Schwieriges Pflaster Daytime: Warum floppen derzeit fast alle Neustarts?

Mit «Endlich Feierabend!», dem täglichen «Genial daneben»-Quiz, «Die Superhändler» und «Freundinnen» haben alleine Sat.1 und RTL in den vergangenen Wochen viele bittere Pleiten hinnehmen müssen. Warum tun sich Sender und Zuschauer im Tagesprogramm so schwer mit neuen Programmfarben?

Quotenvergleich Vorher -> Nachher

  • RTL, 14h: 9,2% -> 8,6%
  • RTL, 17h: 9,3% -> 6,6%
  • Sat.1, 18h: 6,7% -> 5,8%
  • Sat.1, 19h: 5,2% -> 6,2%
Durchschnittliche Zielgruppen-Marktanteile in den letzten beiden Wochen vor dem Programmwechsel (Vorher) bzw. seit dem 27. August (Nachher).
Man muss fast sagen, dass sich die beiden größten Privatsender Deutschlands aktuell in einem Daytime-Teufelskreis befinden. Altes Problem: Bei RTL wie Sat.1 ziehen die altbekannten Scripted Realitys auf unterschiedlichen Sendeplätzen nicht mehr - bei ersterem Sender mittlerweile quasi den gesamten Nachmittag über, bei Letzterem am Vorabend. Lösungsversuch: Mit davon völlig divergenten Genres neues Publikum anlocken. Neues Problem: Die Quoten für alle vier Formate liegen bislang auf eher noch schwächerem Niveau als dem zuvor erreichten, das schon nicht beglückt hatte (siehe Infobox). Von einer Belohnung für frische Angebote kann also aktuell wahrlich keine Rede sein - doch den einstigen Erfolgsformaten beim schrittweisen Sterbeprozess zuzuschauen, ist zugleich auch eine reichlich destruktive Herangehensweise an dieses Problem. Was also tun? Und warum scheint es aktuell, als lehne das Publikum televisionäres Frischfleisch so kategorisch ab?

Eine Schwierigkeit, die alle genannten Slots eint, ist der Ausbruchsversuch aus einem jahrelangen Penetrationsversuch. RTL gab sich damit zufrieden, zwischen «Punkt 12» und «Unter uns» letztlich ein und dieselbe Programmfarbe mit immer wieder mal wechselnden Titeln darzubieten, Sat.1 kleisterte sogar zuletzt um die zehn Stunden seines Aufgebots mit Scripted Realitys zu - weil das gesendete Material der feuchte Traum eines jeden Ökonomen war und bei geringem finanziellen und organisatorischen Aufwand hohe Zuschauerzahlen mit sich brachte. Und zumindest beim Bällchensender geht dieses simple Sendekonzept ja über weite Strecken auch immer noch auf, nur ab 18 Uhr hatten die Zuschauer dann die Nase voll von der ewigen Scripted-Reality-Strecke. Die damit verbundene Gefahr, langfristig eher das Publikum, das gewisse qualitative Restansprüche an das Unterhaltungsangebot stellt, vom Sender zu entwöhnen, war so offensichtlich, dass sie auch den Programmverantwortlichen evident gewesen sein musste. Die Aussicht darauf, im Hier und Jetzt zu punkten, war allerdings wohl verlockender als der sorgenvolle Blick auf Morgen.


Das "Morgen" ist da, die Vision bleibt aus


Nun ist vor allem bei RTL aus dem Morgen ein Heute geworden, der Schlamassel ist also da. Und man begegnet ihm eher vorsichtig: Um 14 Uhr zeigt man mit «Die Superhändler» neuerdings eine Sendung, der man zwar ein wenig Unrecht tut, wenn man sie als simple «Bares für Rares»-Kopie abwertet, die aber genau diese Erstassoziation weckt. Und um 17 Uhr legt der Sender aktuell mit der ziemlich seicht daherkommenden täglichen Serie «Freundinnen» nach, bevor dann um 17:30 Uhr mit «Unter uns» ohnehin eine tägliche Soap läuft und nachdem mit «Meine Geschichte - Mein Leben» dann erstmal eben doch noch ein bisschen Scripted Reality im Programmablauf bleibt. Alles in allem vermittelt dieses Programmschema nicht den Eindruck, dass die Kölner radikal zu neuen inhaltlichen Ufern aufbrechen möchten, sondern hier ein paar Trödelfans, dort ein paar Soapfans und zwischendrin das altbekannte Publikum erschließen möchten. Direkt formuliert könnte man das mit einem Wort auf den Punkt bringen: Nett.

Sat.1 wiederum glaubte, mit «Genial daneben - Das Quiz» die eierlegende Wollmilchsau für seinen eigentlich nie wirklich auf Vordermann gebrachten, sondern auch mit der «Ruhrpottwache» eher irgendwie überlebten 19-Uhr-Slot ausfindig gemacht zu haben: «Genial daneben» war eine der wenigen Neuauflagen der jüngeren Vergangenheit, die funktionierten, mit Quiz läuft es seit einiger Zeit im Ersten wirklich gut und Hugo, Hella und Wigald sollten doch eigentlich ähnlich gut harmonieren wie Kai, Bernhard und Elton. Doch so ordentlich die Sendung auch gemacht ist, so sehr verharrt die Sendung seit inzwischen fast schon zwei Monaten in der Quoten-Tristesse. Zudem startete man mit «Endlich Feierabend!» mal wieder ein Vorabend-Magazin - Selbiges hatte man in den Jahren zuvor immer wieder mal versucht, war damit aber stets gescheitert. Und ganz ähnlich scheint es diesmal zu laufen.

Was all diese aktuellen Versuche eint, ist ihre mehr oder minder deutliche Anlehnung an bereits bestehende Angebote - man könnte auch sagen, dass RTL aktuell den größten Nachmittags-Hit der jüngeren Vergangenheit kopiert, während Sat.1 Selbiges mit dem größten Vorabend-Trend versucht. Man wünscht diesen Anläufen als TV-Liebhaber zwar, dass sie fruchten, weil sie allesamt inhaltlich angenehmer sind als die hölzern gespielten Scripted-Geschichten, die sie ersetzen, aber das große Feuer entfachen sie ebenso wenig wie die neueste Daily-Soap oder die neueste «Frühstücksfernsehen»-Zweitverwertung. Warum also nicht mal etwas radikaler Neues, wie es die ARD mit dem Live-«Quizduell» oder das ZDF mit der Daytime-Trödelshow «Bares für Rares» einst ausprobierte?


Das Privatfernsehen ist ängstlich geworden, das Mut einfordernde Publikum nicht mehr da


Einmal sicherlich, weil die großen Privatsender längst nicht mehr den anarchisch-mutigen Gegenpol zum bürokratischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen vergangener Zeiten darstellen und insbesondere in der Daytime wahrgenommen haben, dass sie mit Monokulturen am besten und aufwandärmsten fahren: Sat.1 zeigt eine Scripted Reality nach der Anderen, ProSieben stopft sein Tagesprogramm mit US-Sitcoms voll, kabel eins zeigt Crime-Serien noch und nöcher, VOX schielt mit harmlosen Dokusoaps auf die Bedürfnisse des weiblichen Publikums im jüngeren und mittleren Alter - die größte Genre-Vielfalt bieten derzeit in der Daytime wohl tatsächlich ARD und ZDF an. Darüber hinaus dürften aber auch negative Vorerfahrungen eine Rolle dabei spielen, das Tagesprogramm eher mit Samthandschuhen anzufassen: Sat.1 investierte vor Jahren mal kurzzeitig massiv in das Reality-Projekt «Newtopia», ging damit aber nach gutem Start relativ böse unter, RTL II versuchte vor gar nicht allzu langer Zeit, mit Detlef Soost die Talkshow wiederzubeleben und auch die große Schwester bemühte sich vor etwas längerer Zeit mit einem ähnlichen Format - die Publikumsresonanz tat jeweils richtig weh. Und auch die aktuell vielleicht ambitionierteste Vorabend-Sendung «First Dates» auf VOX bleibt auch nach Monaten eine ziemlich graue Maus, allem senderzeitigen Durchhaltevermögen zum Trotz.

Letztlich ist es also eine Mixtur aus latenter Hasenfüßigkeit der großen Privatsender, nach Jahren der Untätigkeit in der Daytime wirklich mal nach vorne zu preschen und einem Zuschauerverhalten, das nicht gerade auf eine spontane Offenheit für neue Inhalte schließen lässt, das die Tagesprogramme der großen Privatsender seit Jahren beinahe schon gleichgeschaltet wirken lässt. Man könnte auch von einer schrittweisen Entfremdung zwischen Sendestation und Rezipienten sprechen: Erstere verschreckten große Teile des Publikums mit dauerhaft lustlosem Versenden des Immergleichen so nachhaltig, dass es sich entweder der tristen Einöde hingab oder komplett neue Konsumgewohnheiten entwickelte - fernab von RTL, Sat.1 und Co. mindestens, wenn nicht gleich fernab des linearen Fernsehens. Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, scheint es immer mehr, als müssten die Sender ihren eigenen Trott in einem Ausmaß verlassen, das unrealistisch ist - weshalb bislang stets zum Notnagel Rückkehr zur kompletten inhaltlichen Gleichschaltung nach Frustationserfahrungen mit homöopathischen Ambitionsdosen gegriffen wurde. Ein wahrer Teufelskreis eben, in den man sich aber selbst hineinmanövriert hat.
07.09.2018 12:00 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/103629