«Anne Holt - Der Mörder in uns»: «Homeland» als Mitfühlkrimi...

Bei einem Staatsbesuch in Schweden verschwindet die US-Präsidentin spurlos. Die leitende Kommissarin muss bei den Ermittlungen mit ihrem Vergewaltiger zusammenarbeiten. Klingt spannend. Aber...

Vor vier Jahren wurde die schwedische Polizistin Johanne Vik (Melinda Kinnaman) bei einem Lehrgang in den USA von ihrem Mentor John Davis (Josh Lenn) vergewaltigt. Davis‘ Frau konnte erfolgreich juristische Konsequenzen verhindern, hat ihnen Mann danach aber zügig verlassen. Auch ohne Knast stand er nach seinem Verbrechen vor den Trümmern seiner Existenz.

Heute erwartet Johanne von einem Kollegen ein Kind. Und auch im Dienst geht es hoch her. Die amerikanische Präsidentin Helen Tyler (Kim Cattrall) ist auf Staatsbesuch in Schweden. Bei der Polizei herrscht verständlicherweise Ausnahmezustand; nicht zuletzt wegen der überheblichen Kollegen vom FBI, die die Souveränität des Königreichs meist nicht sonderlich ernst nehmen.

Die Sicherheitslage scheint derweil angespannter, als man es den skandinavischen Kollegen kommuniziert hatte. Der für den Schutz der Präsidentin zuständige FBI-Beamte – ausgerechnet John Davis, der geschworen hatte, seinem Opfer Johanne Vik nie wieder zu begegnen – spricht intern immer von einem mysteriösen Troy. In letzter Minute hat man sich ferner entschieden, die Präsidentin nicht am öffentlich kommunizierten Ort, dem Grand Hotel im Zentrum, unterzubringen, sondern auf einer Insel im Stadtgebiet.

Weil der Secret Service sich in dieser Serie selten dämlich anstellt und Präsidentin Tyler nicht nur eine ominös anerzählte persönliche Verbindung nach Schweden hat, sondern auch ein bisschen dumm ist, verschwindet sie eines Nachts ohne einen Mucks aus ihrer streng geheim gehaltenen Residenz. Spezialistin Johanne Vik wird sofort zum Tatort beordert – und muss nun gemeinsam mit ihrem Vergewaltiger ermitteln.

Man stelle sich einmal vor, wie dieses Format aussähe, ersetzte man den Namen Johanne Vik durch Carrie Mathison. Man wüsste, es würde ein enorm dichter Thriller folgen, gepaart mit einer starken zweiten Ebene, auf der nicht nur Wohl und Wehe amerikanischer wie kontinentaleuropäischer Sicherheitspolitik reflektiert würde, sondern auch der enorme psychische Ausnahmezustand, der der emotional fordernden Konstellation „Ich und mein Vergewaltiger“ innewohnt.

Diese Vorstellung ist elektrisierend. Doch man muss sie verwerfen, auch wenn der berufliche Hintergrund der sogar im Titel geführten Autorin – sie hat in ihrer norwegischen Heimat immerhin einmal das Amt der Justizministerin bekleidet – anderes vermuten ließe. Denn «Der Mörder in uns» ist weder ein atemberaubender Thriller noch das dichte Psychogramm einer emotionalen Ausnahmesituation. Stattdessen wird aus dem vielversprechenden Stoff und der vor dramatischem Potential strotzenden Prämisse ein Wabern durch allerhand Was-haben-wir-bis-jetzts, abgestandene Krimi-Allgemeinplätze und hanebüchene Plot-Holes. Fast wäre man versucht, anstelle von Helen Tyler Claire Underwood ins Weiße Haus zu wählen.

«Anne Holt – Der Mörder in uns» ist derzeit in deutscher Synchronfassung wie im schwedischen Original in der ZDF-Mediathek zu finden.
03.10.2018 03:55 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/104209