Thoma und seine Kritik am Fernsehen
Die wichtigsten Aussagen des Interviews können Sie auch
hier noch einmal nachlesen.
Mitte der vergangenen Woche sorgte Helmut Thoma für reichlich Aufsehen: Der Medienmanager, der RTL in den 1980er Jahren groß gemacht hat, schoss
in einem Interview mit dem österreichischen Mediendienst Horizont gegen die öffentlich-rechtlichen wie auch gegen die privaten Fernsehsender in Deutschland. Zugleich äußerte er sich auch kritisch zur zukünftigen Entwicklung von Streaming-Anbietern.
Nun ist es alles andere als neu, dass Thoma gerne unangenehme Wahrheiten ausspricht. Auch in seinem jüngsten Interview hat der inzwischen 79-Jährige mit Sicherheit richtige Punkte benannt. Mit einigen seiner Aussagen scheint Thoma allerdings übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Quotenmeter.de hat sich fünf diskussionswürdige Zitate aus dem
Horizont-Interview mit Helmut Thoma herausgesucht - und geprüft, wie stichhaltig diese sind.
Thomas These Nr.1: „RTL lebt, wenn man es genau nimmt, von der sogenannten Prime Access Time. Da sind sie stark, aber das ist lauter altes Programm: «Explosiv», «Exclusiv», «GZSZ» (…). Mit dem Erfolg dieser Formate werden auch andere neue Formate in die Höhe getrieben.“
Recht hat Helmut Thoma vor allem mit einem: Dass die Sendungen, die RTL am Vorabend zeigt, alles andere als neu sind. «Explosiv» und «GZSZ» gingen bereits im Jahr 1992 auf Sendung, «Exclusiv» folgte zwei Jahre später. Die RTL-Nachrichten gibt es sogar seit Ende der 1980er Jahre. Ziemlich frisch wirkt dagegen «Alles was zählt», die Soap ist erst seit 2006 im Programm des Kölner Privatsenders.
Während «RTL aktuell» und «GZSZ» für überragende Quoten stehen, fahren die Magazine und «Alles was zählt» zumeist solide bis gute Marktanteile ein. Für den Tagesmarktanteil eines Senders ist ein funktionierender Vorabend zwar wichtig, wirklich entscheidend ist aber die Primetime. Dass RTL von der von Thoma benannten „Prime Access Time“ lebt, ist also nicht vollkommen richtig.
Noch zweifelhafter ist allerdings Thomas Behauptung, nach der der Erfolg des Vorabends auch andere RTL-Formate in die Höhe treibe. Hier scheint fast das Gegenteil der Fall zu sein. Während der Vorabend seit Jahren eine überraschend hohe Konstanz beweist und «GZSZ» derzeit sogar erfolgreicher unterwegs ist als noch vor einigen, schwächeln viele Primetime-Formate bei RTL. Der stärkste Tag der Kölner in der Primetime ist traditionell der Samstag mit seinen Castingshows, die es aus eigener Kraft auf tolle Quoten bringen. «Life» läuft vorab sehr viel schwächer.
Thomas These Nr.2 „Im privaten Fernsehen teilen sich zwei große Gruppen den gesamten Kuchen auf, ProSiebenSat.1 und RTL haben 86 Prozent Marktanteil im Privatfernsehen.“
Diese Behauptung zu prüfen, gestaltet sich schon sehr viel komplizierter. Wenn von 86 Prozent Marktanteil die Rede ist, stellt sich zunächst einmal die Frage, von welcher Altersgruppe Thoma (Bild) überhaupt ausgeht. Wenn wir das Gesamtpublikum ab drei Jahren betrachten, dann erreichten Das Erste und ZDF im August einen Marktanteil von 24,1 Prozent. Weitere 3,4 Prozent entfielen auf ZDFneo, die Dritten Programme liegen bei gut zwölf Prozent. arte, 3sat und ZDFinfo erreichten zuletzt jeweils mehr als ein Prozent.
Dem gesamten Privatfernsehen bleiben somit knapp 60 Prozent des Marktes - doch sind ProSiebenSat.1 und RTL hier wirklich derart dominant wie Thoma behauptet? Bei 14,9 Prozent Marktanteil lagen alle ProSiebenSat.1-Sender im August, während die Kanäle der Mediengruppe RTL auf 19,3 Prozent gelangten. Auf den gesamten Fernsehmarkt bezogen beanspruchen die beiden großen Sendergruppen „nur“ rund ein Drittel für sich. Betrachtet man dagegen den privaten Fernsehmarkt - wie auch Thoma es macht - kommen RTL und ProSiebenSat.1 unseren Berechnungen zufolge auf rund 60 Prozent. Das ist zweifellos eine stattliche Zahl, die aber deutlich unter Thomas 86 Prozent liegt.
Allerdings sieht die ganze Rechnung schon etwas anders aus, wenn man nur auf die 14- bis 49-Jährigen schaut. Hier sicherten sich ProSiebenSat.1 und RTL zuletzt knapp 60 Prozent Marktanteil - wohlgemerkt auf den gesamten Markt bezogen. Beschränkt man sich nun lediglich auf den privaten Markt beim jungen Publikum, dürfte man Thomas 86 Prozent zumindest schon sehr viel näher kommen. Ob die Zahl exakt so stimmt, können wir aufgrund fehlender Daten nicht zweifelsfrei überprüfen.
Thomas These Nr. 3: „Wenn wir es genau betrachten, ist es in Deutschland heute so, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten praktisch eine Art Altenheimversorgung darstellen; bei den Jungen, 14- bis 29-Jährigen, sind sie marginalisiert.“
Tatsächlich spricht der Medienmanager hier etwas Wahres aus. Ein Blick auf den laufenden Monat September offenbart, dass Das Erste und das ZDF ein riesiges Problem bei den 14- bis 29-Jährigen haben. Aktuell liegt Das Erste bei gerade einmal 3,8 Prozent Marktanteil, das ZDF kommt auf kaum bessere vier Prozent. Zum Vergleich: RTL II liegt in der ganz jungen Altersgruppe bei 8,4 Prozent - und erreicht folglich mehr als Das Erste und das ZDF zusammen.
Etwas besser sieht es für die öffentlich-rechtlichen Kanäle übrigens bei den 30- bis 49-Jährigen aus, hier sind es immerhin 6,3 Prozent für Das Erste bzw. 6,4 Prozent fürs ZDF, die im September bislang zu Buche standen. Bei den ganz jungen Zuschauern können ARD und ZDF fast nur noch punkten, wenn eine Sportübertragung ansteht. Wenige Marken wie die 20 Uhr-Ausgabe der «Tagesschau,» die in allen Altersgruppen bis hin zu den ganz jungen Menschen sehr gefragt ist, stellen eine Ausnahme dar.
Thomas These Nr. 4: „ProSieben wiederholt bis zu 200-mal eine Folge von «Big Bang Theory», sonst ist kaum etwas vorhanden“
«The Big Bang Theory» und ProSieben - dieses Bündnis scheint auch nach Jahren noch bestens zu funktionieren. Ob in der Nacht, tagsüber oder zur besten Sendezeit: Die Serie scheint bei der roten Sieben omnipräsent zu sein. Doch wiederholt ProSieben eine Folge wirklich bis zu 200-mal wie Thoma behauptet? Die Kollegen von
DWDL.de haben
im vergangenen Jahr einmal nachgerechnet - und bescheinigten «The Big Bang Theory» bei ProSieben tatsächlich einen zweifelhaften Rekord. Auf jede frische Folge, die ProSieben im vergangenen Jahr gezeigt hat, kamen mehr als 100 Wiederholungen. Folglich habe ProSieben 2017 mehr als 2.500 Mal «The Big Bang Theory» gezeigt. Wie Thoma genau auf die Zahl 200 kommt, ist damit nicht vollkommen geklärt - im Grundsatz hat er mit seiner Aussage aber nicht Unrecht.
Dass sonst "kaum etwas vorhanden" sei, ist seitens Thoma relativ unpräzise formuliert. Fakt ist, dass auch ProSieben in der jüngeren Vergangenheit nicht von deutlichen Quoteneinbußen verschont geblieben ist, die auch einem in Teilen innovationslosen Programm geschuldet sind. Immerhin hat der Sender in Aussicht gestellt, in der kommenden Saison deutlich mehr in Eigenproduktionen investieren zu wollen als zuletzt. Vor allem am Dienstag und am Samstag darf sich das Publikum auf mehr frische Ware freuen.
Thomas These Nr. 5: „Netflix ist ein Phänomen, aber ich weiß nicht, ob es sich auf Dauer hält.“
Natürlich ist diese Aussage weder richtig noch falsch. Wie sich der TV- und Streamingmarkt entwickelt, kann niemand vollkommen absehen. Es gibt allerdings einige Indizien, die dafür sprechen, dass Thoma die Bedeutung von Netflix und Co unterschätzt. Fakt ist, dass sich das Fernsehen bis heute über sehr hohe Reichweiten freuen darf, weil viele Ältere weiterhin fleißig einschalten. Zahlreiche Menschen unter 30 (die verglichen mit den Best Agern und Rentner eine Minderheit in der Bevölkerung abbilden), fühlen sich aber bei Netflix, Amazon und YouTube zu Hause. Dem klassischen Fernsehen haben sie teilweise den Rücken zugekehrt. Die Branche hat längst erkannt, dass Handlungsbedarf besteht.
„Wir brauchen eine gemeinsame digitale Plattform der Privaten über alle Konzerngrenzen hinweg“, sagte etwa UFA-Geschäftsführer Nico Hofmann auf den Screenforce Days im Juni. „Der erneute Paradigmenwechsel, in dem sich die Fernsehlandschaft befindet, wird nicht aufzuhalten sein, und er ist unumkehrbar. Die Zuschauer werden in Zukunft immer mehr Wert darauf legen, zu gucken was und vor allem, wann sie es wollen.“ Mit seiner Analyse steht Hoffmann nicht alleine da: Sowohl die Mediengruppe RTL als auch ProSiebenSat.1 haben bereits in Aussicht gestellt, verstärkt in ihre Mediatheken investieren zu wollen. Vor diesem Hintergrund ist es zumindest fraglich, ob es sich bei den klassischen Sendern und Netflix, Amazon und Co tatsächlich um "zwei verschiedene Welten" handelt, wie Thoma befindet.