Der Titel des italienischen Publikumshits «Zuhause ist es am schönsten» erinnert zwar an eine der unzähligen französischen 08/15-Komödien, ist aber ein derart leidenschaftlicher Familienreigen, dass man sich für diesen Vergleich fast schon wieder schämt.
«Zuhause ist es am schönsten»
- Start: 02. August 2018
- Genre: Tragikomödie
- Laufzeit: 105 Min.
- FSK: 6
- Kamera: Shane Hurlbut
- Buch: Gabriele Muccino, Paolo Costella, Sabrina Impacciatore
- Regie: Gabriele Muccino
- Darsteller: Carolina Crescentini, Elena Minichiello, Ivano Marescotti, Pierfrancesco Favino, Stefania Sandrelli, Sandra Milo
- OT: A casa tutti bene (IT 2018)
Dank «Ziemlich beste Freunde», «Monsieur Claude und seine Töchter» und Co. erfahren die deutschen Filmliebhaber mittlerweile ziemlich zügig davon, was bei unseren französischen Nachbarn alles zu einem Kinohit geworden ist. Was den italienischen Filmemarkt anbelangt, sieht es dagegen wesentlich mauer aus. Nur selten erreichen Produktionen von dort unsere Lichtspielhäuser, geschweige denn die breite Masse. Ob sich das bei «Zuhause ist es am schönsten», dessen Titel wiederum trügerisch an die Wohlfühlkomödien der Franzosen erinnert, ändern wird, ist fraglich, denn die ambitionierte Momentaufnahme einer wiedervereinten italienischen Großfamilie ist so gar nicht
„Feel-Good“ und obendrein perfekt auf eine Zuschauerschaft abgestimmt, die mit den leidenschaftlich-temperamentvollen Italienern ohnehin bestens vertraut ist.
In seinem Produktionsland wurde «Zuhause ist es am schönsten» Anfang des Jahres mit über neun Millionen Zuschauern (lediglich überflügelt von «Fifty Shades of Grey: Befreite Lust» und «Jumanji: Willkommen im Dschungel») folgerichtig zu einem Riesenerfolg. Etwas Ähnliches wäre dem mit vielen komischen Einschüben versehenen Familiendrama auch hier zu wünschen. Solch ein enthemmtes, regelrecht spektakuläres Schauspiel hat man auf der großen Leinwand nämlich lang nicht mehr zu sehen bekommen.
Von dieser Insel gibt es kein Entkommen
Alba (Stefania Sandrelli) und Pietro (Ivano Marescotti) wollen Goldene Hochzeit feiern und laden die komplette Familie in ihr wunderschönes Haus auf Ischia ein. Doch in ihrer Vorfreude haben sie das Temperament ihrer Familie unterschätzt: Ihr Sohn Carlo (Pierfrancesco Favino) muss die Eifersucht seiner Frau Ginevra (Carolina Crescentini) ertragen, die große Szenen macht, weil auch seine Ex (Valeria Solarino) zum Fest geladen ist. Schwiegersohn Diego (Giampaolo Morelli) denkt ständig an seine Geliebte in Paris, während seine arglose Frau Sara (Sabrina Impacciatore) ihn mit allen Mitteln zu bezirzen versucht. Und Albas bindungsscheuer Lieblingssohn Paolo (Stefano Accorsi) flüchtet sich in eine romantische Affäre mit seiner reizenden Cousine Isabella (Elena Cucci). Während Alba die Idylle aufrechtzuerhalten sucht, kann Pietro es kaum erwarten, bis die verrückte Verwandtschaft mit der Fähre wieder verschwindet. Als dann ein Sturm über die Insel fegt und die illustre Gesellschaft an der Abreise hindert, ist das Chaos perfekt.
Als Regisseur Gabriele Muccino nach zwölf Jahren Arbeit von Los Angeles in seine Heimat Italien zurückkehrte, habe er sich eigenen Angaben zufolge gefühlt wie Odysseus auf dem Weg nach Itaka: erwachsener und spürbar gereift. Wirft man einen Blick auf Mucchinos letzte Projekte, glaubt man das sofort: Auf sein Konto gehen gefällige Superstar-Dramen wie die Will-Smith-Vehikel «Das Streben nach Glück» und «Sieben Leben», die RomCom «Kiss the Coach» und das Generationendrama «Väter und Töchter – Ein ganzes Leben» mit Russell Crowe, Amanda Seyfried und Diane Krüger. Gabriele Muccino hätte wohl kaum Probleme gehabt, «Zuhause ist es am schönsten» mit Hollywoodstars zu besetzen.
Doch für die vollständig auf Italienisch gedrehte Produktion griff er ausschließlich auf allenfalls in ihrem Heimatland bekannte Darstellerinnen und Darsteller zurück. Und das ist auch gut so! Thematisch erinnert «Zuhause ist es am schönsten» nämlich stark an ähnlich gelagerte Dramen der Marke «Im August in Osage County» und von derartigen Filmen mit US-Starbesetzung gab es in der Vergangenheit ja nun schon genug – erst das Setting und das über alle Maße authentische Schauspiel aller Beteiligter, gepaart mit ihren unverbrauchten Gesichtern, machen «Zuhause ist es am schönsten» dagegen berauschend lebendig.
Sie zanken so schön!
Wenn auf der Leinwand eine seit langer Zeit voneinander getrennte Familie durch einen (hier immerhin sehr schönen) Anlass wieder zusammengeführt wird, sind Streit und das Aufbrechen unterschwellig brodelnder Konflikte in der Regel vorprogrammiert. Das ist in «Zuhause ist es am schönsten» gar nicht so viel anders, doch hier ist es schlicht das schiere Ausmaß verschiedener Brandherde, das dafür sorgt, dass das altbekannte Szenario hier frisch und unverbraucht wirkt. Noch weitaus schöner ist aber vor allem, wie energisch und direkt all die Streitpunkte ausgetauscht werden: Das Skript von Gabriele Mucchino und Paolo Costella («Perfetti sconosciuti») spielt von Anfang an mit offenen Karten, zeigt die Familie aus sämtlichen Blickwinkeln und beobachtet, wie aus kleinen lodernden Feuerchen – eine unbedarfte Handlung hier, ein falscher Kommentar dort – ein riesiger Flächenbrand wird.
Das ohnehin nur am Rande beleuchtete Unwetter hätte es da als symbolischen Überbau gar nicht gebraucht; man kapiert letztlich auch so, dass sich all die aufgestauten Emotionen einmal entladen müssen, damit in der Familie wieder Ruhe und Frieden einkehren kann. Eben so, wie auch ein Sommergewitter dafür sorgt, dass die schwüle Luft wieder aufklart. Doch nicht für jeden hält «Zuhause ist es am schönsten» besagten Frieden bereit. Manche der im Film aufgedröselten Einzelgeschichten gehen gut, manche weniger gut aus. Aber viel spannender (und nicht zuletzt viel unterhaltsamer) als die Versöhnung ist hier ohnehin der Streit.
Zwar braucht es eine Weile, bis man sich als Zuschauer voll und ganz auf die verschiedenen Positionen der unzähligen Figuren einlassen kann: insgesamt elf Familienmitglieder lassen sich der Klassifizierung „Hauptrolle“ zuordnen, noch viele weitere Figuren finden in Gesprächen und kurzen Einzelszenen Erwähnung. Der Zuschauer lernt Charaktere vor allem anhand ihrer Probleme kennen. Und das kann im Anbetracht der zwar immer glaubhaften, aber auch sehr exzentrischen Figurenzeichnung durchaus anstrengend sein. Insbesondere die Eifersuchtsfehde zwischen Ginevra und Elettra mündet schließlich in pure Hysterie, wogegen kleinere Reibungspunkte wie der Umgang mit Alzheimer oder Versäumnisse des Vaterseins in ihrer Intimität ein wenig zu kurz kommen. Da ist es vor allem dem vor Lebensfreude nur so sprühenden und in seinem Spiel zum Großteil improvisierenden Cast zu verdanken, dass in «Zuhause ist es am schönsten» jede einzelne Figur in ihrem Anliegen ernst genommen wird – und sei dies noch so absurd.
Großartige technische Spielereien braucht es gar nicht; in «Zuhause ist es am schönsten» wirkt schon der Konflikt an sich. Daher hält sich Kameramann Shane Hurlbut, mit dem Gabriele Mucchino bereits für «Väter & Töchter» zusammenarbeitete, hier zurück und baut zu den Familienmitgliedern immer wieder eine extreme Nähe auf. Auch der Originalschauplatz Ischia, steht im Mittelpunkt. Die felsige Küste der italienischen Insel wirkt wie eine natürliche Grenze, die die miteinander hier gefangene Familie nicht überwinden kann (oder will).
Fazit
Entgegen des seichten Titels ist «Zuhause ist es am schönsten» ein herausragend gespielter und minimalistisch inszenierter Familienreigen, der innerhalb von noch nicht einmal zwei Stunden die ganz großen Dramen des zwischenmenschliches Beisammenseins abhandelt.
«Zuhause ist es am schönsten» ist ab dem 2. August in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.