Von Weimar zu Hitler – Teil 4

Der finale vierte Teil dieser Reihe wird sich mit dem Mythos Riefenstahl, ihren Werken und deren Bedeutung auseinandersetzen.

Von Weimar zu Hitler

In den drei zu vorigen Teilen der Reihe Von Weimar zu Hitler wurde die deutsche Filmgeschichte von 1918 an bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 beleuchtet. Innerhalb der Filmproduktion des Dritten Reiches spielte dabei eine Person eine tragende Rolle: Leni Riefenstahl.

Das nationalsozialistische Kino war trotz dem ideologisch verwerflichen Anstrich ein Feld, in dem sich viele begabte und technisch versierte Regisseure ausleben konnten, sofern sie Mitglied der Reichsfilmkammer waren und in dem Gesellschaftsbild der Nationalsozialisten einen Platz fanden.

Die Filmlandschaft des Dritten Reichs wurde dabei von keiner Person intensiver und nachhaltiger geprägt wie von der Regisseurin Leni Riefenstahl, eine glühende Bewunderin Adolf Hitlers, und zugleich Emanzipierte in einer patriarchalischen Gesellschaft. Die in Berlin geborene Filmemacherin ist ein Paradoxon, ein Wiederspruch in sich und auch noch lange nach ihrem Tod Gegenstand von Diskussionen. Um die Bedeutung der Person Helene Bertha Amalie Riefenstahl, Leni, angemessen behandeln und für die nationalsozialistische Filmindustrie deuten zu können, muss man zu Beginn ihr persönliches Leben beleuchten. Ein summarischer Querschnitt ihres Lebens vor dem Nationalsozialismus und ihrer Entwicklung ihn ihm.



Ursprünglich wollte Riefenstahl nicht den Weg der Regisseurin einschlagen, sondern den einer Tänzerin und später den einer Schauspielerin. Im Alter von sechzehn Jahren begann sie mit dem Tanz und einem exzessiven Trainingspensum. Ihr dominanter Vater und Unternehmer Alfred Riefenstahl versuchte sie zu einer Haushaltslehre zu bringen, doch der Fokus des jungen Mädchens lag alleine auf dem Tanz. Sie verfolgte den gewählten Weg der professionellen Tänzerin auch in den kommenden Jahren, als Kompromiss verbunden mit der familiären Arbeit im Installateurbetrieb des Vaters. Ihr tänzerisches Debüt gab sie im Oktober 1923 im Blüthner-Saal in Berlin und erhielt zusehends mehr Angebote, die finanziell äußerst attraktiv dotiert waren. Laut eigener Aussage soll sie von Regisseuren oftmals Angebote für Filmrollen erhalten haben, die sie jedoch ablehnte. Ihr Leben als Tänzerin setzte ihr körperlich jedoch so stark zu, dass sie sich letztendlich bei einem Auftritt in Prag Mitte 1924 eine Knieverletzung zuzog, die sie von dem Passus des Tanzens trennen sollte. Doch ihre neue Bestimmung war schnell in Form des Schauspiels gefunden, für welches sie sich schon parallel zum Tanz Interesse gezeigt hatte. Der regelrechte Stein des Anstoßes, das Handwerk der Schauspielerin aufzunehmen, kam durch das Sehen von Arnold Fancks Bergfilm «Der Berg des Schicksals» (1924). Durch Fanck gelang sie auch zu ihrem ersten großen Leinwandauftritt, da sie durch ihn zur Rolle der Tänzerin in «Der heilige Berg» (1926) kam. Riefenstahl nutze die Nähe zu Fanck und ließ sich von ihm die Technik und Methodik der Regie, sowie des Schnitts näher bringen.

Auch wenn sie nicht die tragische Rolle des Gretchens in Murnaus expressionistischer Literaturadaption «Faust – eine deutsche Volkssage» (1926) erhielt, verlief ihre schauspielerische Karriere erfolgreich. Ihr Kontakt zu dem Regisseur Josef von Sternberg, der Marlene Dietrich 1930 mit «Der blaue Engel» zum großen Durchbruch verhalf, hätte dazu führen können, dass anstatt Dietrich Riefenstahl die Rolle der koketten Sängerin und Tänzerin des Films bekommt. Ein interessantes theoretisches Konstrukt, das zeigt, dass Riefenstahl auch eine Größe außerhalb des Bergfilmgenre hätte werden können. Doch bekanntlich entschied sie sich nach ihrem großen Erfolg durch «Die weiße Hölle des Pitz Palü» für den technischen Aspekt der Filmproduktion und gab 1932 mit dem Bergfilm «Das blaue Licht» ihr Debüt als Regisseurin. Hitler zählte Riefenstahls Debüt später zu seinen Lieblingsfilmen, was auch ein Grund für dessen anhaltende Unterstützung war. Riefenstahls erster Film ist eine Mischung aus einer mystisch angehauchten Geschichte, traumhaft anmutenden Bildern und ein Finale, das die im wahrsten Sinne in einem tragischen Ende gipfelt. Die Debütantin ist in ihrer Stilistik dabei kaum vom ehemals so populären Expressionismus geprägt, dafür sind ihre Bilder und Welten nicht surreal genug. Doch lässt sich die Regisseurin auch nicht der Neuen Sachlichkeit zuordnen, da der Realismus nicht primäres Einstellungsmerkmal ist und manche ihrer Bilder einem Traum zu ähneln scheinen.

Später sollte Riefenstahl zu ihrer eigenen Inszenierungsweise finden, jedoch unter dem Banner der Nationalsozialisten. Noch erkennt man keine eigene Handschrift von ihr und die Parallelen zu ihrem Mentor Fanck sind allgegenwärtig. Und doch zeigt sich bei diesem Film schon ihre autoritäre Arbeitsweise, die sie sich seitdem beibehalten sollte. Riefenstahl war zugleich Hauptdarstellerin und Regisseurin, die Editorin (damals noch „Schnittmeisterin“), Drehbuchschreiberin und Produzentin in einer Person. Obwohl das Drehbuch mit der Beteiligung des jüdischen Béla Balázs entstand und Arnold Fanck ihr im Schnitt assistierte, ist die Dominanz Riefenstahl in dem Projekt nicht von der Hand zu weisen, wodurch sie sich als der erste große weibliche Auteur der Filmgeschichte beschreiben lässt. Die Rezeption des Films war uneinig über dessen Qualität und Riefenstahl beschimpfte einen jüdischen Filmkritiker auf das schlimmste. Ob und wie sich der Antisemitismus in der Person Riefenstahls äußerte, wird ein späterer thematischer Punkt werden.

Ihre Verbindung zu Hitler begann mit einem persönlichen Schreiben, das sie im Mai 1932 an ihn richtete. Darin zeigt sie sich von seiner Rhetorik und der Fähigkeit, die Massen zu begeistern, sehr beeindruckt und bittet um ein persönliches Treffen. Der Zeitpunkt für Riefenstahls Schreiben war optimal, da sich die NSDAP in einer Werbekrise befand. Die Inszenierung der Reichsparteitage war uninteressant, statisch und zeichnete sich mehr durch das Fehlen von Dynamik aus, anstatt die Massen zu begeistern, wie es das Parteioberhaupt in seinen Reden tat. Hinzu kam, dass der politische Film von einem russischen Monopol gekennzeichnet war. Der sowjetische Revolutionsfilm «Panzerkreuzer Potemkin» hinterließ durch seine Schnitt- und Montagearbeit 1925 derart großen Eindruck, dass die Inszenierung politischer Filme in Deutschland auch zu Beginn der 1930er Jahre noch hinterherhinkte. In ihrem Treffen mit Hitler 1932 an der Nordsee nur kurz nach dem Verfassen ihres Briefes wurde der Grundstein für deren spätere Zusammenarbeit gelegt. Im September desselben Jahres lernte sie in Berlin Joseph Goebbels kennen, das spätere höchste Entscheidungsorgan der deutschen Filmindustrie. Im August 1933 kam es zu ihrer ersten Arbeit für Hitler: «Der Sieg des Glaubens».

In diesem Film macht sie sich erstmals bemerkbar, die Ästhetisierung der nationalsozialistischen Propaganda, erfunden und entwickelt von Riefenstahl. Sie schnitt die Aufnahmen mehrerer Parteitage zu einem zusammen, bildete eine dramaturgische Linie heraus, fing Hitlers Charisma in Großaufnahmen ein und innovierte die dokumentarische Darstellung des Parteitags mit dynamischen lebendigen Bildern. Und dennoch war «Der Sieg des Glaubens» kein vollkommener künstlerischer Sieg für die junge Regisseurin. Teils musste sie für die Produktion auf Archivmaterial zurückgreifen oder auf Szenen, die in ihrer Aufnahmeart zu wünschen übrig ließen. Für die Perfektionistin hinter der Kamera ein Film mit Mäkeln, für das Parteipublikum bei der Uraufführung am 1. Dezember 1933 in Berlin hingegen ein Werk, das bejubelt werden musste. Goebbels befahl sogar, den Film nur mit positiven Kritiken zu rezensieren und forthin wurde «Der Sieg des Glaubens» in riesigem Ausmaße beworben.



Das Medium des Films war somit für die Nazis gewonnen, mit der neuen Regisseurin hatte man zum russischen Polit-Kino aufgeschlossen und 1934 sollte Riefenstahl es mit «Triumph des Willens» noch überflügeln. Zugleich zeigt «Der Sieg des Glaubens» aber auch die innerparteilichen Entwicklungen der NSDAP und die daraus resultierenden Auseinandersetzungen zwischen Hitler und Röhm. Ernst Röhm, Oberhaupt der Sturmabteilung, symbolisierte in dem NS-Propagandafilm die geteilte Führung der Parteispitze, die Hitler nicht zu dulden vermochte. Die Rivalität um das militärische Monopol wurde zwischen der Sturmabteilung und der Reichswehr, der späteren Wehrmacht, ausgetragen. Da die NSDAP auf Seiten der Wehrmacht stand, war Röhm als Führungspersönlichkeit seiner Sturmabteilung ein Risikofaktor – unterbewusst repräsentiert in «Der Sieg des Glaubens». Die Situation gipfelte im Röhm-Putsch in der Nacht des 30. Juni auf den 1. Juli 1934, indem Röhms Sturmabteilung entmachtet und er kurz darauf hingerichtete wurde. Somit hatte «Der Sieg des Glaubens» in den Augen der Partei keine Existenzberechtigung mehr und wurde flächendeckend vernichtet.

Hitler schrieb schon im April an Riefenstahl, zwei Monate vor der Ermordung Röhms, dass sie die Regie für den großen Parteitagsfilm «Triumph des Willens» übernehmen soll. Die Produktionspläne für ihren Bergfilm «Tiefland», ein Herzensprojekt der Regisseurin, waren zuvor gescheitert und so kehrte sie dieser Produktion vorerst den Rücken zu. In ihrem neusten Projekt standen ihr knapp 170 Helfer zur Verfügung, vom Kameramann bis zum Assistenten. Während sie in ihrem ersten Propagandafilm noch keine absolute Freiheit und Entscheidungsgewalt hatte, verhielt es sich nun anders. Im Entstehungsprozess von «Triumph des Willens» zählte ihr Wort sogar mehr als das von Hitler. Dieses Mal konzentrierte sich Riefenstahl einzig und allein auf den Nürnberger Parteitag, ohne Versatzstücke anderer NSDAP-Treffen. Ihr Aufwand und der ihrer Techniker, den Film zu realisieren, war immens. Riefenstahl griff auf alle technischen Möglichkeiten zurück und setzte erstmals Kameramänner auf Rollschuhen, um die perfekte Aufnahme zu kreieren. Der Einsatz von Schienen, um die Möglichkeiten der Kamerabewegungen zu erweitern war revolutionär und auch die Kräne der Feuerwehrwagen wurden umfunktioniert für den Kameraeinsatz, um die bestmögliche Totale zu erhalten. Obwohl zu dieser Zeit der Parteitag stattgefunden hat, Nürnberg gehörte zu dieser Zeit in die Hände Riefenstahls. Sie kontrollierte jeden noch so kleinen Teilaspekt und dirigierte selbst Adolf Hitler persönlich in ihren Aufnahmen. Die tatsächliche Inszenierung beschränkte sich jedoch auf die optische Ebene, bestehend aus den Aufmärschen, den geradlinigen aufgereihten Truppen und der typischen Architektur des Nationalsozialismus. Riefenstahl Regiestil scheint sich nur aus Bildern zusammenzusetzen, nicht aus Inhalten. Die Beschlüsse bezüglich der Handhabung der jüdischen Bürger, die zentrales Element auf dem Parteitag waren, scheinen auf der Leinwand keine Beachtung zu finden. Die Aufnahmen von wilden Reden über Einheit und eine deutsche Bewegung wirken kontrastierend, sodass sie beinahe den Eindruck vermitteln, deplatziert zu sein.



Trotz einer gewissen Widersprüchlichkeit hinterließ «Triumph des Willens» seine tiefen Fußstapfen in der Filmgeschichte, zugleich schmerzhaft und doch innovierend. Riefenstahl hatte den Dokumentarfilm und die Inszenierung von Menschenmaßen revolutioniert und die Ästhetik des Mediums nachhaltig verändert – jedoch auf dem Rücken einer menschenverachtenden Bewegung.

Wie zu erwarten blieb der Erfolg ihrer auf Zelluloid festgehaltener Propaganda nicht aus und neben der haltlosen positiven Wahrnehmung von der deutschen Seite aus, gelang es der Regisseurin auch in Frankreich und Italien Auszeichnungen für ihr Werk und großen Zuspruch zu gewinnen – vor dem Ausbruch des Krieges.

Nichtsdestotrotz spricht man hier über einen Propagandafilm, der die NSDAP und somit auch deren Ideologie verherrlichend darstellt. Spricht man jedoch über den Film und sagt dabei, es wäre ein Werk der Partei gewesen, würde man den historischen Kontext nicht wahrheitsgetreu wiedergeben.

«Triumph des Willens» ist in Teilen ein Werk der NSDAP, doch anstatt über einen Film der Partei, Hitlers oder Goebbels trifft es den Kern viel mehr, wenn man von einem ideologisch nationalsozialistisch geprägten aber autark produzierten Film Riefenstahls spricht.

Während «Triumph des Willens» die auf allen Ebenen gelungene Vollendung des ästhetisierten Parteiauftritts war, stellte ihr nächstes großes Projekt sie vor ihre größte Aufgabe.

Im August 1935 wurde Riefenstahl mit dem bedeutungsvollen Projekt betraut: die Dokumentation der Olympischen Spiele in Deutschland 1936. Das Festhalten des Sportspektakels war aus zweierlei Gründen essentiell. Zum Einen hatte die radikale NS-Politik im Ausland für Aufsehen gesorgt, besonders der Umgang mit jüdischen Bürgern wurde kritisiert. Durch eine künstlerische Dokumentation Riefenstahls sollte das allgemeine Ansehen von Deutschland wieder steigen. Eine weiße und vermeidlich reine Weste wollte man präsentieren, sodass die Berichte über antisemitistische Verfolgungen haltlos werden würden. Zugleich mussten die deutschen Sportler als Helden in Szene gesetzt werden, sodass sich die nominelle deutsche Überlegenheit in ihnen wiederspiegelte.



Der zweite Grund für die Produktion dieser Dokumentation war, dass das IOC (International Olympic Committee) drei Jahre zuvor anordnete, fortan alle Olympischen Spiele auf Film festzuhalten. Riefenstahl wurde mit dieser Mammutaufgabe vertraut, in der Überzeugung, dass die Regisseurin die Nationalsozialisten wieder einmal euphorisch stimmen kann. In diesem Punkt behielten sie recht. Der Chronologie halber soll ihr dritter Parteipropagandafilm «Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht» nicht außer Acht gelassen werden. Den knapp 30 Minuten dauernden Film drehte die Regisseurin auf dem Nürnberger Parteitag im September 1935 und markiert den Abschluss ihrer parteipolitischen Propagandafilme, bestehend aus «Der Sieg des Glaubens», «Triumph des Willens» und «Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht». Im Gegenzug zu den beiden Vorgängern konzentrierte sich Riefenstahls vergleichsweise sehr kurzer Film nahezu ausschließlich auf die Inszenierung der Wehrmacht, Reden wurden nicht gefilmt, dafür aber ausführlich das Kriegsgerät der Soldaten.

Im direkten Vergleich zu «Der Sieg des Glaubens» und «Triumph des Willens» ist ihre dritte Inszenierung zu vernachlässigen und kann sich nicht mit der Bedeutung der beiden anderen Werke messen. Mit ihrer Dokumentation der Olympischen Spiele verhält es sich jedoch vollkommen anders. Passend zum Geburtstag Adolf Hitlers fand die Uraufführung ihres Epos am 20. April 1938 statt. Stattgefunden hatten die Spiele vom 1. August bis zum 16. und in dieser Zeit entstanden 400 Kilometer reines Filmmaterial, deren Bearbeitung Riefenstahl zwei Jahre im Schnittraum kosten sollte. Ihr finales Werk wurde in zwei Filme unterteilt: «Olympia - Fest der Völker» und «Olympia – Fest der Schönheit».

Das ursprüngliche Budget von anderthalb Millionen Reichsmark überschritt die Regisseurin mehrfach um hunderttausende, sehr zum Missfallen des Reichsfilmminister Joseph Goebbels. Hier zeigte sich wieder einmal die Freiheit, über die Reifenstahl verfügte. Verbote, Auflagen und Restriktionen existierten für sie nicht, geschweige denn eine potentielle Kritik an ihrer Kunst. Wie zuvor auch schon «Triumph des Willens», zeichneten sich die beiden Olympia-Filme durch technische Innovationen aus. Besonders nennenswert ist ihr Einsatz der Musik, um dem Sport die nötige Dramatik zu verleihen. Riefenstahl griff oft auf die Parallelmontage zurück, um die Musik rhythmisch auf die gezeigten Bilder abzustimmen.

«Olympia – Fest der Völker», sowie «Olympia – Fest der Schönheit» waren nur in zweiter Instanz Propagandafilme. Es waren keine Parteifilme, keine kriegsverherrlichende Propaganda, sondern in erster Linie waren es persönliche Filme für Riefenstahl. Im Gegensatz zu ihrer Parteitagstrilogie handelte es sich hierbei um die Inszenierung des Sports, ihrer eigenen Leidenschaft. Was sich die Olympia-Filme vorwerfen lassen müssen, ist nicht die politische Instrumentalisierung der Bilder wie in «Triumph des Willens», sondern der ursprüngliche Entstehungsgrund des Films, jenes damalige Deutschland als „rein“ darzustellen.

Der Erfolg des Films war wie erwartet exzeptionell und Riefenstahls anschließende Filmkampagne brachte sie in die Vereinigten Staaten. Sympathisanten der NSDAP wie beispielsweise Walt Disney führten Gespräche mit ihr, doch durch die Zuspitzung des deutschen Antisemitismus, die in der Reichspogromnacht 1938 gipfelte, nur wenige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wurde Riefenstahl potentielle Zukunft in den USA jäh beendet.

Nach der Fertigstellung ihres Olympia-Projekts schwindet Riefenstahls filmhistorische Bedeutung im Dritten Reich. Zwar wurde 1939 der „Sonderfilmtrupp Riefenstahl“ gegründet, in dem sie mit einer Reihe ausgewählter Helfer Aufnahmen von der Ostfront machen sollten, doch wurde das Projekt nie vollständig realisiert. Zeitzeugenberichten nach erlebte Riefenstahl damals zum ersten Mal die Geschehnisse an der Front, darunter auch ein Massaker an jüdischen Gefangenen, das sie nicht verkraften konnte und zusammenbrach. Ihre Arbeit als Regisseurin nach Beginn des Krieges lässt sich auf einen Film destillieren, «Tiefland», dessen Fertigstellung ein lang ersehnter Wunsch Riefenstahls war. Aufgrund des Kriegsendes wurde der Bergfilm, der keine offensichtliche Propaganda aufweist, erstmals 1954 uraufgeführt.

Ihre Karriere sollte nach dem Fall der Achsenmächte 1945 zusammenbrechen. Fragen nach ihrer Mittäterschaft im Dritten Reich wurden laut, ebenso wie Ermittlungen zu ihrer Person. Sie verfiel Depressionen, konnte sich jedoch mit der Fotographie afrikanischer Stammesmitglieder neu erfinden. Ihre Bilder gingen wieder einmal um die Welt, dieses Mal statisch. Ironisch, wenn man bedenkt, dass sie einst dafür gefeiert wurde, die statischen Bilder in dynamische Bewegungen zu bringen.

Riefenstahl und die deutsche Filmgeschichte der 1930er Jahre sind untrennbar miteinander verbunden.

Doch wie wertet man die Person Riefenstahl selbst? Ordnet man die Regisseurin als eine überzeugte Nationalsozialistin und Antisemitin ein oder sieht man sie als eine Künstlerin, die ihre Kunst mit allen Mitteln zum Ausdruck bringen wollte? Der folgende Abschnitt enthält die abschließenden Worte zu Riefenstahl und den gescheiterten Versuch sie einzuordnen.

Eine sich aufdrängende Frage: war Riefenstahl eine Antisemitin? Eine klare Antwort darauf fällt schwer. Ihr Debüt «Das blaue Licht» wurde von dem jüdischen Filmkritiker Hermann Sinsheimer verrissen, woraufhin sie ihn als „Fremdling“ beschimpft haben soll und über eine Zukunft sprach, in der jüdische Journalisten nicht mehr für Deutschland schreiben sollte. Riefenstahl hatte zuvor Hitlers Buch Mein Kampf gelesen, das vor Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit regelrecht überquoll. Sinsheimer floh kurz vor dem Ausbruch des Krieges aus Deutschland. Dennoch arbeitete die Regisseurin mit dem jüdischen Drehbuchautor Béla Balázs zusammen und filmte während der Olympiade nicht nur die deutschen Sportler, sondern inszenierte auch den farbigen Leichtathleten Jesse Owens, einen der größten Sportler aller Zeiten. War dies nun eine Maßnahme, um die Außenwelt von der heuchlerischen deutschen Toleranz zu überzeugen oder ging es Riefenstahl um die bestmögliche Inszenierung der stärksten Sportler? War sie eine überzeugte Antisemitin oder eine Filmemacherin, die um jeden Preis ihre Werke verwirklichen wollte? Riefenstahl war nie Mitglied der NSDAP, doch bekannte sich als glühende Verehrerin Adolf Hitlers. Kann man dieser Frau vorwerfen, dass sie ihre Kunst um jeden Preis verwirklichen wollte? Und wenn ja, inwiefern kann der Fanatismus eines Künstlers ihn von der Rationalität befreien?

Riefenstahl war in ihren jungen Jahren eine Frau von ausgesprochener Attraktivität und es waren die Männer, die an ihrer Seite standen odervielmehr: die sich an ihrer Seite schmückten. Obwohl sie den Männern gegenüber nie abgeneigt war, stellte sie eine Emanzipierte dar, die als Matriarchin dem Patriarchat der NS-Herrschaft gegenüberstand. In nachträglichen Interviews verwässert Riefenstahl ihre eigene Motivation für die Produktionen in Nazi-Deutschland. Sie will nun die Aufträge nur wiederwillig angenommen und schnell ein schlechtes Gefühl verspürt haben. Keine Alternative hätte sie gehabt und ihre Filme haben nur das eingefangen, was man sah, ohne dabei eine beabsichtigte Verherrlichung der Partei gewesen zu sein. Politisch interessiert soll sie nie gewesen sein, die Kunst war ihr Leben. Relativierungsversuche einer Mittäterin oder die wahren Worte einer Künstlerin.
Hitlers Regisseurin war, ist und bleibt ein Paradox und ein Rätsel, das womöglich nicht gelöst werden kann. Leni Riefenstahl ist ein maßgeblicher Teil der deutschen Filmkultur, ob man es selbst möchte oder nicht.

Das, was ihre Bilder zeigen, hält andere Regiegrößen wie Kult-Regisseur Quentin Tarantino nicht davon ab, sie als „die größte Regisseurin aller Zeiten“ zu bezeichnen.

Von Weimar zu Hitler

Die deutsche Filmhistorie nach dem Ersten Weltkrieg ist so eng verknüpft mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des Landes, wie es keine Filmbewegung in einem weiteren Land davor oder danach war. Sie fungiert als Spiegel der zerrütteten Gesellschaft, die sich radikalisiert und dem Führerkult verfällt. Während der expressionistische Film das Medium evolutioniert, sodass es kulturell salonfähig wird, beschneidet das nationalsozialistische Kino dessen Vielfalt und überwindet mit Riefenstahl dennoch die technischen Grenzen des Films.

Die deutschen Filme zwischen dem Ausruf der Weimarer Republik und dem Ende des zweiten Weltkrieges sind ein Produkt ihrer Zeit, ihrer Umstände, Politik, Unruhen und Menschen. Das Weimarer Kino und der nationalsozialistische Film- zwei Welten die aufeinander treffen, sich gegenseitig exkludieren und das Medium des Films letztendlich doch voran gebracht haben.
15.07.2018 11:57 Uhr  •  Martin Seng Kurz-URL: qmde.de/102303