Die Anschläge vom 11. September 2001 und ihre politischen Folgen sind Untersuchungsfeld zahlreicher US-Filme und -Serien geworden. Deutsche finden sie oft paranoid. Das ist ein Missverständnis.
Mit einer Mischung aus Unkenntnis und Anmaßung verweisen Deutsche gerne auf den 11. September als Geburtsstunde einer übertriebenen amerikanischen Paranoia. Dabei verkennen sie, dass dieser gerne mit dem Vokabular der Psychiatrie beschriebene vermeintliche Verfolgungswahn seine Wurzel eben nicht im Irrationalen, sondern in einem tatsächlichen, die Nation unweigerlich prägenden Ereignis hat. Amerika hatte seit 1814 keinen Angriff einer fremden Macht auf dem eigenen Kerngebiet erleben müssen; und wie der Erste Weltkrieg die Dämonen des zwanzigsten Jahrhunderts von der Kette ließ, scheint zumindest nach heutigem Kenntnisstand auch der 11. September ein ominöser Vorbote für die Konflikte und die Abgründe des neuen Jahrhunderts gewesen zu sein.
Ähnlich wird vornehmlich von deutschen Rezipienten auch einschlägigen Formaten der amerikanischen Fiction – im Film- wie im Seriensegment – eine egozentrische Paranoia vorgeworfen. Doch diese vermeintliche Paranoia ist im Gegenteil: Aufarbeitung, von Amerikas (neuer?) Rolle in der Welt und seinem Selbstbild als freie, offene Gesellschaft im Spiegelbild einer nicht zu verleugnenden terroristischen Bedrohung, für deren Existenz die überwältigenden Anschläge vom 11. September 2001 der unumstößliche Beweis sind.
Als besonders paranoid gilt deutschen Kritikern die Showtime-Serie «Homeland», deren – tatsächlich pathologisch – getriebene Hauptdarstellerin ihr Ur-Trauma, als hochrangige Beamtin im amerikanischen Sicherheitsapparat den 11. September 2001 nicht vorhergesehen und somit nicht verhindert zu haben, dadurch zu überwinden versucht, dass sie nun besondere Vorsicht walten lässt.
Besonders die 2011 ausgestrahlte erste Staffel begab sich als außerordentlich dicht erzählter Thriller mit Elan in den Zwiespalt, ob Carrie Mathisons besondere Vorsicht nicht völlig übertrieben ist, ob sie nicht doch nur Gespenster sieht und Phantome jagt, die tatsächliche Bedrohung weit ins Irrationale übersteigert und dabei nur den Kräften Vorschub leistet, die die dezidiert offene Gesellschaft Amerikas aufkündigen und Muslime in Sippenhaft weitgehend aus ihr ausschließen wollen. «Homeland» beantwortete diese Frage gekonnt und folgerichtig mit einem klaren: Nein. Carrie Mathison sieht keine Geister, die mitunter absurd anmutende Gefahr ist real, das amerikanische Heimatland alles andere als sicher vor einer weiteren Katastrophe.
Das Terror-Epos «24», das im Jahr der Anschläge auf Sendung ging (viel zu spät, um im Lichte der aktuellen Ereignisse noch eine Kurskorrektur zu vollziehen), begab sich in seiner zweiten Staffel ebenfalls auf das Untersuchungsfeld des islamistischen Terrorimus‘, wenn auch verklausulierter, allegorischer und mit einer weniger eklatant intellektuellen und politischen Ambition als «Homeland». Ungeachtet dessen trug auch sie mit ihrer Fiktionalisierung des (mutmaßlich) Tatsächlichen zu jenem Diskurs bei, im Rahmen dessen die amerikanische Fiction die deutlich veränderte Sicherheitslage Amerikas aufgriff und thematisierte.
Heute, mehr als ein Jahrzehnt später, ist das permanente militärische Engagement der USA im Nahen und Mittleren Osten eine Grundtatsache geworden, die sich auch im Output der amerikanischen Fiction niederschlägt. Waren «Homeland» und «24» zumindest in ihren frühen Staffeln noch deutliche Reaktionen und Verarbeitungen der Anschläge vom 11. September und ihrer unmittelbaren Folgen, starteten im letzten Jahr mit «SEAL Team», «Valor» und «The Brave» drei Militärserien im amerikanischen Network-Fernsehen, die ihren Fokus auf die permanent gewordene Rolle der US-Streitkräfte in der arabischen Welt richten und nicht mehr vordergründig eine Verhinderung und Abwendung von Terroranschlägen auf amerikanischem Boden erzählen, sondern, auch wenn das zynisch klingen mag, ein dauerhaftes Management der terroristischen Bedrohung, ohne dass ein Ende, geschweige denn eine Rückkehr zum Status quo ante in Sicht wäre.
Innerhalb der letzten eineinhalb Jahrzehnte haben nur zwei der großen amerikanischen Spielfilme zum Thema Terror eine ähnliche Ambition wie jene kürzlich gestarteten Network-Serien verfolgt, wenn auch künstlerisch wie intellektuell auf deutlich höherem Niveau: Einer von ihnen war Kathryn Bigelows «The Hurt Locker», der 2010 unter anderem die Oscars für den Besten Film, das Beste Drehbuch und die Beste Regie gewann. In einer bedrückenden Ästhetik und schier schonungslosen Alltäglichkeit von Brutalität schildert der Film in scheinbar loser Folge Ereignisse im Leben eines amerikanischen Soldaten im Irakkrieg, und erweitert diese Erzählung gleichsam um seine gesellschaftliche Isolation bei seinen Heimataufenthalten zwischen den Einsätzen. Eine ähnliche Ambition verfolgte Clint Eastwoods «American Sniper» wenige Jahre später.
Eine Katharsis hätte dagegen Kathryn Bigelows «Zero Dark Thirty» werden können, der die schließlich erfolgreiche Jagd auf Osama bin Laden nachzeichnete und – anders als Bigelow dies primär von kontinentaleuropäischen Rezipienten vorgeworfen wird – gegenüber den amerikanischen Maßnahmen und Methoden dabei nicht unkritisch auftrat. Doch die Tötung des Drahtziehers kann nach einem solchen einschneidenden Ereignis wie dem 11. September kein Ende bedeuten, nachdem es das Selbstverständnis des angegriffenen Landes so getroffen und dessen politisches Engagement umfangreich verändert hat.
Will man die populäre Fiktion einer Gesellschaft als Spiegelbild ihrer Spannungen, Diskussionen, Haltungen und politischen Strömungen auffassen, ist die Bilanz erschreckend: Aus dem Krieg gegen den Terror, mit einer klaren Mission und einem klaren Auftakt, ist eine endlose Zermürbung geworden, ohne langfristige Strategie oder Vision, sondern ein bloßes Management des aktuellen Elends, von einem Tag zum anderen, und – um in dieser übertriebenen und anmaßenden Allegorie zu bleiben – von einer Staffel zur nächsten. Literaturempfehlung am Rande: David Halberstam, „The Best and the Brightest“.