Netflix und seine krumme «The Christmas Chronicles»-Rechnung
Der Video-on-Demand-Dienst, der sonst seine Aufrufzahlen unter dem Mantel des Schweigens versteckt, prahlt mit den «The Christmas Chronicles»-Zahlen. Und wirft mit falschen Superlativen um sich.
Filmfacts: «The Christmas Chronicles»
Regie: Clay Kaytis
Produktion: Chris Columbus, Michael Barnathan, Mark Radcliffe
Drehbuch: Matt Lieberman
Story: Matt Lieberman, David Guggenheim
Darsteller:Kurt Russell, Judah Lewis, Darby Camp
Musik: Christophe Beck
Kamera: Don Burgess
Schnitt: Dan Zimmerman
Mittlerweile ist es bestens bekannt: Netflix behält seine Aufrufzahlen für sich. Nur selten rückt der Video-on-Demand-Dienst einige grobe Angaben raus, um mit ihnen zu prahlen. Solch ein Fall ist kürzlich wieder eingetreten: Ted Sarandos, der Netflix-Programmchef, sprach bei der UBS Global Media and Communications Conference über den Ende November veröffentlichten Weihnachtsfilm «The Christmas Chronicles» mit Kurt Russell als taffen Weihnachtsmann, dessen Schlitten aufgrund eines chaotischen Bruder-Schwester-Gespanns bruchlandet. Wie 'Business Insider' Sarandos zitiert, sei «The Christmas Chronicles» innerhalb der ersten sieben Tage nach seiner Veröffentlichung 20 Millionen Mal aufgerufen worden.
So weit wollen wir dem Netflix-Programmchef Glauben schenken, selbst wenn Sarandos nicht explizit sagt, ob er von weltweiten Zahlen spricht oder von US-amerikanischen. Doch abseits dieses Wertes sind die Angaben, die Sarandos macht, übertrieben bis völlig falsch oder schlicht sehr seltsame Vergleiche. Unter anderem behauptet Sarandos, dass Russell mit «The Christmas Chronicles» "den erfolgreichsten Start seiner Karriere" hatte, nie zuvor hätten sich in den ersten sieben Tagen "so viele Menschen einen seiner Filme angeschaut". Das ist allerdings inkorrekt: Sowohl Marvels «Guardians of the Galaxy Vol.2» als auch «Fast & Furious 7» haben allein in den USA in ihrer Startwoche jeweils mehr als 20 Millionen Menschen in die Kinos gelockt. In beiden Filmen hat Russell, wie in «The Christmas Chronicles», eine tragende Nebenrolle.
Weiter feiert Sarandos die 20 Millionen Views des Netflix-Weihnachtsfilms: "Wäre jeder einzelne Abruf ein Kinoticket, wäre das eine Startwoche von 200 Millionen Dollar." Auch das ist falsch: In den USA kostet eine Kinokarte derzeit im Schnitt 9,38 Dollar, womit «The Christmas Chronicles» bloß auf eine Startwoche von 187,6 Millionen Dollar käme. Ganz davon zu schweigen, wie schwammig es ist, die Startwoche eines Video-on-Demand-Films mit einem Kinostart zu vergleichen: Wer ein Netflix-Abo hat, hat sozusagen bereits für «The Christmas Chronicles» sowie über hundert weitere Titel bezahlt, und hat darüber hinaus kaum weitere Mühen zu erdulden, um sich den Film anzuschauen. Ein Kinobesuch hat dagegen eine höhere finanzielle Hürde und ist mit weiteren Anstrengungen verbunden, wie der Anfahrt und der potentiellen Parkplatzsuche. Daher werden Kinobesuche selektiver getätigt.
Soll heißen: Nicht jeder, der «The Christmas Chronicles» auf Netflix geguckt hat, würde ihn auch im Kino gegen den vollen Ticketpreis schauen. Es behauptet ja auch niemand, der erste Trailer zum «Der König der Löwen»-Remake hätte in seinen ersten 24 Stunden nach Veröffentlichung über zwei Milliarden Dollar eingespielt, würde man seine Klicks in Kinotickets umrechnen. Aber gut, gönnen wir Sarandos seinen Vergleich und sehen ihn als Stilmittel, um den Erfolg von «The Christmas Chronicles» zu verdeutlichen. Das entschuldigt jedoch nicht seinen nächsten Fauxpas. Sarandos behauptet nämlich weiter: "Selbst Filme, die eine Milliarde Dollar einnehmen, machen normalerweise nicht so viel in ihrer ersten Woche."
Zunächst: Dieser Kommentar suggeriert, dass Sarandos die ganze Zeit von weltweiten Zahlen spricht, denn allein in den USA hat noch kein einziger Film die Milliarden-Dollar-Hürde genommen – diese Marke fiel bislang nur global. Vor diesem Hintergrund sind 20 Millionen Views innerhalb einer Woche direkt eine kleine Spur weniger beeindruckend – und von einem potentiellen 200-Millionen-Dollar-Start ist Netflix aufgrund der niedrigeren Ticketpreise in zahlreichen Märkten sogleich auch weiter entfernt als schon in unserer obigen Rechnung. Vor allem aber ist Sarandos' Aussage, eine solche Startwoche sei selten, völlig aus der Luft gegriffen: Allein in den USA hatten bislang 19 Filme eine Startwoche von über 200 Millionen Dollar, global hatten bis dato allein 65 Filme ein Startwochenende in dieser Größenordnung, weltweite Startwochen werden üblicherweise nicht notiert und landen logischerweise noch häufiger oberhalb der 200-Millionen-Dollar-Hürde.