Keira Knightley spielt in «Colette» eine Schriftstellerin, die während der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert darum kämpft, gehört zu werden.
Filmfacts «Colette»
- Regie: Wash Westmoreland
- Produktion: Elizabeth Karlsen, Pamela Koffler, Michel Litvak, Christine Vachon
- Drehbuch: Richard Glatzer, Rebecca Lenkiewicz, Wash Westmoreland
- Darsteller: Keira Knightley, Dominic West, Eleanor Tomlinson, Denise Gough, Aiysha Hart
- Musik: Thomas Adès
- Kamera: Giles Nuttgens
- Schnitt: Lucia Zucchetti
- Laufzeit: 112 Minuten
- FSK: ab 6 Jahren
Nur wenige Monate nach dem Tod seines «Still Alice»-Ko-Regisseurs und Ehegatten Richard Glatzer gab Wash Westmoreland seine nächste Regiearbeit bekannt: Den Historienfilm «Colette» über die einflussreiche französische Schriftstellerin Sidonie-Gabrielle Colette und ihre komplexe, schwierige Beziehung zu ihrem Mann sowie langzeitigen Arbeitgeber Henry Gauthier-Villars alias Willy. Westmoreland inszenierte «Colette» nach einem Drehbuch, das er noch gemeinsam mit Glatzer verfasst hat und an dem darüber hinaus Rebecca Lenkiewicz mitwirkte, die unter anderem für ihre Mitarbeit am Skript zum mehrfach preisgekrönten polnischen Drama «Ida» bekannt ist. Besetzt mit Keira Knightley in der Titelrolle, einer regelrechten Expertin in Sachen Filmen über Frauen, die sich an den gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Zeit reiben, wurde aus «Colette» letztlich ein ebenso kurzweiliges wie aussagekräftiges Drama über Frauenrechte, Selbstverwirklichung und queere Beziehungen. Und eines der ersten Highlights des deutschen Kinojahres 2019.
Die Geschichte beginnt gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Das französische Provinzmädchen Sidonie-Gabrielle Colette heiratet den Pariser Salonlöwen, Unternehmer und Literaten Henry Gauthier-Villars, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Willy. Für Colettes Gatten ist Willy mehr als nur ein Pseudonym, es ist eine Marke, die er gewissenhaft pflegt und verbreitet – und zwar mit der Unterstützung einer regelrechten Fabrik an Mitarbeitern und Ghostwritern. Auch Colette wird von ihrem Mann dazu eingespannt, als Teil der Marke Willy tätig zu sein: Unter seinem gleichermaßen strengen wie freundlichen Auge verfasst sie Briefe in Willys Namen. Während diese Form der Zusammenarbeit weitestgehend glatt verläuft, nimmt die junge Ehe des Paares rasch Stolperschwellen mit: Colette kann mit dem künstlichen Glanz und der eitlen Selbstvermarktung der Pariser Reichen, Intellektuellen, Einflussnehmern und Möchtegerns wenig anfangen, wohingegen Henry jegliche Form von Aufmerksamkeit begierig aufsaugt wie ein Schwamm.
Diese Risse im Ehefrieden verstärken sich, als Colette ihren Mann beim Fremdgehen erwischt. Allerdings bedeuten Henrys Eskapaden nicht sogleich das Eheaus: Die Beiden arrangieren sich in einer freieren Beziehung, die ihren eigenen Regeln folgt. Zudem strebt Colette an, mehr aus ihrem Schreibtalent zu machen: Sie setzt einen semi-autobiografischen Roman über die gewitzte und dreiste Landfrau Claudine auf, den Henry zunächst als langweilig abtut. Doch mit einigen Überarbeitungen findet das Buch letztlich wohl seinen Weg in den Buchhandel und wird zum regelrechten Gesellschaftsphänomen …
«Colette» beginnt noch konventionell und leicht schleppend: In grünen Provinzpanoramen und pittoresk eingerichteter Dorfromantik wird über die Ehe zwischen Colette und Henry verhandelt und gezeigt, wie die Beiden sich liebkosen. Nach der Eheschließung und Colettes Umzug nach Paris verläuft auch Wash Westmorelands Schilderung der frühen Umgewöhnungsphase vorerst nach Schema F: In einem von schummerig-edlem Kerzenlicht erfüllten, geschäftigen Salon geht Colette vollkommen unter, muss aus der Distanz mit anschauen, wie sich ihr Mann zwischen all dem lächerlichen Prunk (wie einer mit Juwelen besetzten Schildkröte) im höflichen Gelächter Anderer suhlt.
Erst nachdem Colette ihren Mann beim Fremdgehen erwischt und nach einer kurzen Phase, in der sie diesen Schrecken verdaut, erhalten die Dialoge, die Szenendramaturgie und die Inszenierung ihren eigenen Schwung. Ein Umstand, der durchaus Methode zu haben scheint, selbst wenn es den Einstieg in «Colette» erschwert, da dieses Drama anfangs wie ein Historienschmachtfetzen übermittelt wird.
Sobald Colette und Henry ihren ehelichen Umgang miteinander verändern, ändert sich der Duktus, in dem Westmoreland die Sequenzen präsentiert: «Colette» bleibt vollauf ein Historiendrama, doch so, als würde er das enge Korsett unter seinem Kleid abstreifen, atmet der Film freier: Die Dialoge werden, egal ob komödiantischer Verbalschlagabtausch oder ernste Besprechung von romantischen, gesellschaftlichen oder literarischen Meinungsverschiedenheiten, mit einer vitaleren Spritzigkeit vermittelt als eingangs. Giles Nuttgens' Kameraarbeit verliert sich nicht weiter in den detailreichen Settings, sondern fokussiert die zentralen Akteure – und mit dem weiteren Verlauf der Handlung sowie der zeitlichen Annäherung an das 20. Jahrhundert wandeln sich die Kostüme von prächtig auf geschmackvoll-schneidig.
All dies unterstützt ungemein das thematische Konstrukt, dass Westmoreland mit diesem Biopic erstellt: «Colette» zeichnet die von Keira Knightley fabelhaft gespielte, schnippische Schriftstellerin als unprätentiöse, intuitiv handelnde Freidenkerin. Der Film zeigt, unter anderem in einer durchaus humoristischen Montagesequenz über die massive Ausschlachtung der Marke Claudine, wie Colette mit ihren unverblümten Romanen eine Zeit lang das Frauenbild (nicht nur) in Frankreich modernisiert und aufgelockert hat. Er skizziert den Werdegang einer Frau, die dankbar unter dem Künstlernamen ihres Mannes Briefe geschrieben hat, zunächst hin zu einer Autorin, die unter Hilfeleistung ihres Partners eine eigene literarische Stimme findet, bis hin zu einer vollauf selbstständigen, experimentierfreudigen Künstlerin. Dabei ist Colette durchweg eine Frau der Tat: Sie theoretisiert fast gar nicht, sondern ist stets, aus voller Überzeugung und künstlerischem Antrieb, damit beschäftigt, zu handeln – die Inspiration Anderer erfolgt so von selbst.
Das Skript und Dominic Wests schroff-charismatische Darstellung Henrys geben ihr in diesem Film einen nuancierten, daher reizvollen Gegenpart: Henry alias Willy ist lange Zeit teils Unterstützer, teils Klotz am Bein. Wenn sich das Ehepaar über eine missglückte Dreiecksbeziehung zankt, dies aber unter dem Deckmantel einer schöpferischen Debatte über die Charakterintegrität in einem derzeit entstehenden Roman, bringen West und Knightley dies köstlich-neckisch rüber. Und West kann sich in seiner Rolle mehrmals das vollauf stolze Grinsen über die Leistungen seiner Gattin nicht verkneifen. Gleichwohl wird unmissverständlich klar, dass für Henry das Motto gilt: "Gleichberechtigung? Gerne, aber nur, wenn ich dabei nicht zurückstecken muss".
Es ist eine Haltung, die ihm anfangs vielleicht noch unter der Deckmantel-Argumentation "Er ist ein Produkt seiner Gesellschaft, er weiß es halt nicht besser und muss erleuchtet werden" verziehen werden kann. Allerdings wird zunehmend klar, dass Henry im Laufe von Colettes künstlerischem Aufschwung mehrmals die Gelegenheit hatte, über den Schatten seiner Sozialisierung zu springen, sich aber aus Eitelkeit und Starrsinn sogar dazu beschließt, die Fronten zu verhärten.
So zeigt «Colette», verpackt in einer reizvoll erzählten und kurzweiligen Anekdote der Literaturhistorie, die Bedeutung des Feminismus auf sowie die Mechanismen, die dazu führen, dass er beim Erreichen seiner Ziele wiederholt zurückstecken muss. Verschränkt wird dies mit einer wundervoll offenherzigen Queer-Erzählung, die das Drama um Colettes literarische Anerkennung sowie die Höhen und Tiefen in ihrer Beziehung mit Henry aufwiegt: Keira Knightley spielt Colette frei von Selbstzweifeln bezüglich ihrer Bisexualität und selbst die unvermeidlichen Widrigkeiten, die Colette und Mathilde de Morny (gut: Denise Gough) bei einem progressiven gemeinsamen Stück ereilen, inszeniert Westmoreland eher im Stile eines kleinen Ärgernisses und weniger als niederschmetternde, identitätszerstörende Rückschläge.
Diese Herangehensweise, die sich auch mit der Darstellung der realen Colette in der Literaturforschung deckt, ist ein wichtiger Schritt in der Schilderung queerer Identitäten im Historienkino, da sie Bestätigung in einem Genre liefert, das sich zumeist der Verfolgung und Besorgnis widmet. Und sie gibt dem so steif beginnenden Film einen optimistischen, freien Kniff.
Fazit: Hübsch ausgestattet und sehr gut gespielt, ist «Colette» ein sehr gelungenes, kurzweilig erzähltes Geschichtsdrama über Feminismus, queere Identitäten und den Literaturbetrieb.
«Colette» ist ab dem 3. Januar 2019 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.