Kaum ein Genre hält sich so konstant wie das des Westerns. Während eine der aktuellsten Leinwand-Erscheinungen «Hostiles» ist, trumpft Netflix mit «The Ballad of Buster Scruggs» von niemand geringerem als den Coen-Brüdern auf. Doch was macht dieses Genre so langlebig, woher kommt die Beliebtheit für Cowboys und Indianer und wie sieht seine Zukunft aus? Quotenmeter hat sich für eben diese Fragen die Historie des Westerns genauer angesehen.
Die 1930er Jahre waren eine Blütezeit für das Medium Film und insbesondere ein Genre profitierte von der mittlerweile breiten Kinogängerschaft. Ja, auch Westernfilme erfreuten sich einer großen Beliebtheit, doch es waren vor allem die „Swashbuckler“-Filme, Piratenfilme mit Seeschlachten, Degenkämpfen und oftmals romantischen Liebesgeschichten, die das Publikum begeisterten. Doch heutzutage, mehrere Jahrzehnte später, sind Piratenfilme nicht mehr als nur eine flüchtige Randnotiz in der aktuellen Filmlandschaft. Lediglich das
«Fluch der Karibik»-Franchise hält das Segel für das altehrwürdige Genre hoch, das einst Stars wie Errol Flynn beflügelte.
Dem gegenüber steht der Western, der seine hochkarätigen Vertreter über alle Jahrzehnte hinweg verstreut hat. Als erster Western gilt
«Der große Eisenbahnraub» von 1903. Seitdem sind rauchende Colts eine Konstante in der Welt des Films. Die mitunter größten Klassiker stammen aus dem Western-Genre, darunter
«Zwei glorreiche Halunken» (1966),
«Spiel mir das Lied vom Tod» (1968) und
«Zwölf Uhr mittags» (1952), um nur ein paar der bedeutendsten zu nennen. Was alleine bei diesen dreien auffällt, ist, dass Regisseur Sergio Leone zwei von ihnen zu verantworten hat. Der italienische Filmemacher prägte den Western wie kein anderer Filmemacher und gab dabei heutigen Leinwand-Legenden wie Clint Eastwood ihre bedeutendsten Rollen.
Neben Eastwood sind die größten Colt-Träger unverkennbar John Wayne, Sam Elliott, Burt Lancaster und natürlich Charles Bronson. Und genau an dieser Stelle zeigt sich eine Parallele zwischen dem Western-Genre an sich und denjenigen, die es vor der Kamera verkörpern. Denn sowohl das Genre, als auch die meisten seiner Darsteller sind durch und durch US-amerikanisch. Die Betonung liegt dabei deutlich auf dem „US“-amerikanisch. Der strahlende amerikanische Held, der mit seinem Schießeisen hilflose Frauen beschützt und Gauner zur Strecke bringt. Diese klischeehafte Darstellung, die oftmals auf John Waynes Rollen zutreffend ist, stellt den Western-Helden als einen eindimensionalen und einfachen Charakter dar. Seine Prinzipien und moralischen Ansichten sind klar ausdefiniert und bieten nur wenig Platz für Ecken und Kanten. Doch neben dee einfach gestrickten und unverkennbar männlichen Protagonisten lässt der Western auch noch deutlich feinere Charakterzeichnungen zu.
Gerade John Wayne, dessen Rollenschema meist nicht allzu viele Facetten aufweist, ist ein passendes Beispiel für die mögliche Tiefe des Westerns. In
«Der schwarze Falke» (1956) spielt Wayne den Konföderierten-Soldat Ethan Edwards, der aus dem Bürgerkrieg zurückkriegt und die Niederlage seiner Seite noch nicht verarbeitet hat. Dazu kommen Auseinandersetzungen mit dem Stamm der Comanchen, Probleme mit seinen Nächsten und im Verlaufe des Films wird deutlich, was Ethan für einen latenten Hass gegenüber den Indianern hegt. Waynes Charakter gewinnt mit den Konflikten an enormer Tiefe und zeigt, dass sich ein Western auch mit schwerwiegenden Themen beschäftigen kann.
Was bei nahezu jedem klassischen Western im filmischen Unterbewusstsein mitschwingt, ist die Eroberung und Erschließung des Wilden Westens und der daraus resultierende Umgang mit der indigenen Bevölkerung. Stellt man die Indianer nun auf einer realistischen Ebene als betrogene Einwohner dar, die sich gegen die Invasoren wehren oder dient die Figur des Indianers doch nur als plumper und blutrünstiger Antagonist? Alleine die Entscheidung dieser Frage sagt viel über den jeweiligen Western-Film aus.
Neben der „plumpen“ Seite des Westerns, also der reinen Unterhaltung durch Schießereien und Verfolgungen, bietet das Genre ausreichend Platz um tiefer gehende soziale Strukturen zu thematisieren. Das US-amerikanische Verhältnis zu den Ureinwohnern und deren Implementierung in den Western wurde bereits thematisiert, doch das Genre geht noch darüber hinaus. Warum nicht mit dem überstilisierten Männerbild brechen und eine weibliche Note hinzufügen wie in
«Schneller als der Tod» (1995) oder den einst so strahlenden Revolverhelden als gebrochenen und verzweifelten Mann darstellen wie es
«Erbarmungslos» (1992) tat? Der Western hat sich mit diesen neuen Facetten immer wieder neu erfunden und neues Leben eingehaucht. Das Genre als ein altes Relikt zu bezeichnen wäre demnach falsch. Vielmehr ist der Western etwas, das sich mit der Zeit konstant weiterentwickelt hat und neue Seiten an sich entdeckt hat. Noch dazu gibt es mittlerweile eigene Abspaltungen des Genre wie der Neo-Western, der sich der Stilistik und Thematiken der alten Western-Filme annimmt und sie in der Neuzeit ansiedelt. Seit 2016 ist auch die HBO-Serie
«Westworld» hoch im Kurs, die das Western-Setting mit der Moderne verbindet. Der gleichnamige Film von 1973 bietet dabei die Grundlage für den Serienerfolg. Ob es ein Zufall ist, dass sich HBO gerade für die Wiederbelebung eines Western-Settings entschieden hat? Mit Sicherheit nicht.
Nicht zuletzt hat man mit dem Western auch schlicht und einfach das, was für die Leinwand unabkömmlich ist: Schauwerte. Und das nicht zu knapp. Ob es nun die wilde Prärie ist, spannende Revolver Duelle oder ein Pokerspiel, bei dem die Luft so dünn ist, dass man sie schneiden kann. Ein rasanter Ritt mit der Postkutsche dient als Äquivalent zur Autoverfolgung und Filme wie
«The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz» (1969) leisteten Pionierarbeit in der Inszenierung von Feuergefechten. Inszenatorisch ist der Wilde Westen schlichtweg ein sehr dankbares Setting. Dazu kommen immer wieder neue Schauplätze, die das altbekannte auf den Kopf stellen. Der Klassiker
«Leichen pflastern seinen Weg» (1968), in dem auch der unvergleichliche Klaus Kinski eine tragende Rolle spielt, ist in den Bergen angesiedelt, in dichtem Schnee und eisiger Kälte. Auch Regisseur Quentin Tarantino gab dem Genre zuletzt eine Injektion seiner bekannten dialoglastigen Mischung. Das Ergebnis war der vielgelobte
«The Hateful 8» (2015) und vor nicht allzu langer Zeit kam mit
«Die glorreichen Sieben» (2016) ein Remake des gleichnamigen Klassikers von 1960 in die Kinos.
Doch warum erscheint gerade der Western immer wieder? Die Langlebigkeit des Genres lässt sich zum Einen damit erklären, dass nahezu jeder, der mit Film und Fernsehen in Berührung gekommen ist, über einen oder mehrere Western-Filme gestolpert ist. Während viele mit der Gewalt und Anspannung von Horrorfilmen Probleme haben oder die Explosionen von Actionfilmen als ermüdend ansehen, ist der Westernfilm meist der Spagat aus einer ordentlichen Handlung, ausreichend Schauwerten und der richtigen Prise Dramatik. Auch eine Vielzahl der Bud Spencer und Terence Hill-Filme sind Western im typischen Sinne, was auch einen Teil ihrer massiven Beliebtheit ausmacht.
Letztendlich haben Western zweifelsohne etwas Kultiges, fast schon zeitloses an sich. Bei genauerem Hinsehen wird das machohaft anmutende Männerbild des starken Revolverhelden öfters gebrochen, als man annehmen mag. Das Western-Genre besteht nicht nur aus den Duellen auf staubigen Grund und dem Kampf mit Indianern. Vielmehr schlagen die Geschichten des Wilden Westens emotionale Töne an, ohne ihre Aufgabe der Unterhaltung aus den Augen zu verlieren. Seit Beginn der Filmgeschichte ist der Western ein fester Bestandteil des Mediums, garantiert immer noch sichere Einspielergebnisse und kann auf eine alte und zugleich heranwachsende Fanbase bauen. Auch in Serienform, wie etwa mit
«Westwood» (2004-2006), ist der Ausritt in die Prärie ein gern gesehener Gast auf dem Bildschirm.
Die Geschichten des Wilden Westens sind noch nicht auserzählt und in Anbetracht des bisherigen Erfolgs des Genres werden sie die Kinolandschaft noch lange begleiten.