Eine große Eurovisions-Show mit Pilawa, Jauch, Gottschalk und zwei bekannten Quizmastern aus Österreich und der Schweiz - Das Erste wagte am Samstagabend einen großen Show-Aufschlag. Zu sehen bekam der Zuschauer eine launige Sendung, die letztlich aber stark in der gewohnten Genre-Konvention verharrte und damit auch Potenzial verschenkte.
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Vor genau 65 Jahren ging im deutschen Fernsehen die erste Quizshow über den Bildschirm, präsentiert damals vom unvergessenen Hans-Joachim Kulenkampff. 65 Jahre später wünsche ich mir für meine neue Samstagabendshow, dass wieder ein Hauch von «Einer wird gewinnen» auf den Samstagabend zurückkehrt. Ich wünsche mir, dass «Ich weiß alles!» die Tradition der guten alten Familienshow wieder aufnimmt, in einem modernen Gewand natürlich, aber mit echtem Wissen, mit viel Spaß, und mit Kandidatinnen und Kandidaten, die uns verblüffen.
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Jörg Pilawa über seine neue Samstagabend-Show.
Es ist eine echte Seltenheit geworden, dass Deutschland, Österreich und die Schweiz eine gemeinsame Samstagabend-Show auf die Beine stellen - nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil die Idee vom generationsübergreifenden Lagerfeuer-Fernsehen ein wenig in die Jahre gekommen ist und spätestens seit dem Ende von «Wetten, dass..?» als Relikt vergangener Zeiten gilt. Für den Fan dieses Mediums, der bei ritualisierten "ich guck ja eigentlich gar kein TV mehr, hab ja Netflix"-Kommentaren mit den Augen rollt, ist also schon die Ambition, eine Sendung wie
«Ich weiß alles!» auf die Beine gestellt zu haben, einigermaßen frenetisch zu bejubeln. Dass es sich dabei um eine Quizshow handelt, überrascht hingegen weniger, denn die Ratefüchse des Landes können sich aktuell sicherlich nicht über einen Mangel an TV-Angeboten beklagen - und die Einschaltquoten stimmen in vielen Fällen ebenfalls. Wie lange die Suche nach der richtigen Antwort das Geschehen auf der Mattscheibe schon prägen, zeigte die ARD anlässlich des Neustarts in dieser Woche fünfmal in kurzen «65 Jahre Quiz»-Quickies am Vorabend.
Man mag es dem öffentlich-rechtlichen Sender also gerne abnehmen, dass er auf das, was er da zur besten Sendezeit über drei Stunden hinweg ausstrahlte, selbst große Stücke gab: Eurovisions-Konzept, ein kleines, feines Vorabend-Format, das die Vorfreude auf den Abend wecken sollte und eine beachtliche Liste an prominenten Namen: Neben Moderator Jörg Pilawa nahmen auch Günther Jauch und dessen österreichisches «Millionenshow»-Pendant Armin Assinger teil, aus der Schweiz konnte die von «Einer gegen 100» bekannte Susanne Kunz gewonnen werden - und dann gesellen sich noch Thomas Gottschalk, Ben Becker, Lothar Matthäus und Til Schweiger dazu. Fast schon verschwenderisch ging man mit bekannten Gesichtern um, denn die eigentlichen Stars dieser Sendung sollen Kandidaten darstellen, die sich dazu in der Lage sehen, diese großen Namen zu besiegen. Klingt ein wenig verworren, ist es konzeptionell durchaus auch - doch hat man die Showidee erst einmal komplett durchschaut, wirkt sie gewöhnlicher als zunächst gedacht. Und das könnte «Ich weiß alles!» zumindest mittelfristig auch Probleme bereiten.
Start mit einem «Quiz-Champion»-Quasi-Plagiat
Wie ARD, ORF und SRF respektive Günther Jauchs Produktionsfirma i&u TV dieses Star-Aufgebot sinnvoll mit dem Grundgedanken vereinen möchte, sich für besonders schlau haltenden Menschen eine Chance zu geben, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen: Man teilt die Promis in zwei Lager ein und lässt sie gar nicht immer spielen. So treten die Kandidaten zunächst in einer ersten Runde gegen einen der vier Nicht-Quizmaster (also Gottschalk, Becker, Matthäus und Schweiger) an, die jeweils als Experten für eine bestimmte Kategorie tituliert werden. Gewinnt der Kandidat dieses 1:1-Duell, kommt er in die zweite Runde, wo er gegen das zumindest offiziellen Angaben zufolge 1.000 Menschen umfassende Studio-Publikum, also die "Weisheit der Vielen", antritt. Ist er auch hier überlegen, kommt es zur finalen Herausforderung, wo der Teilnehmer alleine das Quizmaster-Trio (Jauch, Assinger und Kunz) herausfordert, das sich bei jeder Frage beraten darf. Schafft es ein Teilnehmer, alle Runden zu überstehen, zieht er ins große Finale ein und kann sich bestenfalls über 100.000 Euro Preisgeld freuen.
Jede dieser Runden hat so ihr Potenzial und ihre Tücken. Das 1:1-Duell gegen einen vermeintlichen Kategorie-Experten bringt die Problematik mit sich, dass sich manche Promis weitaus besser schlagen als ihre Kollegen: Gottschalk etwa offenbart sich rasch als wirklicher Fan der Beatles, obgleich man im Vorfeld hätte denken können, dass ihm diese Kategorie nur angedichtet wurde, um ihn für das Format zu gewinnen. Loddar hingegen wirft seinen Kritikern und Hatern ein Leckerli nach dem anderen hin, indem er mehrfach unter Beweis stellt, dass er über Fußball-Weltmeisterschaften nicht wirklich mehr (zum Teil auch nutzloses) Wissen verfügt als der typische Sofaheld daheim und seine ersten beiden Spiele gleich mal verliert - nach zwei Siegen seiner Kollegen Gottschalk und Schweiger.
Spoiler wider Willen durch SRF-Ausstrahlung
Im Schweizer Fernsehen begann die Sendung schon um 20:10 Uhr, womit das Publikum dort den Deutschen und Österreichern anfangs einige Minuten voraus war - und hintenraus ein wenig den anderen beiden deutschsprachigen Sendern hinterherhinkte, da die Ausstrahlung werbebedingt erst gegen 23:20 Uhr statt 23:15 Uhr endete. Für die Social-Media-Kanäle eine Herausforderung, da gegenseitiges Spoilern auf Twitter und Co. kaum zu verhindern war.Na, rattert es bei Ihnen im Kopf, weil Sie den Eindruck haben, ziemlich genau dieses Konzept bereits zu kennen? Sie sind schon auf der richtigen Fährte, denn in der Tat ist die Idee dieser Runde fast 1:1 beim «Quiz-Champion» abgeschaut: Normalo gegen Promi-Experten in verschiedenen Kategorien, wobei die Bandbreite auf dem Expertenstuhl von Angstgegnern wie Guido Knopp über "Kann klappen"-Leuten wie Bully bis hin zu Freilosen wie Boris Becker reicht - nur dass man hier eben Glück oder Pech bei der Auslese des Gegners hat. Auch der Umstand, dass grundsätzlich drei Fragen mit drei Antwortmöglichkeiten gestellt werden und der Erstantwortende den Gegner mit sieben Sekunden Restlaufzeit unter Druck setzen kann, ist im Hinblick auf die Eigenständigkeit dieser Sendung kritisch zu beurteilen. Viel zu frappierend sind die Parallelen zu der seit Jahren erfolgreichen ZDF-Show, die Pilawa übrigens sogar selbst schon moderiert hat. Natürlich hat dieses Konzept aber auch seinen Reiz, der insbesondere im Aufeinandertreffen von Promi-"Fachidiot" und einem vermeintlichen Universalgelehrten liegt. Nicht umsonst funktioniert das ZDF-Format bereits seit Jahren sehr gut.
Auch die weiteren Runden wecken viele Erinnerungen an Bekanntes
In Runde zwei trifft der Kandidat dann eben auf die auf 1.000 taxierten Zuschauer im Studio - eine Zahl, die zumindest für den Fernsehzuschauer sehr hochgegriffen wirkt, da es nicht so ausschaut, als sitzen dort mehr als ein paar hundert Menschen auf den Rängen. Vor allem schade ist aber die Tatsache, dass die Show in dieser Runde das exakt gleiche Vorgehen anbietet wie im Experten-Duell: Drei Fragen mit drei Antwortoptionen, wobei die Wertigkeit einer richtigen Antwort steigt (zunächst ein, dann zwei und schließlich drei Punkte). Zwei der drei Quizmaster dürften zudem ein Déjà-vu gehabt haben, denn schon Jauch versuchte sich vor Jahren einmal ziemlich erfolglos an dem Konzept Alleswisser gegen Schwarmintelligenz («Die Weisheit der Vielen»), während Kunz' größter Quizshow-Erfolg ähnlich konzipiert ist - und eigentlich folgt ja sogar Pilawas «Quizduell» einer solchen Grundidee. Charmant ist aber das kleine Kandidaten-Goodie, nicht einfach gegen die Publikumsmehrheit anzutreten, sondern Gedankenspiele anzustellen, ob eine Frage nun jüngeren (unter 50 Jahre) oder älteren (über 50 Jahre) Frauen bzw. jüngeren oder älteren Männern am wenigsten liegt. In diese vier Gruppen wird das Studio-Publikum nämlich eingeteilt und der Kandidat tritt nur gegen die Mehrheit der eigens selektierten Gruppe an. Schöne kleine Idee, die ein taktisches Element in die Sendung bringt.
Der finale Kraftakt, gegen Jauch, Assinger und Kunz bestehen zu müssen, hat natürlich schon rein nominell seinen Reiz: Drei Menschen in einem Team vereint, die seit Jahren einen großen Teil ihres Lebensunterhaltes damit verdienen, Quizfragen zu stellen - das klingt schon herausfordernd, wenngleich es sich als weniger unüberwindbare Hürde herausstellt als es etwa ein Team bestehend aus den Quiz-Giganten Holger Waldenberger (der übrigens im Publikum saß), Sebastian Jacoby und Sebastian Klussmann gewesen wäre. Ein wenig ernüchternd für den sicherlich gar nicht mal so kleinen Teil des deutschen Publikums, der eher wegen Jauch als Pilawa eingeschaltet hat: Jauch und seine Kollegen sind nur relativ selten im Einsatz, weil viele Kandidaten gar nicht erst bis zu ihrer Runde kommen. Zudem schleppt sich diese Runde ein wenig hin, da den Quizmastern nicht nur viel Beratungszeit eingeräumt wird, sondern der Kandidat nach jeder Frage erst einmal wieder Brille und Kopfhörer aufsetzen muss. Hier wäre es wohl dem Drive der Sendung dienlicher gewesen, wenn der Kandidat seine Antwort einloggt, bevor es Jauch und Co. tun. Und klar, Kandidat gegen hochstilisierte(n) Quiz-Giganten gab es natürlich auch schon einige Male im deutschen Fernsehen, in formvollendeter Härte aktuell etwa bei «Gefragt - Gejagt».
Wie hat euch der Auftakt von «Ich weiß alles!» gefallen?
Kein Griff ins Klo, aber auch keiner nach den Show-Sternen
Das alles ist nun nicht der große kreative Wurf, den man sich von einer solch großen Show erhofft hatte - einfach schon deshalb, weil ihr ein derart immenses Vertrauen und derart viele Ressourcen zuteilwurde, wie es im Fernsehdeutschland 2018 kaum noch einem Showprojekt vergönnt ist. Man könnte eher von einem großen Potpourri an bekannten Gesichtern und Konzepten sprechen, die alle mal sehr gut funktioniert haben oder noch heute funktionieren und nun ein wenig auf gut Glück und mit den allerbesten Hoffnungen zusammengepanscht werden, dass das neue Produkt munden mag. Tut es das denn auch? Jein. Die bestehenden Konzepte sind erprobt und funktionieren, die fernseherfahrenen Stars unterhalten, wie man es zurecht von ihnen erwartet, eine gewisse Dramaturgie ist erkennbar und man ist als Zuschauer durchaus daran interessiert, dem Schicksal des Kandidaten zu folgen. Kurzum: «Ich weiß alles!» ist weit davon entfernt, nach dieser ersten Folge schon ein ähnlich alternativloser Fall für den televisionären Giftschrank darzustellen wie die beiden letzten Shows, die der Reviewer zuletzt beweinen musste («Time Battle» und «Fort Boyard»).
Gleichwohl hätte die Sendung aber eben auch die Chance sein können, einen großen Fingerzeig in Richtung derjenigen Menschen zu leisten, die das Fernsehen für tot, Quizshows für die immer gleiche Raterei und das öffentlich-rechtliche Fernsehen für innovationsarm halten. Welche Show hätte diese Chance sonst gehabt, wenn nicht eine, die am selben Abend in drei Staaten läuft, etliche große Namen vorzuweisen hat und so eifrig beworben wurde, dass die Auftaktfolge ohnehin ein Quoten-Selbstläufer werden dürfte? Diese Möglichkeit haben Pilawa, Jauch und Co. einmal mehr ausgelassen und sich stattdessen für die konservative Reproduktion des Bestehenden entschieden. Das ist okay, es tut ganz sicher niemandem weh, ja unterhält sogar ganz ordentlich. Aber es reicht nicht, um die Menschen für das Fernsehen zurückzugewinnen, die dort schon lange keine inspirierende Unterhaltung mit "Talk of the Town"-Potenzial mehr erwarten. Insofern: Ja, kann man so machen, hätte man aber auch noch viel spannender, dynamischer und inspirierender machen können. Und gerne künftig dann auch live.
Das Erste, ORF und SRF zeigen eine weitere Folge von «Ich weiß alles!» am 6. Oktober, eine dritte Folge ist für 2018 ebenfalls eingeplant.