«The Ballad of Buster Scruggs» - Aus der Coen-Serie wird ein Netflix-Film

Ursprünglich als Serie angelegt, erscheint mit «The Ballad of Buster Scruggs» nun der erste Film der Coen-Brüder direkt für die Streamingplattform Netflix.

«The Ballad of Buster Scruggs»

  • Start: 16. November 2018 (Netflix)
  • Genre: Western/Anthologie
  • Laufzeit: 132 Min.
  • Kamera: Bruno Delbonnel
  • Musik: Carter Burwell
  • Buch und Regie: Joel Coen, Ethan Coen
  • Darsteller: Liam Neeson, James Franco, Zoe Kazan, Tom Waits, Brendan Gleeson, Clancy Brown
  • OT: The Ballad of Buster Scruggs (USA 2018)
Viele der von den Brüdern Joel und Ethan Coen seit 1984 inszenierten Filme haben auf ihre Art und Weise den Zeitgeist geprägt und sind zum Teil sogar Kult geworden. Da wundert es nicht, dass auch die beiden die große Leinwand (zumindest vorerst) gegen den kleinen Bildschirm eintauschen wollten, als sie für den Streamingdienst Netflix die sechsteilige Miniserie «The Ballad of Buster Scruggs» in Angriff nahmen. Geblieben ist nur der Abnehmer. Aus dem ursprünglichen Serienformat ist mittlerweile allerdings ein Film geworden, der seine Premiere im August beim renommierten Filmfestival von Venedig feierte. Außerdem gehört «The Ballad of Buster Scruggs» zum ersten Schwung an Filmproduktionen, der neben seiner regulären Auswertung auf Netflix in den USA zusätzlich ins Kino kommen soll. Diese Ehre wird darüber hinaus auch Alfonso Cuarons Oscar-Hoffnungsträger «Roma», Martin Scorseses «The Irishman» und «Bird Box» mit Julia Roberts zuteil. Zu dieser Entscheidung kann man stehen wie man möchte – die einen kritisieren sie, weil sie einzig und allein aus Kalkül stattfindet. Netflix möchte ja nicht etwa seinen Nutzern einfach nur eine Freude machen, sondern erhofft sich dadurch in erster Linie höhere Chancen bei Filmpreisen. Die anderen freuen sich einfach nur, den Film ihrer Wahl auch im Lichtspielhaus genießen zu können.

Im Falle von «The Ballad of Buster Scruggs» lohnt sich das ganz besonders, denn das Beste an der knapp zweieinhalbstündigen Western-Anthologie sind ganz klar die Bilder. Aber auch sonst macht die morbide Komödie mächtig Laune.

Sechs Geschichten aus dem Wilden Westen


«The Ballad of Buster Scruggs» vereint sechs Kurzgeschichten, die alle eines gemeinsam haben: sie spielen im – im wahrsten Sinne des Wortes – wilden Westen. Da ist der Revolverheld Buster Scruggs (Tim Blake Nelson), der gern von Dorf zu Dorf reitet und den Menschen von seinen Schandtaten erzählt, bis ihm genau das eines Tages zum Verhängnis wird. Auch ein Bankräuber (James Franco) mit mehr Glück als Verstand wird alles Tages mit seinen Taten konfrontiert und muss sich aus einer mehr als misslichen Lage befreien. Derweil muss ein altersmüder Theatermann (Liam Neeson) überlegen, ob er sein bisheriges Programm grundlegend ändern will und tauscht dafür Mensch gegen Tier. Glücklicher läuft es für einen Goldgräber (Tom Waits), der in einem immergrünen Tal eine Goldader entdeckt. Weniger Glück hat die junge Alice (Zoe Kazan), die, genau wie die Insassen einer Postkutsche (unter anderem Brendan Gleeson) erst viel zu spät bemerkt, auf was sie sich da eingelassen hat…

Hätte sich Seth MacFarlane diesen Titel nicht bereits vor vier Jahren geschnappt, läge für «The Ballad of Buster Scruggs» keiner so klar auf der Hand, wie «A Million Ways to Die in the West». Damit haben wir allerdings nur einen Bruchteil dessen verraten, was den Zuschauer im Rahmen der sechs Kurzgeschichten erwartet. Sie alle eint lediglich, dass darin möglichst viel und unter absurden Umständen gestorben ist – so kennt man die Coens noch aus ihren besten Zeiten. Wie das alles erzählerisch eingebettet wird, ist von Episode zu Episode sehr unterschiedlich. Sie alle werden von einer Seiten eines Buches umblätternden Hand verbunden, die als Bindeglied zwischen den verschiedenen Kurzfilmen dient. Die ursprüngliche Planung, «The Ballad of Buster Scruggs» als Miniserie herauszubringen, scheint also noch immer sehr klar durch. Gleichzeitig zeichnet sich mit der Zeit aber auch ab, dass die Entscheidung, nun lieber einen Film anstatt einer Serie zu veröffentlichen, absolut richtig war. Die Episoden sind nämlich nicht bloß von völlig unterschiedlicher Qualität, sie rechtfertigen auch nur bedingt eine weitgehend identische Lauflänge.

So könnte man aus der einen direkt einen abendfüllenden Spielfilm machen, während andere (ohnehin kurze) Episoden bereits nach wenige Minuten zu Ende wünscht. Interessant ist dabei vor allem, dass sich die Schwachpunkte von «The Ballad of Buster Scruggs» eher aufs Ende konzentrieren: Der Film beginnt stark und lässt dann mit fortlaufender Spieldauer kontinuierlich nach. Gerade bei Netflix verleitet das ungeduldige Nutzer regelrecht zum früheren Abbruch.

Das Highlight: die Kamera


Womit wir auch schon beim größten Nachteil an der Auswertung des Films beim Streamingriesen wären. Durch den schnell durchschaubaren Aufbau aus Kurzfilm, Hand, das die Seite des Buches zur nächsten Episode umblättert, und dem nächsten Kurzfilm, stellt sich natürlich eine beachtliche Kurzweil ein, da selbst bei jenen Geschichten, die einen weniger interessieren, das Ende quasi schon beim Anfang ersichtlich ist. Doch es wäre nicht verwunderlich, wenn in wenigen Wochen eine Meldung zum Film erscheint, «The Ballad of Buster Scruggs» sei die Produktion, bei der der Zuschauer am meisten skippt. Das wäre trotz der schwankenden erzählerischen Qualität allerdings ganz besonders schade, denn letztlich hat jede noch so langweilige Episode (da alle Kurzfilme letztlich nur auf eine einzige Pointe hinauslaufen, ist es bei den letzten beiden besonders schade, dass diese schon von Weiten zu erahnen ist und dadurch kaum zündet) ihre eigenen Highlights.

Das können die Darsteller sein – und mit Liam Neeson («The Commuter»), James Franco («The Disaster Artist»), Zoe Kazan («The F-Word – Von wegen nur gute Freunde»), Brendan Gleeson («Paddington 2») und Tom Waits («7 Psychos»), um nur eine Handvoll zu nennen, hat «The Ballad of Buster Scruggs» so einige zu bieten. Aber auch die technische Aufmachung, diverse sehr smarte, gleichermaßen witzige, sowie einige tragische Beobachtungen und der bemerkenswerte Stilwillen der Coens halten den Film, seiner Erzählstruktur zum Trotz, zusammen, sodass es sich gerade gen Ende lohnt, auch die zäheren Momente durchzuhalten und eben nicht der Einfachheit halber einfach vorzuspulen. Auch, wenn es noch so verlockend sein mag.

Das Lowlight: die schwankende Qualität der Geschichten


Erzählerisch eint alle Episoden dagegen nur das Setting, während sich der Tonfall von Film zu Film grundlegend unterscheidet. Am positivsten hervor sticht die Geschichte rund um den Theatermann und seine zweifelhafte Attraktion: einen Menschen ohne Arme und Beine, der einem zahlenden Publikum Abend für Abend Geschichten vorliest, das natürlich nur kommt, um den „Freak“ einmal aus der Nähe zu sehen. In dieser rund 25-minütigen Episode bauen die Coens in kürzester Zeit einen kleinen Kosmos um ihre Figuren auf, kombinieren die Tragik der Situation mit der Komik der Umstände und streuen obendrein eine fette Portion bitterbösen Zynismus obendrüber. Auch Liam Neeson verkörpert seine Figur mit aufrichtiger Verzweiflung und ohne jedes Gewissen. Die finale Pointe trifft einen mitten in die Magengrube; ein Effekt, den von den anderen Geschichten keine erreicht.

Diese sind vorzugsweise auf den schnellen, wenn auch amüsanten Schock („Haben die sich das gerade wirklich getraut?“) oder die kurzweilige Erkenntnis („Ach, das wolltet ihr mir damit sagen!“) ausgelegt. Die Verantwortlichen kommen dabei lange Zeit ohne Längen aus. Lediglich die letzten beiden Geschichten ziehen sich gefühlt endlos. Ausgleichen kann das aber immerhin zumeist die herausragende Kameraarbeit von Bruno Delbonnel («Die dunkelste Stunde»). Wie dieser die perfekten Szenenarrangements einfängt, bis auch wirklich jede einzelne Szene im Standbild ein Gemälde abgeben würde, ist so atemberaubend, dass man eigentlich gar nicht drum herum kommt, «The Ballad of Buster Scruggs» im Kino zu bestaunen.

Fazit


«The Ballad of Buster Scruggs» ist eine qualitativ schwankende Kurzgeschichtensammlung, aus der neben der Episode mit Liam Neeson vor allem die spektakuläre Kameraarbeit hervorsticht.

«The Ballad of Buster Scruggs» ist ab dem 16. November bei Netflix streambar.
18.11.2018 09:30 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/105272