In Jean-Stéphane Sauvaires Knastdrama «A Prayer Before Dawn» ist alles eine Spur authentischer als in vielen anderen Filmen des Genres. Das macht ihn zu einem absoluten Must-See des Kinojahres.
Filmfacts: «A Prayer Before Dawn»
- Start: 8. November 2018
- Genre: Drama
- Laufzeit: 116 Min.
- FSK: 16
- Kamera: David Ungaro
- Musik: Nicolas Becker
- Buch: Jonathan Hirschbein, Nick Saltrese
- Regie: Jean-Stéphane Sauvaire
- Darsteller: Joe Cole, Pornchanok Mabklang, Vithaya Pansringarm, Panya Yimmumphai, Billy Moore
- OT: A Prayer Before Dawn (UK/FR/CHN/KHM/USA 2017)
Es gibt kaum ein (Sub-)Genre, das von Film zu Film so identisch verläuft, wie das Boxdrama. Egal ob nun Klassiker wie «Rocky» oder moderne Vertreter wie «Southpaw» – die Dramaturgie vom Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg ähnelt sich stark, was nicht bedeutet, dass nicht jeder Film für sich genommen gut sein kann. Der Knastfilm dagegen gönnt sich schon mal eine Variation. Vom emotionalen Klassiker des Dramakinos («Die Verurteilten») über das schillernd-provokante Charakterporträt («Bronson») bis hin zum aufregenden Abenteuerfilm («Papillon») stellen die vier Wände eines Knasts noch lange keine Einschränkung der inszenatorischen Kreativität der jeweiligen Regisseure dar. Das beweist auch der französische Regisseur Jean-Stéphane Sauvaire («Johnny Mad Dog») – und zwar ohne für seinen ersten Spielfilm seit fünf Jahren in besonders tiefe Trickkisten greifen zu müssen. Sein hierzulande in limitierter Auflage erscheinendes Drama «A Prayer Before Dawn», das im Heimkino (Veröffentlichung: 8. März 2019) den Zusatztitel «Das letzte Gebet» tragen wird, ist eine elegante Mischung aus Gefängnis- und Boxfilm, für die das Autorenduo aus Jonathan Hirschbein («Vendetta Rider») und Nick Saltrese («Brookside») einerseits den unausgesprochenen Gesetzen der Boxfilm-Inszenierung folgt, dank des übergeordneten Themas Knast allerdings so viel Variation in das bekannte Thema bringt, dass es sich so anfühlt, als hätte man all das noch nie zuvor gesehen.
Willkommen in der Hölle, Billy!
Der junge Brite (Joe Cole) hat sich in Bangkok beim Dealen erwischen lassen und ist nun im härtesten Knast von Thailand gelandet. Er spricht kein Thai, hat kein Geld, braucht dringend Stoff und ist ein blasser Exot unter den schwer tätowierten einheimischen Gefangenen, für die die neuen Inhaftierten Frischfleisch sind. Aber Billy kann eines besonders gut: boxen. In der äußerst brutalen Knasthierarchie ist das seine einzige Überlebenschance und Möglichkeit auf Anerkennung. Doch selbst als er für den berühmten Muay Thai Wettkampf der Gefängnisse nominiert wird, muss er um sein Leben kämpfen. Denn die Häftlinge haben auf seinen Sieg gewettet. Wenn er als Verlierer zurückkommt, ist er so gut wie tot…
Für «A Prayer Before Dawn» greift Jean-Stéphane Sauvaire auf zwei Genres zurück, die auf den ersten Blick nur sekundär miteinander zu tun haben, die in ihrer Erzählweise aber eine entscheidende Sache gemeinsam haben: Sowohl der Box-, als auch der Knastfilm lebt im Normalfall von einer sehr subjektiven Erzählweise. Kein Wunder: In beiden Fällen steht zumeist eine Einzelperson im Fokus der Erzählung, um die sich in der jeweiligen Geschichte alles dreht. In «A Prayer Before Dawn» ist das der aschfahle, schlaksige Brite Billy, der zwischen den volltätowierten, massigen Knastbrüdern noch blasser und schmaler aussieht, als er es ohnehin schon tut (Billy ist ja eigentlich ein Boxer und nur im Ring erkennt man, dass der junge Mann durchaus Muskeln besitzt). Um ganz aus Billys Sicht zu erzählen, wählt Sauvaire rabiate Methoden: So verzichtet er zum Beispiel auf Untertitel. Wenn die Inhaftierten um Billy herum Thai oder irgendeine andere Sprache sprechen, die der junge Mann nicht beherrscht, dann steht man als Zuschauer genauso ratlos daneben, wie die Hauptfigur (auch wenn sich aus dem Kontext in der Regel gut ableiten lässt, worum es da gerade geht).
Außerdem klebt Kameramann David Ungaro («Mary Shelley») förmlich am Protagonisten, fokussiert selten einen bestimmten Punkt im Raum, sondern lässt das komplette Geschehen im Raum, bis Billy wieder von irgendjemandem zur Seite geschubst wird. Oft erkennt man auch einfach so gut wie nichts, wenn sich Billy wieder einmal gemeinsam mit vielen anderen Insassen in einem viel zu kleinen Raum aufhalten muss.
So authentisch wie möglich
Doch nicht nur die technische Aufmachung unterstreicht mit der verwackelten, intimen Kameraführung und der überaus dosierten Verwendung von Musik (Komponist: Nicolas Becker, «All die schönen Versprechungen») den Eindruck des Dokumentarisch-Unverfälschten. Schon im Vorfeld wurde alles unternommen, um das Gezeigte so authentisch wie möglich aussehen zu lassen. Die meisten Schauspieler in «A Prayer Before Dawn» sind nämlich gar keine, sondern echte Gefängnisinsassen. Und so wundert es kaum, dass die von ihnen ausgehende Bedrohung auch für den Zuschauer vor der Leinwand regelrecht spürbar ist.
Darüber hinaus springt das Drehbuch mit den Gefangenen äußerst rabiat rum: Jonathan Hirschbein und Nick Saltrese gehen keine Kompromisse ein und lassen die Häftlinge ihre Mitinsassen vergewaltigen, brutal niederprügeln, abstechen und beschimpfen – und die Kamera hält dabei immer voll drauf! Die FSK-Freigabe ab 16 ist in diesem Fall absolut gerechtfertigt, auch wenn der Film die brutalsten Momente immer auch in einen erzählerischen Zusammenhang rückt – und sei es nur der, dass die Gewalttaten der Sträflinge ihre immerwährende Unberechenbarkeit betont. Trotzdem werden sich die Bilder eines schweren sexuellen Missbrauchs, bei dem Billy, genau wie der Zuschauer, zum Zuschauen gezwungen wird, erst einmal für lange Zeit in unser Gedächtnis brennen.
Auch wenn Billy zu Beginn als leidenschaftlicher Boxer eingeführt wird, rückt der Sport nach dessen Inhaftierung erst einmal für längere Zeit in den Hintergrund. Stattdessen geht es ganz um Billys Überlebenskampf im Knast, erst nach und nach entwickelt sich «A Prayer Before Dawn» zum weitgehend den ungeschriebenen Gesetzen des Boxfilms unterwerfenden Sportlerdrama; Auch hier geht es letztendlich darum, wie sich ein Boxer nur mithilfe eines einzigen großen Kampfes wieder ebenjene Anerkennung zurückerkämpfen kann, die er vor seiner Zeit als Knacki besaß – nur dass es hier tatsächlich auch ums nackte Überleben geht, denn Billys Mitgefangene warten nur darauf, ihn nach einer Niederlage umzubringen. Letztlich ist aber gar nicht so spannend, ob Billy den Kampf gewinnen wird (entsprechend bildet auch nicht der Sieg oder die Niederlage des Boxkampfs das Ende, sondern eine wesentlich intimere Szene), sondern eher, was die Vorbereitung auf das Event mit ihm und seiner Psyche anstellt. Newcomer Joe Cole («Green Room») mimt den nach außen hin immer resoluter werdenden Kämpfer, der im Inneren jedoch von Tag zu Tag immer weiter an den Umständen im Gefängnis zerbricht, mit aufopferungsvoller Zerrissenheit.
Sein ambivalentes Agieren hat hier nichts von unglaubwürdiger Sprunghaftigkeit, sondern ist das Ergebnis eines schier unüberwindbaren, emotionalen Zwiespalts. Die Häftlinge um ihn herum verschmelzen zwar zu einer großen bedrohlichen Masse, aus der sich keiner besonders hervortut, doch letztlich unterstreicht das nur wieder Billys Empfindungen, der einfach keinen Unterschied zwischen den Männern machen kann, die ihm alle gleichermaßen den Tod wünschen.
Fazit
Jean-Stéphane Sauvaire gelingt mit seinem herben Knastdrama «A Prayer Before Dawn» ein über alle Maßen authentischer Einblick in das harte Leben hinter thailändischen Gittern und greift dafür auf diverse smarte Kniffe zurück, um die Geschichte von Hauptfigur Billy so glaubhaft wie möglich aussehen zu lassen.
«A Prayer Before Dawn» ist ab dem 8. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.