiv und ritualisiert daherkommen, dürften allerdings bei kaum einem potenziellen Zuschauer über Ein- und Abschalten entscheiden. Eine dröge Stimmung auf der Couch ohne große Überraschungen und viele musikalische Beiträge, die dem gecoverten Song eher weniger als mehr geben als im Original sind die wichtigsten Argumente dafür, dass die 2018er-Crew alles in allem nicht die senderseitig erhoffte Begeisterung auslöste.
Und wenngleich auch für künftige Staffeln kaum schon im Vorfeld mit letzter Gewissheit beurteilt werden kann, wie gut andere Musiker miteinander interagieren, kann man das unterm Strich als gute Nachricht für Fans der Show interpretieren - denn es ist nicht anzunehmen, dass «Das Tauschkonzert» von nun an schrittweise seinem Ende entgegenläuft. Und auch das immer wieder mal durch die Kommentarspalten geisternde Argument, es gäbe mittlerweile kaum mehr interessante Musiker, die man für die Show akquirieren könnte, mutet nach gerade einmal 36 unterschiedlichen Namen eher abenteuerlich an - wenngleich es schwer werden dürfte, die wirklich großen Namen wie Herbert Grönemeyer, Farin Urlaub, Till Lindemann oder Campino zu engagieren. An bekannten Musikern mangelte es aber insbesondere den jüngsten drei Staffeln sicherlich nicht mehr, immerhin hat sich die Sendung einen sehr guten Ruf bei sehr vielen erfolgreichen Musikern und Produzenten erarbeitet.
Insofern sollte das Motto für VOX lauten: Mund abputzen, 2019 weiter machen - und vor allem wieder etwas geiler machen, ohne die Zukunftsträchtigkeit dieser Marke mit Drama auf Knopfdruck ernsthaft zu gefährden.