Ein Grieche, der Filme mit sperrig-atonalen Dialogen dreht, macht sich an seinen ersten Historienfilm. Das Ergebnis? Süffisanter Kostümspaß mit Emma Stone, Rachel Weisz und Olivia Colman.
Filmfacts «The Favourite – Intrigen und Irrsinn»
- Regie: Giorgos Lanthimos
- Produktion: Ceci Dempsey, Ed Guiney, Lee Magiday, Giorgos Lanthimos
- Drehbuch: Deborah Davis, Tony McNamara
- Darsteller: Olivia Colman, Emma Stone, Rachel Weisz, Nicholas Hoult, Joe Alwyn
- Kamera: Robbie Ryan
- Schnitt: Giorgos Mavropsaridis
- Laufzeit: 120 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Entrückt mal entrückt ergibt spritzig, wie Cineasten nun endlich erfahren dürfen: Der griechische Filmemacher Giorgos Lanthimos ist bislang nicht gerade für zugängliche Filme bekannt. Seinen internationalen Durchbruch hatte er mit dem horroresken Drama «Dogtooth» über zwei Eltern, die ihre Kinder von der Außenwelt abschotten. Nach diesem mit nahezu surrealen Wortwechseln und einer quasi albtraumhaften Charakterzeichnung bespickten Film, den nicht wenige Filmkritiker mit den Arbeiten Lars von Triers und Michael Hanekes verglichen haben, folgte der international weniger beachtete Mix aus Hitchcock-Thriller, düsterer Tragödie und bissiger Komödie namens «Alpen». 2015 sorgte Lanthimos dann mit seinem englischsprachigen Debüt «The Lobster» für Furore, einer dystopischen Geschichte über eine Welt, in der das Singledasein unter schwerer Strafe steht.
Aus diesem Konzept formte der Grieche eine mit bewusst atonalen Dialogen versehene, spröde-humorige Geschichte voller moralischer Sackgassen. «The Killing of a Sacred Deer» letztlich war eine als stiller Psychothriller getarnte, staubtrocken-pechschwarze Komödie über einen Mann, der überlegen muss, ob er einen (vermeintlichen?) Fluch für bare Münze nimmt und zur Aufhebung dieser Verwünschung ein Familienmitglied tötet. Kurzum: Entweder liegt man auf Lanthimos Wellenlänge, die entrückten Humor und gezielt atonal-sperrige Gespräche umfasst, oder der Regisseur sorgt für saftige Fragezeichen über dem eigenen Kopf. Ein Mittelding war bei Lanthimos bis dato unmöglich.
Mit «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» verantwortet Giorgos Lanthimos nicht nur seinen dritten englischsprachigen Spielfilm, sondern obendrein seine bislang zugänglichste Regiearbeit. Und das, lobenswerterweise, ohne sich zu verstellen. «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» hat denselben verqueren Humor, ist genauso spitzfindig in seiner Weltsicht wie Lanthimos' bisherige Arbeiten und setzt weiterhin konsequent auf Charakterzeichnungen voller Widerhaken. Nur, dass Lanthimos sein Stilmittel der spröde-hölzernen Dialoge, aus denen er eine eigene Kunstform geformt hat, aufgibt. Ist es ein Kompromiss, ein Zugeständnis ans Publikum? Vielleicht.
Aber es ist zweifelsohne eine in sich schon überaus komische Verkehrung dessen, was Giorgos Lanthimos bislang getan hat. «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» ist nämlich sein erster Historienfilm. Und nachdem der Regisseur die Menschen in seinen kontemporären und futuristischen Settings hat sperrig sprechen lassen, ist es auf seltsame Art konsequent, dass nun das Personal seines Historienfilms, wo staubig-entrückte Sprache sonst zur Tagesordnung gehört, mit moderner Spritzigkeit vor sich hin züngelt.
Und genau daraus generiert sich der offensichtlichste, amüsanteste Reiz von «The Favourite – Intrigen und Irrsinn»: Waren Lanthimos' vorherige Filme nur aus bestimmten Perspektiven Komödien, und dann obendrein noch getarnte, ist «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» eine unverhohlene Komödie voller sarkatischer, spitzzüniger Dialoge. Das Drehbuch-Team Deborah Davis & Tony McNamara sowie Lanthimos formen aus der weitestgehend wahren Geschichte der englischen Königin Anne (Olivia Colman), ihrer Hofdame Lady Sarah Churchill (Rachel Weisz) und deren Cousine Abigail Masham (Emma Stone) eine Art "«Girls Club» über den englischen Adel im frühen 18. Jahrhundert".
Es wird gelogen, betrogen und um Macht sowie Zuneigung gefeilscht – und das nicht etwa
in steifer «Maria Stuart, Königin von Schottland»-Manier, sondern mit der anachronistischen Ironie, Rotzigkeit und Keckheit einer genialen Teeniekomödie aus der Post-John-Hughes-Ära. Emma Stone übernimmt in «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» als aufgrund der Spielschulden ihres Vaters gefallene Adelige, die sich wieder hocharbeiten möchte, den süffiantesten Part: Mit dem selbstironischen, schlagfertigen Schnattermaul einer Teeniefilm-Protagonistin lacht sie alle Pein hinfort, die ihr aufgrund ihres gesellschaftlichen Stands zu jener Zeit als zumutbar galt. Da wird auch mal mit lasziv-sarkatischer Aggressivität nach der Auspeitschung gefragt, mit der sie bestraft werden soll, und an anderer Stelle begrüßt sie einen adeligen Verehrer mit augenzwinkernd-freudigem Glühen, ob er in ihr Gemach gekommen sei, um sie zu hofieren oder um sie zu vergewaltigen.
Emma Stone, und hier kommt ein sonderbarer Filmvergleich, meistert also das, was Seth MacFarlane in seinem Comedywestern «A Million Ways to Die in the West» versucht hat: Der «Family Guy»-Schöpfer spielt in dem kommerziellen Misserfolg aus dem Jahre 2014 einen Schafsfarmer im Jahr 1882, der als Einziger in seinem Umfeld die "Normalität" seiner Zeit hinterfragt und sich mit Galgenhumor durch die fraglichen Gegebenheiten, die er nicht ändern kann, scherzt und wundert. Was bei MacFarlane jedoch als Gag rasch an seine Grenzen gerät, variiert Stone mit wandelbarer Mimik, funkelnden Augen, nuanciertem Gestus und ihrer markanten Stimme, die wie geschaffen für sarkatische Randbemerkungen ist, so gekonnt ab, dass es immer wieder neu und überraschend ist.
Rachel Weisz derweil stolziert durch das Macht-Dreieck in «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» mit abenteuerlicherer "Mir kann keiner was"-Haltung. Zumeist gekleidet wie ein Pirat, der nur wenige Sekunden Zeit hatte, sich für einen Inkognito-Raubzug am Hofe vorzubereiten, gibt Weisz die nach außen hin knallharte, in zweisamen Momenten jedoch liebevolle Beraterin der Königin. Mit Zuckerbrot-und-Peitsche-Logik verdreht sie die politischen Pläne der Majestät nach eigenem Gutdünken, und so arrogant und kalt Weisz Lady Sarah auch klingen lässt, wann immer es darum geht, die kränkelnde Königin in bestimmte Bahnen zu lenken, so ehrlich und bewundernd lächelt sie, sobald Macht und Politik als Themen aus ihren Unterhaltungen mit Königin Anne entschwinden.
Olivia Colman schlussendlich meistert die immens schwierige Aufgabe, aus einer vermeintlichen Witzfigur eine runde, geradezu tragische Figur zu formen. Mit viel zu großem Appetit, schmerzenden Gelenken und juckender Haut, sowie einem gigantischen seelischen Schaden, den über ein Dutzend Kindstode ihr zugefügt haben, erscheint die dauernervöse Queen Anne eingangs wie ein unfähiges Wrack. Colman aber verleiht ihr durch ihr Spiel eine nachvollziehbare, bei aller Verletzlichkeit noch immer hellwache Persönlichkeit, was in eine wahrlich denkwürdige Schlussszene mündet.
Von Lanthimos mit Weitwinkelmotiven und vielen Fischaugen-Einstellungen festgehalten, ist «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» ein irrsinniger, spitze ausgestatteter Historienspaß, der unter der dicken, dicken Schicht an sarkastisch-rasanten Dialogen und abstruser Situationskomik (Breakdance! Hummer-Wettrennen! Törtchenschlacht! Das Streicheln einer Ente, als sei sie ein Penis!) obendrein großen Anspruch mit sich bringt. Cineastinnen und Cineasten werden aus «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» Bände an komplexen Beobachtungen über die Dekadenz der Monarchie, die Persönlichkeiten verderbende Kraft politischer Macht, den historischen Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe sowie die Willkür, mit der weitreichende Entscheidungen getroffen werden, ziehen können. Jedenfalls, sobald der Lachmuskelkater abgeklungen ist.
Fazit: «The Favourite – Intrigen und Irrsinn» ist eine brillant gespielte Komödie voller spritzig-sarkastischer Dialoge, die den Machtkampf am englischen Hofe zu Beginn des 18. Jahrhunderts überaus originell und denkwürdig anpackt. Ein Kinobesuch ist hier absolutes Muss!
«The Favourite – Intrigen und Irrsinn» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen.