Die ursprüngliche «Planet der Affen»-Reihe begann mit einem Luxusproblem: Der gesellschaftskritische Science-Fiction-Film mit Charlton Heston erwischte 1968 das Kinopublikum auf dem kalten Fuß. Wohl niemand erwartete, dass diese Romanadaption so spannend, so treffend in ihrem Gesellschaftskommentar und so konsequent erzählt sein wird. Der kommerzielle Erfolg und der sich rasch einstellende, massive Eindruck, den der Kinofilm hinterlassen sollte, waren ebenso wenig vorherzusehen. Dass eine Fortsetzung geordert wurde, war eine aus wirtschaftlicher Sicht logische Schlussfolgerung dessen. Aber inhaltlich war dies eine fragwürdige. Denn «Planet der Affen» schien perfekt für sich alleine zu stehen.
1970 war dies «Rückkehr zum Planet der Affen» dann auch überdeutlich anzumerken, dass «Planet der Affen» wie prädestiniert dafür war, ein Einzelfilm zu bleiben. Die Fortsetzung kam ebenfalls als karger, pessimistischer Film daher. Nur, dass das glaubwürdige, aussagekräftige Drama einer forcierten Tragödie wich, voller hölzerner Situationen. Und dann bauten die Drehbuchautoren auch noch zahlreiche Momente ein, die Löcher in die Filmlogik bohrten, wo bisher keine waren. «Rückkehr zum Planet der Affen» war, nett gesagt, für die Katz'. Jetzt musste aber endlich Schluss sein, oder? Nein! Ein dritter Teil wurde in Auftrag gegeben, der nun ein superkomplexes Problem zu lösen hatte: Da ist ein Film, der so gut war, dass man ihn nicht hätte fortsetzen sollen. Aber man hat ihn fortgeführt. Dieser zweite Teil war mies. Nun muss man also unbedingt die Qualitätsschraube nach oben drehen, und sich mit dem ursprünglichen Meisterwerk messen, um nicht weiter Gesicht zu verlieren. Nur, dass der zweite Teil die Lage der handelnden Figuren, ähm, ja … Er hat die Lage der Filmfiguren extrem verschlechtert. So sehr, dass es einfach nicht weitergehen kann. Aber es muss weitergehen, der Filmmarkt befiehlt es.
Was machten die Köpfe hinter «Flucht vom Planet der Affen»? Sie knallten 1971 einen Film raus, der auf dem Papier (und in den ersten paar Filmminuten) wie ein schlechter Witz wirkte. Eine Beleidigung gegenüber dem zuvor dagewesenen. Aus der pessimistischen Science-Fiction-Geschichte sollte nun eine affige Zeitreisekomödie werden? Ja. Zeitweise! Die bisherige Filmwelt wurde auf den Kopf gestellt, die löchrige Logik des Vorgängerteils komplett zerrissen. Und genau das war es, was das «Planet der Affen»-Franchise rettete. «Flucht vom Planet der Affen» stürzte sich in den Wahnwitz, nahm diesen Schrecken als Mittel, um sich vom misslungenen zweiten Teil reinzuwaschen und schwamm daraufhin zu neuen dramatischen und gesellschaftskritischen Gewässern.
Ich kann den Köpfen hinter der Netflix-Originalserie «Tote Mädchen lügen nicht» nicht dringlicher den Rat ans Herz legen, sich das «Planet der Affen»-Modell genau anzuschauen und für sich zu adaptieren. Zu zwei Dritteln haben sie den oben beschriebenen Verlauf ja eh schon nachgemacht. Die erste, auf einem Roman basierende Staffel, zählt zum besten, was es bis dato an Fernsehserien zu sehen gab: «Tote Mädchen lügen nicht» erzählt auf erschütternde Art und Weise von der Hölle, die der Subkosmos Schule darstellen kann. Erschreckend konsequent und beeindruckend streng darin, wie sie mit dem Finger auf gesellschaftliche Missstände drückt, hat sich die Serie schnell zu einem der größten Netflix-Hits gemausert und wurde oft referenziert und noch häufiger debattiert.
Obwohl die Jugenddramaserie, die sich den Gründen für den Selbstmord einer Schülerin annimmt, eine perfekte Miniserie hätte sein können, wurde eine zweite Season angekündigt. Die musste also eine sehr hoch liegende Hürde nehmen und eine sehr konsequent auserzählte Handlung weiterspinnen. Leider kam es, wie es wohl kommen musste. Die zweite Staffel von «Tote Mädchen lügen nicht» will um jeden Preis noch mehr schocken, verliert dabei jedoch die scharfe Beobachtungsgabe der ersten Season. Hölzerne Dialoge, forcierte Zufälle und rückwirkendes Rumfuchteln im Storybogen der ersten Runde sorgen für allerlei Fremdschammomente. Es ist extrem frustrierend, wie sich eine so fantastische Serie derart selbst demontiert – und dann endet sie natürlich noch mit einem bemühten, effekthascherischen letzten Twist.
Würde man mir die Leitung der bereits angekündigten, offenbar leider unvermeidlichen dritten «Tote Mädchen lügen nicht»-Staffel übertragen, wüsste ich genau, wie ich die Serie aus ihrem Elend retten würde. Season zwei hat die Serie, will man sie als glaubwürdiges Jugenddrama betrachten, irreparabel beschädigt. Zu viele Zufälle, himmelschreiend-konstruierte Dramen und schale Schreckmomente machen es unmöglich, nach diesem Unfug weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Eine dritte Staffel in der Tonalität und inneren Logik der ersten Season? Man kann es versuchen, aber sie müsste noch immer auf diesem wackligen Fundament der zweiten Runde stehen und die dank Runde zwei plötzlich vollkommen inkohärente Figurenzeichnung irgendwie wieder begradigen. Da ist die Katastrophe vorprogrammiert.
Also: Angriff ist die beste Verteidigung. Runde zwei hat «Tote Mädchen lügen nicht» ungewollt komisch, unsinnig und unrealistisch dastehen lassen. Staffel drei sollte sich da stolz und selbstsicher die Plakette der hanebüchenen Fiktion anheften und so einen Reinigungsprozess in Gang setzen. Nach dem Kulturschock kann «Tote Mädchen lügen nicht» dann in bester «Planet der Affen»-Manier ohne die Sünden der zweiten Season neue Wege einschlagen, um seine düstere Gesellschaftskritik weiter in die TV-Welt hinaus zu brüllen.
Darum wäre meine Idee, dass unser in Staffel zwei ins Wanken geratener Serienheld Clay (Dylan Minnette) am Ende der Auftaktfolge zu Season drei vollkommen aufgelöst in einen nahegelegenen Wald stürmt. Dort stolpert er über ein Stück Metall. Neugierig gräbt Clay es aus, vielleicht hoffend, dass es sich dabei um die Metallbox mit weiteren Kassetten seines Schwarms Hannah Baker (Katherine Langford) handelt, von der er gerüchteweise gehört hat. Aber das Geheimnis ist viel größer als ein Andenken an die Frau, die er liebte, aber nicht vor ihrem Freitod bewahren konnte: Er stolperte über den Öffnungshebel einer Luke. Er öffnet sie und erblickt einen langen Korridor, den er mittels einer wackligen Leiter hinabsteigen könnte.
Die nächste Episode beginnt, um die Fans weiter auf die Folter zu spannen, mit einer zehnminütigen, komödiantischen Szene über eine der «Tote Mädchen lügen nicht»-Nebenfiguren. Vielleicht sehen wir den schüchternen Zach Dempsey (Ross Butler) in einem Heavy-Metal-Szeneclub, in den er aufgrund einer Verwechslung gegangen ist? Sobald wir uns aber wieder Clay widmen, sehen wir ihn den langen Korridor hinabsteigen. Letztlich erreicht er ein verstaubtes Labor, in dessen Mitte eine gigantische, seltsam aussehende Maschine steht. Er stolpert über ein Kabel, fällt mit seinem Gesicht voraus auf ein Schaltpult und eine Tür in der Maschine öffnet sich. Clay hat eine Vision Hannahs, die in der Maschine sitzt. Er schüttelt sich, die Vision verschwindet – und dennoch steigt er mit einem "Was soll's"-Gesichtsausdruck in die Maschine. Ein Lichtblitz erfüllt das Bild. Und auf einmal steht Clay die Arbeitsuniform des örtlichen Kinos tragend Hannah gegenüber, während sie ihm erzählt, neulich gelesen zu haben, dass in manchen Ländern die Leute viel lieber süßes als salziges Popcorn essen …
Und so beginnt eine Zeitreisehandlung, die Clay die Chance gibt, Hannah zu retten. Man könnte behaupten, dass Staffel zwei dies mit dem Rückblick auf einen drogeninduzierten Dialog zwischen Clay und Hannah über die Veränderlichkeit der Zukunft sogar schon vorbereitet hat. Aber: Jede Bemühung Clays, den Zeitverlauf zu ändern, zieht harsche Konsequenzen nach sich … Schritt für Schritt kommt es zu absurderen, doch auch erschreckenderen Situationen und aus «Tote Mädchen lügen nicht», das als vermeintlich lebensnahes High-School-Drama nicht mehr für voll zu nehmen ist, wird eine Sci-Fi-Horrorgroteske mit urkomischen Setpieces und nervenaufreibenden Handlungswendungen, die die Bandbreite der Serie massiv vergrößern. Wenn schon, denn schon!