Alles nur gefälscht: «Can You Ever Forgive Me?»

In dieser auf wahren Begebenheiten basierenden Dramödie spielt Melissa McCarthy eine Schriftstellerin, die dringend Geld benötigt und daher Briefe Prominenter fälscht …

Filmfacts «Can You Ever Forgive Me?»

  • Regie: Marielle Heller
  • Produktion: Anne Carey, Amy Nauiokas, David Yarnell
  • Drehbuch: Nicole Holofcener, Jeff Whitty; basierend auf Lee Israels Memoiren
  • Darsteller: Melissa McCarthy, Richard E. Grant
  • Musik: Nate Heller
  • Kamera: Brandon Trost
  • Schnitt: Anne McCabe
  • Laufzeit: 107 Minuten
  • FSK: ohne Altersbeschränkung
Melissa McCarthy ist trotz nunmehr zwei Academy-Award-Nominierungen eine der am meisten unterschätzten Schauspielerinnen, die derzeit in Hollywood arbeiten. Die «Brautalarm»-Nebendarstellerin, die sich jahrelang parallel zu ihrer an Fahrt aufnehmenden Filmkarriere in der eher nur semi-lustigen Sitcom «Mike & Molly» verdingte, wird nämlich von der breiten Öffentlichkeit, ähnlich wie ihre jüngeren Kollegen Shia LaBeouf oder Robert Pattinson, vornehmlich auf ihre schwachen Arbeiten reduziert. Dabei zeigt McCarthy immer wieder, dass sie weit mehr kann als nur die laut tönende, selbstüberzeugte Schrulle zu spielen wie in «The Boss» (als erfolgsverwöhnte Variante dieses Rollentypus) oder in «Tammy» (als Variante dieses Rollentypus, die ganz unten in der sozialen Hackordnung verweilt). Das neuste Exempel für McCarthys Wandlungsfähigkeit kommt in Form der biografischen Tragikomödie «Can You Ever Forgive Me?», die auf den gleichnamigen Memoiren der Buchautorin Lee Israel basiert.

Lee Israel war lange Zeit als Zeitschriftenjournalistin tätig und verdiente sich ein Nebenbrot als Autorin von Biografien. Lees Themenauswahl segelte jedoch nach anfänglichem Erfolg zunehmend am Massengeschmack vorbei – ihre Biografie rund um Estée Lauder war ein Totalflop, weshalb sich die Einzelgängerin schlecht kaschierte Häme von ihrer Agentin anhören muss. 1991 befindet sich die 51-Jährige auf dem Tiefpunkt. Ohne regelmäßiges Einkommen und ohne Verlag, der ihr einen Vorschuss für ein neues Buch zu geben gewillt ist, hält sich die dem Alkohol verfallene Frau, die ihre kränkliche Katze der Gesellschaft anderer Menschen vorzieht, nur gerade so über Wasser, indem sie ihre Buchsammlung Stück für Stück veräußert. Und auch einen Brief von Katharine Hepburn verkauft sie.

Als Lee eines Tages in einer Bibliothek bei der Recherche über Fanny Brice in einem der Exponate einen Brief der Komikerin und Schauspielerin entdeckt, nimmt sie ihn an sich und versucht, obendrein ihn zu verkaufen. Die örtliche Buchhändlerin Anna (Dolly Wells), die zu den wenigen Menschen zählt, die weiterhin freundlich auf die dauergenervte, deprimierte Autorin zugeht, kann Lee jedoch nur einen niedrigen Preis für den Brief anbieten, da sein Inhalt bloß trivial ist. So kommt Lee auf die Idee, sich spannende, witzige und pikante Briefe verstorbener Prominente zu fälschen und zu verkaufen. Dabei erhält sie unerwartete Hilfe ihrer Zufallsbekanntschaft Jack Hock (Richard E. Grant), einem gewitzten Drogendealer …

«Can You Ever Forgive Me?» ist, thematisch passend, mehr ein Schauspiel- und Skriptfilm als ein Regiefilm: Regisseurin Marielle Heller verzichtet auf auffällige inszenatorische Schnörkeleien, und legt den Fokus ihrer stilistisch effizienten Regiearbeit primär auf verbale und non-verbale Kommunikation. Nicht Hellers fokussierte Inszenierung soll im Gedächtnis hängen bleiben, sondern McCarthys Performance und das, was sie als Lee Israel ausdrückt. McCarthy spielt die introvertierte, jüdische, lesbische Junggesellin als aneckende Person mit knapp bemessenem Geduldsfaden – und großer Verletzlichkeit.

Ohne es je zu verbalisieren macht McCarthy durch ihre aus der grantigen Miene, die sie verzieht, ausbrechenden, scheuen Blicke klar, dass sie ihre Figur als vom Leben und der Gesellschaft enttäuschte Person anlegt, die sich nicht um eine zugänglichere Art bemüht, weil sie glaubt, eh nicht akzeptiert zu werden. Was also würde eine partielle Verbiegung ihres Wesens schon bewirken, außer Selbstverrat? In Jack Hock findet sie, so wie Nicole Holofcener und Jeff Whitty ihn in ihrem Drehbuch skizzieren und wie ihn Richard E. Grant mit immenser Vergnüglichkeit zum Leben erweckt, das ideale Ergänzungsstück: Er ist ebenfalls homosexuell, erfolglos und mit scharfer Zunge ausgestattet.

Aber Jack versteckt sich nicht hinter auffällig-unauffälliger Kleidung und dauergeducktem Gestus. Er spielt unentwegt auf, überbetont mit kecker Selbstüberzeugung sein Wesen. Während Lees Waffe ihre Schreibkunst ist und ihr Talent, andere Menschen auf dem Papier zu imitieren, ist Jacks Waffe gegen schräge Blicke und Unverständnis ein offensiv-selbstvergnügtes Mundwerk und ein dauerstolzer, fabulöser Gesichtsausdruck.

Diese Gegensätze lassen verbale Funken sprühen und sorgen auch neben der eloquenten, gefälschten Briefe Lees für den Puls dieses Films: Wenn Jack seine gockelhafte Art aufgibt, um Lee zu trösten oder zu beschwichtigen, und wenn Lee Jack gegenüber auftaut, ist dies stets auf eine ebenso unterkühlte wie wirksame Art rührend. Selbiges gilt für die wenigen, hoch codierten und vorsichtig vorantastenden Gespräche zwischen Lee und Buchhändlerin Anne – McCarthy und Wells machen die stete Angst ihrer Rollen, zurückgewiesen oder verurteilt zu werden, allein durch filigrane Änderungen in ihrer Stimmfarbe spürbar.

Mit diesem sehr sensiblen, durchweg Pathos vermeidenden emotionalen Rückgrat baut sich «Can You Ever Forgive Me?» zudem auf, um gezielte Seitenhiebe gegen die bigotte Art des Literaturzirkels auszuteilen und zwischendurch eine Art gewollt glanzloses, trotzdem gewitztes "«Ocean's Eleven», nur mit zwei statt elf Ganoven und gefälschten Briefen statt glorreichen Raubzügen" auf der Leinwand auszubreiten. Am Schluss bleibt einem nichts anderes übrig, als vor der kratzbürstigen, misanthropischen Lee Israel seinen Hut zu ziehen und von ihrer Verzweiflungstat beeindruckt zu sein, egal wie falsch solch betrügerisches Handeln ist.

«Can You Ever Forgive Me?» ist ab dem 21. Februar 2019 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
20.02.2019 20:56 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/107362